Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

_— HB — 
den Schiedsspruch des Volkes im Falle des Konflikts zwischen 
Regierung und Reichstag anzurufen; das Parlament wird infolge- 
dessen den Willen des Volkes bei der Regierungsbildung genau 
berücksichtigen müssen. Unterhandlungen des Reichskanzlers mit 
den Fraktionen werden bei der Kabinettsbildung immer notwendig 
sein, dagegen wird in normalen Zeiten die Beeinflussung durch 
berufsständische Vertretungen wegfallen, da der reguläre Weg 
der Beeinflussung bei den Wahlen offen steht. Die Vorgänge 
werden in manchem von den Vorgängen bei der Regierungsbil- 
dung in England abweichen. Das ist auf der einen Seite durch 
die vollständig anderen Parteiverhältnisse bedingt, auf der anderen 
Seite durch die Einführung des Verhältniswahlrechts in Deutsch- 
land. Der Reichstag wird innerhalb der Legislaturperiode in 
seiner Zusammensetzung nicht wechseln, wie dies in England 
durch die Ersatzwahlen möglich ist. Ist nun der Reichspräsident 
überzeugt, daß der Reichstag in dieser Zusammensetzung nicht 
mehr dem Willen des Volkes entspricht und eine Regierung am 
Ruder erhält, bei der das Gleiche der Fall ist, so besteht die 
Möglichkeit der Auflösung des Reichstags. Allerdings stellt diese 
Auflösung ein Risiko für den Präsidenten dar, das sie wohl nicht 
praktisch werden läßt; die Auflösung zugunsten der Regierung 
besitzt mehr Aussicht auf praktische Verwirklichung. Es läßt 
sich natürlich noch nicht mit Gewißheit voraussagen, wie sich 
die Vorgänge in der Regel abspielen werden. Es hängt viel davon 
ab, in welcher Weise man bei der Bildung der ersten Ministerien 
verfahren wird, da die Vorschriften der Verfassung nur die Grund- 
züge des Verfahrens bestimmen, über die Einzelheiten entscheidet 
meist das Herkommen. Inwieweit ein ungünstiger Präzedenz- 
fall das ganze System beeinflussen kann, beweist am besten das 
Beispiel Frankreichs. Es wird viel davon abhängen, ob der 
Reichspräsident und der Reichskanzler den Geist der verfassungs- 
mäßigen Vorschriften erfassen und ihre Rechte bei der Regierungs- 
bildung zu wahren wissen. Die Stellung des Reiehskanzlers ent-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.