anwendung ohne Rechtskenntnis ist ein Widerspruch in sich;
der Laie, der sich wegen seiner Rechtsunkenntnis bei eigenen An-
gelegenheiten an Rechtskundige wenden muß, soll ohne weiteres
befähigt sein, über Rechtsstreitigkeiten seiner Mitbürger als Richter
zu urteilen. Der Richter muß aber nicht nur ein Rechtskenner
sein, sondern ein geübter Rechtskenner mit geübtem Blicke, die
Rechtsbegriffe zu erkennen. Mit nackten oder reinen Tatsachen
kann ein Gericht wenig anfangen; sie müssen immer mit dem
Rechte in Beziehung gesetzt werden. Nur wer die Gesetze be-
herrscht, ist hierzu fähig und imstande, wesentliche und unwesent-
liche Tatsachen streng auseinanderzuhalten und die leitenden Ge-
sichtspunkte für die Ordnung und Verarbeitung des Prozeßstoffes
sicher im Auge zu behalten. Die Tatsachenfeststellung ist nicht
minder wichtig als die Rechtsanwendung und will wie diese eben-
falls gelernt und geübt sein. Zu allem gehört eine praktische
Erfahrung, wie sie der Berufsrichter in jahrelanger Tätigkeit er-
werben, der Laie oder gelegentliche Eintagsrichter aber bei aller
Erfahrung in seinem eigenen Berufe niemals besitzen kann. Außer-
dem fehlt ihm vollständig eine der für die Rechtssicherheit be-
deutsamsten Eigenschaften eines Richters, nämlich die in fort-
gesetzter Berufsausübung und strenger Selbstzucht anerzogene
Disziplin, das Bewußtsein unbedingter Unterordnung unter das
Gesetz!%, sowie die für die Rechtsfindung notwendige Unbefangen-
10 Dieser Mangel wird bisweilen sogar als ein besonderer Vorzug der
Laienrichter hervorgehoben, so von W. HEınz in A. Bozı und H. Hkiıne-
MANN, Recht, Verwaltung und Politik im Neuen Deutschland, Stuttgart 1916
S. 54 fi., 63 f, mit seltener Lobpreisung des sich an das Gesetz nicht
kehrenden laienrichterlichen Absolutismus: „. .sich über das Gesetz zu
erheben, ... . ist ihr eigentümliches Recht (!) .. .. Laienrichter, die nicht
wagten, einmal das geschriebene Recht auch zu „beugen“, ... wären keine
Volksrichter, sondern halbe verkrüppelte Juristen.“ S. 66 (unten) nennt er
des Schöffen „Freiheit dem Gesetze gegenüber“ den „besten Teil seiner
Unabhängigkeit“. Wenn das richtig und die gelegentliche Rechtsbeugung
erwünscht wäre, so brauchte man ja nur diese anarchische Art freier
Rechtsfindung allgemein, auch für die Berufsrichter, einzuführen, anstatt