##26. Erschwerte Gesetzgebung u. s. w. 197
bevor sie im Bundesrath zur Beseitigung oder Beschränkung eines Sonderrechts
ihre Zustimmung erklärt, zuvor stets die Einwilligung des Landtages einholen
müsse, auch wenn kein Landesgesetz dies anordnet. Laband hält eine landes-
gesetzliche Bestimmung für statthaft, nach welcher der Verzicht auf ein Sonderrecht
nur nach vorgängiger Genehmigung des Landtags erfolgen darf; indeß begründe
eine Verletzung dieser Bestimmung zwar keine Ungültigkeit gegenüber dem Reiche,
wohl aber die Verantwortlichkeit des Ministeriums dem Landtage gegenüber.
Die letztangeführte Ansicht ist die richtige aus folgenden Gründen:
Es giebt im öffentlichen wie im Privatrechte Fälle, daß eine Erklärung dem
Erklärenden und ein Rechtsgeschäft dem es Abschließenden untersagt oder nur be-
dingungsweise gestattet find, aber wenn gleichwohl die Erklärung abgegeben und
das Rechtsgeschäft abgeschlossen worden, diese nach außen hin und Dritten gegenüber
rechtsverbindlich find; so z. B. wenn eine an sich zuständige Staatsbehörde unter
Verletzung des Etatsrechts Anstellungen von Beamten vornimmt und Ankäufe für
den Staat bewirkt, oder wenn der Magistrat einer Stadt mit Geldausgaben ver-
bundene Rechtsgeschäfte Namens der Stadt ohne zuvorige Genehmigung dieser
Ausgaben durch die Stadtverordneten abschließt 2. Bezüglich der Abstimmung im
Bundesrath hat dieser nur zu prüfen, ob der Bevollmächtigte eine gehörige Voll-
macht hat, nicht aber, ob er gemäß der ihm ertheilten Instruction abstimmt ?.
Die Stimme gilt im heutigen Reiche wie im ehemaligen Deutschen Bunde dem
Reiche und dem Bunde gegenüber nicht wie sie hätte abgegeben sein sollen, sondern
wie fie thatsächlich abgegeben ist. Die Landesgesetzgebungen und also die Landes-
vertretung haben dies gewußt und gewollt; sie haben durch Annahme der Bundes-
(Neichs-) Verfassung als für den Staat verbindlich erklärt, was Namens dieses
Staates im Bundesrathe durch seine Bevollmächtigten erklärt wird. Darüber, wer
die Bevollmächtigten bestellt, was ihnen als Instructionen zu ertheilen ist, ob und
wem sie für die Befolgung der Instruction verantwortlich find, darüber enthält
die Reichsverfassung, bezw. das diese annehmende Landesgesetz nichts, und daher ist
es ein Internum des Staates geblieben. Da der Souverän in Deutschland die
Staaten vertritt und die Gesandten ernennt und instruirt, so ist es der Souverän,
welcher die Bundesrathsbevollmächtigten bestellt und ihnen die Instructionen
ertheilt. Wie aber das Staatsministerium für die Bestellung und Instruction
jedes Gesandten der Landesvertretung verantwortlich ist, so ist es dies auch be-
züglich der Bevollmächtigten zum Bundesrathe und der Stimmführung der vom
Staate bestellten Bundesrathsmitglieder. Nirgends und niemals ist den Landes-
vertretungen angesonnen, Verzicht zu leisten auf die Verantwortlichkeit des
Ministeriums für die Staatsgeschäfte, welche sich auf das Reich beziehen ". Es
steht daher nichts entgegen, daß die Landesvertretungen das Staatsministerium für
die Aufgabe eines Sonderrechts verantwortlich machen, oder daß ein Landesgesetz
ergeht, welches dem Staatsministerium zur Pflicht macht, die Instruction zur
Aufgabe eines Sonderrechtes nur im Einvernehmen mit der Landesvertretung zu
ertheilen S. Richtig ist nur, daß, wenn unter Verletzung eines solchen Landesgesetzes
oder gegen die ertheilte Instruction der Bundesrathsbevollmächtigte für die Aufgabe
des Sonderrechtes stimmt oder, was auf dasselbe hinausläuft, dieses Sonderrecht
im gegebenen Falle nicht geltend macht, das Sonderrecht, je nach Lage der Ver-
Hltnisse, entweder allgemein oder für den gegebenen Fall verlorengegangen ist.
Was ist nun unter den bestimmten Rechten, welche einzelnen Bundesstaaten
in deren Verhältniß zur Gesammtheit zukommen und welche nur mit Zustimmung
bes berechtigten Bundesstaates abgeändert werden können, zu verstehen? Hierüber
bestehen im Wesentlichen zwei Ansichten. Die eine" geht dahin, daß in dem Art. 78,
Abs. 2 kein neuer Rechtsgrundsatz habe aufgestellt werden sollen, sondern daß es
1 Reichsstaatsrecht, 1I, S. 108. 6 Siehe oben S. 55.
„Arndt, im Arch. f. öffentl. Recht, 1882, * Laband, Staatsrecht, I, S. 106, Sey-
S. 322 ff., Erk. des Reichsoberhandelsgerichts v. del, Comm., S. 419 ff., Delbrück, Art. 40 der
24. April 1874, Entsch. Bd. XIII, S. 332. zeichsverfossang, S. 2, und der sächsische Mi-
1 Sete oben S. 43. nister v. Friesen, auf dessen Anregung Abf. 2
Siehe oben S. 44. in Art. 78 ausgenommen wurde.