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Die Parteien und die Kabinettsbildung.
Infolge der Parteiverhältnisse ist auch der direkte Einfluß
der Parteien des Reichstags auf die Bildung der Regierung
größer als dies in England der Fall ist. Es ist hier vielmehr
eine gewisse Aehnlichkeit mit französischen Verhältnissen gegeben.
Da an die Stelle eines gestürzten Ministeriums nicht sofort ein
Ministerium der Opposition treten kann, sondern, da es sich immer
um die Bildung einer Koalitionsregierung handelt, ist naturgemäß
der Einfluß der Fraktionen größer, da man ihrer Mitarbeit zur
Bildung einer Mehrheit im Reichstag bedarf. In England weiß
die Opposition, die die Regierung stürzt, daß sie die Regierung
übernehmen muß. In Deutschland werden in der Regel die Par-
teien, die die gestürzte Regierung gestellt haben, auch an der
neuen Regierung wieder teilnehmen müssen. Ein Kabinettswechsel
bedeutet hier nicht immer einen völligen Wechsel der Personen.
Es demissionieren wohl sämtliche Minister gleichzeitig, aber sie
können an der neuen Regierung trotzdem wieder beteiligt sein;
inwieweit dies möglich ist, hängt von der konkreten politischen
Lage ab. Der Reichskanzler der gestürzten Regierung wird je-
doch kaum je der neuen Regierung angehören können, da ge-
wöhnlich die Mißbilligung der politischen Richtlinien, für die er
verantwortlich ist, den Sturz einer Regierung veranlassen wird.
Persönliche Voraussetzungen für einen
Ministerposten?
Die Verfassung enthält keinerlei Vorschriften, die bei der
Wahl der Minister auf einen bestimmten Personenkreis beschränken.
Die Minister brauchen nicht Mitglieder des Reichstags zu sein,
es ıst auch nicht gefordert, daß sie zum Reichstag wählbar sein
müssen; die Schweiz verlangt, daß die Mitglieder des Bundesrates
den Wählbarkeitsbedingungen zum Nationalrat genügen. Eine
ähnliche Bedingung würde für das Deutsche Reich allerdings wenig
Wert haben, da die Bedingungen für die Wählbarkeit zum Reichs-