8 24. Berhältniß der Reichs- zur Landesgesetzgebung u. s. w. 175
Ermessen zu bestimmende Entschädigung nehmen, mag diese als Abgabe bezeichnet
werden oder nicht. Ebenso können die Grundbesitzer, wenn ihnen (in der Provinz
Hannover) das Salz gehört, für die Ueberlassung des Salzgewinnungsrechts Ent-
schädigung nehmen.
Salz im Sinne des Art. 35 find nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch
nicht bloß Kochsalz (Chlornatrium), sondern auch alle Kali= und Magnesiasalze 1.
Aus dem Umstande, daß die in Art. 35 bezeichneten Gegenstände der aus-
schließlichen Zuständigkeit des Reiches unterstellt find, folgt, daß die einzelnen
Bundesstaaten selbst nicht auf ihre Kosten Ausnahmen von den reichsgesetzlichen
Vorschriften zulassen können, es sei denn, daß ihnen dazu vom Reichsgesetzgeber
besondere Ermächtigung ertheilt ist.
Die Frage, ob ein Landesgesetz oder eine Landesverordnung ungülltig sei, weil
sie direct oder indirect einem Reichsgesetze widerspricht, z. B. auf einem Gebiete
erlassen ist, welches der ausschließlichen Reichszuständigkeit unterliegt und ohne daß
reichsgesetzlich eine besondere Ermächtigung dem Landesgesetze oder einer Landes-
verordnung ertheilt ist, oder weil sie eine Materie betrifft, welche der Reichsgesetz-
geber erschöpfend regeln wollte, oder weil sie gar etwas gebietet oder verbietet, was
einem Reichsgesetze direct zuwiderläuft, haben die Gerichte in jedem Falle zu prüfen.
Die Vorschrift der Preußischen Verfassung (Art. 106), daß die Gerichte die
Gültigkeit gehörig verkündeter (Gesetze und) Königlicher Verordnungen nicht zu prüfen
haben, bezieht sich nicht auf die Collision zwischen Reichs= und Landesrecht, sie
betrifft nur die Frage, ob nach dem specifischen Landesrecht ein folches Gesetz oder
eine solche Verordnung gültig sind, nicht ob ein entgegenstehendes Reichsgesetz
besteht ?. Die letzte Entscheidung über Fragen dieser Art hat somit das Reichs-
gericht zu treffen. Handelt es sich um Fälle, die nicht durch die Gerichte zu ent-
scheiden find und die Verwaltungsbehörden zu regeln haben, so kommt insoweit hier
das Beaufsichtigungsrecht des Reiches zur Anwendung. Es hat in solchen
Fällen, d. h. soweit es sich nicht um die Gerichte handelt, die letzte Entscheidung
der Bundesrath. Zweifellos kann der Bundesrath auch in Fällen seine Ansicht
äußern, welche später von den Gerichten zu entscheiden sind. Seine Ansicht ist
dann indeß nicht für die Gerichte bindend (§ 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes).
So hat der Bundesrath durch Beschluß anerkannt (Protokolle 1873, § 134), daß
der Erlaß landesgesetzlicher Bestimmungen in Beziehung auf Forst= und Feldpolizei-
straffälle und auf Holz-(Forst-)Diebstahl durch § 2, Abs. 1 des Einführungsgesetzes
zum Strafgesetzbuch nicht ausgeschlossen sei. Schwerlich wird das Reichsgericht diese
Ansicht für irrig halten.
Wenn der Bundesrath die Ansicht geäußert haben sollte, daß als Salze im
Sinne des Art. 35 der Reichsverfassung die Kalisalze nicht anzusehen seien und daß
letztere daher noch der landesgesetzlichen Besteuerung unterworfen seien, so hatte
diese Aeußerung nur bis auf Weiteres Kraft für die Landesregierungen, nicht für
die Gerichte, welche dann auch thatsächlich die entgegengesetzte Entscheidung getroffen
haben. Nach dieser hatten sodann auch die Landesregierungen zu verfahren 8.
Die Wirkung des Reichsgesetzes ist die der höchsten Autorität im Deutschen
Neiche. Das Reichsgesetz kann nur wieder durch Reichsgesetz aufgehoben, abgeändert
oder authentisch interpretiert werden. Niemand, weder der Kaiser, noch der
Bundesrath, noch ein Bundesstaat kann von seiner Befolgung entbinden; es sei
denn, daß der Reichsgesetzgeber hierzu besondere Ermächtigung ertheilt hat. Das
Gesetz ist Gesetz, sobald es als Gesetz verkündet ist, nicht erst von dem Tage an, an
welchem es in Kraft tritt. Daher kann ein Gesetz, auch wenn es noch nicht in
Kraft getreten ist, nur durch Gesetz abgeändert oder aufgehoben werden").
Von zwei Reichsgesetzen hat das jüngere den Vorrang. Das Alter bestimmt
1 Vgl. auch das S. 174, Anm. 3 angezogene! 2 S. auch Seydel, Comm., S. 43.
Erkenntniß des Reichsgerichts. 4 Diez ist unstreitig; s. auch Laband, I,
* Ebenso Laband, 1, S. 595, H. Schulze, S. 548.
Preuß. Staatsr., II, S. 247.