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Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Lebensinteressen der
modernen Gesellschaft, die ebenso von der Minderheit wie von der
Mehrheit des Parlamentes vertreten werden. Die Unterordnung der
Minderheit unter den Willen der Mehrheit beruht aber, wie
VIKTOR ZENKER a. a. 0. 8. 36 zutreffend bemerkt, nicht auf dem
Gehorsam des Knechtes, sondern auf einem stillen Kompromiß,
wonach sich die Minderheit freiwillig den Beschlüssen der Mehr-
heit unterwirft, und dieses Kompromiß wieder beruht auf dem.
Vertrauen, daß die Mehrheit keinen Mißbrauch mit ihrer Macht
treiben werde. Und es liegt im eigentlichen Interesse der Mehr-
heit selbst, daß sie nicht die Rechte der Minderheit kränke, da die
die Rollen jederzeit wieder wechseln können und die heutige
Mehrheit dann die der Minderheit übernehmen muß. Das ist
freilich nur das Ideal*!e. „Aber“, sagt ZENKER weiter:
„Der Parlamentarismus muß sich (oder sollte sich wenigstens) immer
auf dem Wege nach dieser Richtung befinden. Er soll den Uebergang
von der rein herrschaftlich organisierten zu einer auf Vertrauen, Solidarität
und Selbstbestimmung ruhenden Gesellschaft bilden. Er muß unter allen
Umständen die Ueberwindung der nackten Gewalt bedeuten. Er ist im
Kampfe gegen die Gewalt entstanden und schließt sie aus. Appelliert
ein Parlament gleichwohl an die Gewalt, so hebt es sich selbst auf, wie
sich der französische Konvent selbst aufgehoben hat.“
Wird nun jenes Vertrauen der Minorität in eine maßvolle
Handhabung der Macht der Majorität getäuscht, so greift dann
die unterdrückte Minorität zur Selbsthilfe mit demjenigen Mittel,
das von ihr, wenn sie nur einigermaßen stark war, besonders in
England und Oesterreich, wiederholt mit Erfolg angewendet worden
“ıa Als solches muß auch die Lösung des in dem Mehrheitsprinzipe
liegenden Widerspruches mit dem Wesen der Demokratie bei H. KELSEN
a. &. O. S. 36 betrachtet werden, wenn er dort sagt: „Die für die Demo-
kratie so charakteristische Herrschaft der Majorität unterscheidet sich von
jeder andern Herrschaft dadurch, daß sie eine Opposition — die Minorität —
ihreminnersten Wesen nach nicht nur begrifflich voraussetzt, sondern auch
politisch anerkennt und in den Grund- und Freiheitsrechten, im Prinzipe
der Proportionalität schützt. Je stärker aber die Minorität, desto mehr
wird die Politik der Demokratie eine Politik des Kompromisses.“