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präsidenten der Volksentscheid angerufen wird oder, wenn der
Präsident von diesem Rechte keinen Gebrauch macht, das Gesetz
als nicht zustandegekommen gilt, wenn aber der Reichstag mit
Zweidrittelmehrheit entgegen dem Einspruche beschlossen hat, es
binnen drei Monaten entweder in der vom Reichstage beschlossenen
Fassung zu verkünden oder dem Volksentscheide zu unterstellen
ist (Art. 74 Abs. 3). Die Wirkung des Einspruches des Reichs-
rates ist wesentlich verstärkt, wenn es sich um ein ver-
fassungsänderndes Gesetz handelt. Hat der Reichstag
entgegen dem Einspruche des Reichrates eine Verfassungsänderung
beschlossen, so darf der Reichspräsident das Gesetz nicht verkün-
den, wenn der Reichrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid
verlangt. In-diesem Falle hat also der Reichsrat das Recht, selbst
den Volksentscheid anzurufen (Art. 76 Abs. 2). Die Gesetzes-
ıinitiative, das Recht zur Einbringung von Gesetzesvorlagen,
haben die Reichsregierung “% und die Mitglieder des Reichstags *’ in
gleichem Maße (Art. 68 Abs. 1). Die Reichsregierung bedarf
hierzu nach Art. 69 Abs. 1 grundsätzlich der Zustimmung des
Reichsrates, sie kann aber ihre Vorlagen, auch wenn sie diese
Zustimmung nicht erhält, trotzdem beim Reichstage einbringen
und ist dann nur verpflichtet, die abweichende Auffassung des
Reichsrates darzulegen. Der Reichsrat selbst hat gegenüber dem
Reichstage keine unmittelbare Gesetzesinitiative. Seine abweichende
+ Nicht der Reichspräsident. Dieser hat nur in Konfliktsfällen be-
deutsame Rechte eigner Entschließung nach Art. 73 Abs. 1 und Art. 74
Abs. 3. S. im übrigen über die Zuständigkeit zum Einbringen der Vorlagen
TRIEPEL a. a. O. S. 481 ft.
47 Von einer Initiative des Reichtstags als solchen kann man im Gegen-
satze zu Art. 23 der alten Reichsverfassung nicht mehr sprechen, denn der
Reichstag schlägt nıcht den aus seiner Initiative hervorgehenden Gesetz-
entwurf einem andern gleichberechtigten Organe vor, sondern be-
schließt darüber allein. Deshalb sagt auch Art. 68 Abs. 2 der neuen Reichs-
verf.: „Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregiernng oder aus
der Mitte des Reichtstags eingebracht.“ S. hierzu TRIEPEL a. a. O.
S, 478 und POETZSCH, Reichsverf. 2. Aufl. S. 123.
Archiv des öffentlichen Rechts. XULI. 20