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Lage zum großen Teil entsprochen wurde. Dieses Vorgehen
wurde heftig kritisiert, da es dem Geist der Domokratie wider-
spreche, wenn einer gewissen Berufsvertretung ein Einfluß auf
die Regierungsbildung zugestanden werde, hinter dem die übrigen
Volksteile zurückstehen müssen. Dieser Einwand ist durchaus
berechtigt. Die Bildung der drei Ministerien, die in der deutschen
Republik stattgefunden hat, zur Zeit der verfassunggebenden
Nationalversammlung, vollzog sich auch noch keineswegs im Geiste
der Verfassungsvorschriften. Das parlamentarische System konnte
sich in dem Uebergangsstadium, in dem sich das Deutsche Reich
noch befand, nicht voll auswirken. Der bestimmende Einfluß auf
die Regierungsbildung gebührt beim parlamentarischen System
dem Volke. Deshalb geht in England seit den 60er Jahren des
vorigen Jahrhundert ein Regierungswechsel immer mit der Parla-
mentsauflösung und Neuwahlen Hand in Hand. Das ist bei der
Regierungsbildung in Deutschland bis dahin nicht der Fall ge-
wesen. Einerseits war weder der volksgewählte Präsident noch
der auf Grund der neuen Verfassung gewählte Reichstag ins
Leben getreten; die verfassunggebende Nationalversammlung aber
besaß eine größere Autorität, als sie vermutlich dem Reichstag
eigen sein wird, die Autorität des von der Nationalversammlung
gewählten Präsidenten ist kleiner, als die des volksgewählten
Präsidenten sein wird; naturgemäß war infolgedessen der Einfluß
der Fraktionen auf die Regierungsbildung größer, der des Reichs-
präsidenten und des Reichskanzlers kleiner als dies künftig der
Fall sein wird. Die Unmöglichkeit der Auflösung der verfassung-
gebenden Nationalversammlung durch den von ihr gewählten
Reichspräsidenten, also die Unmöglichkeit, das Volk über die
Regierungsbildung entscheiden zu lassen, verschärfte diese Unter-
schiede noch. Sind erst die Voraussetzungen vorhanden, die die
Verfassung vorsieht, so wird auch der Vorgang der Kabinetts-
bildung ein anderes Bild bieten. Der Einfluß des Reichspräsi-
denten wird insoferne größer sein, als ihm die Aufgabe obliegt,