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stimmen sämtliche Prozeßarten ihrem Wesen nach darin überein,
daß sie einen Rechtsgang verwirklichen wollen, der aus dem je-
weiligen gesetzlichen Normenbestand unter den Garantien unpar-
teiischer Prüfung, freier und wirksamer Rechtsverfolgung und
Rechtsverteidigung die Ausgleichung und Ordnung des Streites
kollidierender Lebensinteressen entwickelt. Dieser gemeinsamen
Abstammung und inneren Wesensverwandtschaft entspricht es, daß
alle Erscheinungsformen der Rechtspflege, obschon die Wege zur
Erkenntnis dessen, was Rechtens ist, heute je nach dem Gegen-
stande verschieden sind, sich in den Grundlagen und Grundgedanken
berühren. Wir haben einen eisernen Bestand von Rechtssätzen, die
allen Verfahrensarten gemeinsam sind und die Ausgestaltung
l. der Gerichtsverfassung, 2. der Parteistellung
und 3. des eigentlichen Verfahrens betreffen; hierin liegt zu-
gleich ihre Einteilung. Auf allen Verfahrensgebieten kehren die
gleichen Probleme wieder, die nur durch zusammenfassende Be-
handlung nach einheitlichen Gesiehtspunkten, nicht in der Isolierung
auf das eine oder andere Gebiet gelöst werden können. Nur eine
allgemeine Verfahrenswissenschaft oder Prozeßlehre gibt den Zweig-
lehren der verschiedenen Arten von Rechtspflege eine fruchtbringende
Entwicklung. Ihr ist insbesondere die 1913 gegründete, infolge
der Kriegsverhältnisse aber seit längerer Zeit nicht mehr erschienene
Zeitschrift „Der Rechtsgang“ gewidmet. Einige Anregung wollen
ihr auch die folgenden Zeilen bieten. Sie befassen sich mit dem
ersten Teil einer allgemeinen Prozeßlehre, der Gerichtsorganisation.
Hierbei handelt es sich üblicherweise im wesentlichen nur um
die Einrichtung, die Besetzung, die Stellung und den Geschäfts-
kreis der verschiedenartigen Gerichtsbehörden, nicht um den Gang
des Verfahrens vor ihnen.
1. Abschnitt.
Begriff, Wesen und Aufgabe der Gerichte.
Das Wort „Gericht*, bei dem man gewöhnlich nur an die
ordentlichen (regelmäßigen oder gewöhnlichen) Zivil- und Straf-