Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 29. Die freie Bewegung der Reichbaugehdrigen im Reiche. 215 
sonstige Reisepapiere, sowie andere Legitimations-Urkunden haben, wenn fie von der 
zuständigen Behörde eines Bundesstaates des Deutschen Reiches ausgestellt find, 
Gültigkeit für das ganze Reichsgebiet. 
Wenn die Sicherheit des Reiches oder eines Bundesstaates oder die bffentliche 
Ordnung durch Krieg, innere Unruhen oder sonstige Ereignisse bedroht erscheint, 
kann? die Paßpflichtigkeit überhaupt oder für einen bestimmten Bezirk?, oder zu 
Reisen aus oder nach bestimmten Staaten des Auslandes durch Anordnung des 
Kaisers vorübergehend eingeführt werden (§ 9 des Gesetzes v. 12. Oktober 1867). 
Polizeiliche Beschränkungen der Eheschließung. 
Polizeiliche Beschränkungen der Eheschließungen find durch das Gesetz 
über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung vom 
4. Mai 1868 (B.-G.-Bl. 1868, S. 149) aufgehoben, welches Gesetz — abgesehen 
von Bayerns und Elsaß-Lothringen — im ganzen Reichsgebiete gilt. 
Danach bedürfen Reichsangehfßdrige zur Eingehung einer Ehe oder zu der damit 
verbundenen Gründung eines eigenen Haushalts weder des Besitzes, noch des Er- 
werbes einer Gemeindeangehörigkeit (Gemeindemitgliedschaft) oder des Einwohnerrechtes, 
noch der Genehmigung der Gemeinde (Gutsherrschaft) oder des Armenverbandes, noch 
einer obrigkeitlichen Erlaubniß. Insbesondere darf die Befugniß zur Verehelichung 
nicht beschränkt werden wegen Mangels eines bestimmten, die Großjährigkeit über- 
steigenden Alters oder des Nachweises einer Wohnung, eines hinreichenden Ver- 
mögens oder Erwerbes, wegen erlittener Bestrafung, bösen Rufes, vorhandener oder 
zu befürchtender Verarmung, bezogener Unterstützung oder aus anderen polizeilichen 
Gründen. Auch darf von der ortsfremden Braut ein Zuzugsgeld oder eine sonstige 
Abgabe nicht erhoben werden. 
Verbot der Doppelbesteuerung. 
Die freie Bewegung wird endlich begünstigt durch das im ganzen Reichs- 
gebiet geltende Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870 
(B.-G.-Bl. 1870, S. 119). Ein Reichsangehöriger darf, außer in den nach- 
benannten Fällen (§§ 3 und 4), zu den direkten Staatssteuern nur in demjenigen 
Bundesstaate herangezogen werden, in welchem er seinen Wohnsitz, d. h. eine 
Wohnung unter Umständen inne hat, welche auf die Absicht der dauernden Bei- 
behaltung einer solchen schließen lassen. Der Grundbesitz und der Betrieb eines Ge- 
werbes, sowie das aus diesen Quellen herrührende Einkommen darf nur von dem- 
jenigen Bundesstaate besteuert werden, in welchem der Grundbesitz liegt oder das 
Gewerbe betrieben wird (§ 3). Gehalt, Pension und Wartegeld, welche deutsche 
Militairpersonen oder Civilbeamte, sowie deren Hinterbliebene aus der Kasse eines 
Bundesstaates beziehen, find nur in demjenigen Staate zu besteuern, welcher die 
Zahlung zu leisten hat (§ 4). Ein Reichsangehöriger, welcher in keinem Bundes- 
staate einen Wohnsitz hat, darf nur in demjenigen Staate, in welchem er sich auf- 
hält, zu den direkten Staatssteuern herangezogen werden. Hat ein Reichsangehöriger 
in seinem Heimathsstaate und außerdem in anderen Bundesstaaten einen Wohnsitz, 
so darf er nur in dem ersteren zu den direkten Staatssteuern herangezogen 
werden. In Reichs= oder Staatsdiensten stehende Reichsangehörige dürfen nur in 
ben aesstat besteuert werden, in welchem fie ihren dienstlichen Wohnfitz 
aben (§ 2). 
Armenwesen. 
Die freie Bewegung wird auch erleichtert durch die moderne Armengesetz- 
Lebung. Die staatliche Fürsorge für die Unterstützung der Hülfsbedürftigen 
  
1 Dies gilt auch für Bayern, ferner ohne 2 3. B. für die aus Rußland Kommenden oder 
daß zuvor der Belagerungszustand (Art. 68 der die nach Elsaß-Lothringen Reisenden. 
Neichsverfaffung) erklärt ist. 2 Siehe für Bayern oben S. 54, Absf. 2.
	        
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