8 B. Inhalt der Reichsgesetze und Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung. 165
lichen Angelegenheiten (Wahlfähigkeit, Gemeindeverwaltung, Staatsverwaltung u. dgl.)
sollten an und für sich nicht der Reichszuständigkeit unterstellt werden 7.
Bezüglich des Ausdruckes „Staatsbürgerrecht“ heißt es im Schlußprotokoll
mit Bayern vom 23. November 1870, II: „Von Seite des Königlich Preußischen
Bevollmächtigten wurde anerkannt, daß unter der Gesetzgebungsbefugniß des
Bundes über Staatsbürgerrecht nur das Recht verstanden werden solle, die Bundes-
und Staatsangehörigkeit zu regeln und den Grundsatz der politischen Gleichberech-
tigung aller Konfessionen durchzuführen, daß sich im Uebrigen diese Legislative
nicht auf die Frage erstrecken solle, unter welchen Voraussetzungen Jemand zur
Ausllbung politischer Rechte in einem einzelnen Staate befugt sei.“ Hiernach ist
es gewiß, daß, selbst wenn nach dem Inhalte der Verfassung des Norddeutschen
Bundes auch andere und überhaupt alle Voraussetzungen der Ausübung staats-
bürgerlicher Rechte in den einzelnen Bundesstaaten bundesgesetzlich geregelt werden
durften, nach Inhalt der Reichsverfassung die Feststellung der Voraussetzungen,
unter welchen Jemand zur Ausübung der besonderen politischen Rechte in einem
einzelnen Bundesstaate befugt ist, im Allgemeinen der Landesgesetzgebung zusteht,
abgesehen davon, daß die Confession keine Voraussetzung sein darf?, und abgesehen
von den Folgen, welche strafgesetzlich mit Verurtheilungen, z. B. zu Zuchthaus-
strafe oder Ehrverlust, verbunden sind.
Bezüglich des Ausdrucks „Gewerbebetrieb“ wird durch Landmanns und
Seydel“ die Ansicht vertreten, daß darunter die sog. Urproductionen, insbesondere
der Bergbaubetrieb, nicht einbegriffen find. Dieser Anficht wird durch Hänels,
Labandé und Andere widersprochen, und zwar mit Recht7, weil das Wort Ge-
werbebetrieb im Sprachgebrauche des gewöhnlichen Lebens auch die gewerbsmäßige
Gewinnung und den gewerbsmäßigen Vertrieb von Bergwerkserzeugnissen umfaßt.
Es hätte gar keinen Sinn, anzunehmen, daß nach Art. 8 der Reichsverfassung ein
Reichsangehöriger in jedem anderen Bundesstaate zwar das Staatsbürgerrecht,
öffentliche Aemter und Grundeigenthum zu erwerben und daß er wohl die größten
Fabriken zu betreiben befugt sei, daß aber der Erwerb und Betrieb einer Kohlen-
grube von dieser Befugniß ausgenommen sein solle. Unzweifelhaft kann das Wort
Gewerbebetrieb in Art. 4 keinen anderen Sinn haben als in Art. 3. Uebrigens
hat die Reichsgesetzgebung in ebenso häufigen wie wichtigen Fällen auch über den
Bergbaubetrieb Vorschriften gegeben, z. B. über Koalitionsfreiheit der Bergarbeiter,
das Verbot des Trucksystems, über Sonntags-, Kinder= und Frauenarbeit, ohne daß
dies von irgend einer Seite beanstandet wurde s.
In Betreff des Immobiliarversicherungswesens ist unter IV des
Schlußprotokolls mit Bayern vom 28. November 1870 (B.-G.-Bl. 1871, S. 23)
derabredet worden, daß die vom Reiche zu erlassenden gesetzlichen Bestimmungen
in Bayern nur mit Zustimmung der bayerischen Regierung Geltung erlangen.
Unzweifelhaft gehören zum Versicherungswesen im Sinne der Ziff. 1 in Art. 4
auch die Arbeiterversicherungsgesetze.
Bezüglich des Ausdrucks. Kolonisation erklärte der Bundeskommissar
d. Savigny im verfassungsberathenden Reichstage?, daß dabei „vorläufig“ an die
Errichtung von Flottenstationen gedacht war, damit sollte aber nicht ausgeschlossen
sein, „daß die Gesetzgebung sich auch überhaupt mit Kolonisationsfragen beschäftigen
kann“. Jedenfalls ist das Kolonisationswesen der Zuständigkeit der Einzelstaaten
entzogen und der Reichsgesetzgebung unterstellt 15.
1 Ebenso Hänel, Staatsrecht, I, S. 617.
5 Staatsrecht, I. S. 687 ff.
1 Uebereinstimmend Seydel, Comm., S. 64;
* I, S. 189, Anm. 2.
val. Sten. Bericht des Reichstages 1870, II
(außerordentliche Session 1870, S. 147); val.
a änel, Staatsrecht, 1. S. 359 f., 612.
werbeordnung, 2. Aufl., S. 24 ff.
* Comm., S. 65 ff.; vgl. auch Erklärung des
Neichsstaatssekretärs Nieberding am 11. De-
zember 1896 im deutschen Reichstage.
7 Vl. Arndt, in der Deutschen Juristen-
Zeitung 1897, Nr. 16.
§s Auch nicht von dem bayerischen Bundes-
rathsbevollmächtigten v. Landmann.
* Sten. Ber. des Reichstages 1867, S. 271.
10 Vgl. auch Laband, I, S. 758 f., Sey-
del, Comm., S. 68.