Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

216 Fünftes Buch. Die Verwaltung des Innern. 
beginnt in Deutschland etwa nach der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. 
Die Verpflichtung der Fürsorge lag der Gemeinde ob und war an die Verleihung 
des Heimathrechts geknüpft; daher bestanden Beschränkungen in der Aufnahme 
neu Anziehender. Das preußische Gesetz über die Verpflichtung zur Armenpflege 
vom 31. Dezember 1842 (G.-S. 1848, S. 8) verband die Verpflichtung zur 
Unterstützung auch mit der thatsächlichen Wohnsitznahme. Auf seiner 
Grundlage beruht das, abgesehen von Elsaß-Lothringen und Bayern, im 
ganzen Deutschen Reiche geltende Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 
1870 (B.-G.-Bl. 1870, S. 360 1), theilweise abgeändert durch Gesetz vom 12. März 
1894 (K.-G.-Bl. 1894, S. 259). Das Gesetz vom 6. Juni 1870 stellt an seine 
Spitze den Grundsatz, daß jeder Reichsangehörige? in jedem Bundesstaate in Bezug 
a) auf die Art und das Maaß der im Falle der Hülfsbedürftigkeit zu gewährenden 
Unterstützung, b) auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes als 
Inländer zu behandeln ist. Die endgültige Verpflichtung zur Unterstützung 
wird an den Unterstützungswohnsitz geknüpft. Der Erwerb des Unter- 
stützungswohnsitzes ist theils ein abgeleiteter, theils ein selbstständiger. 
Der abgeleitete Erwerb wird begründet durch Verehelichung und Ab- 
stammung (§ 9). Zur Familie im armenrechtlichen Sinne gehören Alle, welche 
an den Unterstützungswohnsitzverhältnissen des Familienhauptes theilnehmen . 
Selbstständig, d. i. unabhängig von den Unterstützungswohnsitzverhältnissen des 
Familienoberhauptes, wird der Unterstützungswohnsitz durch den Aufenthalt (69,a) 
erworben, und zwar ohne Rücksicht auf ein gewisses Lebensalter, mit der Auflösung der 
Familiengemeinschaft durch den Tod des Familienhauptes (§§ 16, 18—21), Scheidung 
(§ 16) oder thatsächliche Trennung der Eheleute in den Fällen des § 17, sodann da- 
durch, daß Jemand innerhalb eines Ortsarmenverbandes seinen gewöhnlichen Aufenthalt 
zwei Jahre lang ununterbrochen nach Erreichung des armenmündigen Alters gehabt 
hat, das ursprünglich 24 Jahre betrug, seit dem Gesetz vom 12. März 1894 auf 
18 Jahre herabgesetzt ist (§ 10). Für den Aufenthalt in diesem Sinne ist regel- 
mäßig die persönliche Anwesenheit entscheidend, nicht dagegen, wo das Domicil im 
eivilrechtlichen Sinne war, wo Steuern gezahlt oder das Gemeindebürgerrecht be- 
standen hat"; noch ob an dem Aufenthaltsorte ein eigener Hausstand geführt oder 
ob eine eigene Wohnung inne gehabt warö, noch ob die Person polizeilich an- 
oder abgemeldet?, oder ob ihr Aufenthalt ein befugter war?'. Die zweijährige 
Frist läuft von dem Tage, an welchem der Aufenthalt begonnen ist. Durch den 
freiwilligen 3 oder unfreiwilligen Eintritt in eine Kranken-, Bewahr= oder Heil- 
anstalt (als Pflegling, nicht als Arzt, Wärter) wird jedoch der Aufenthalt nicht 
begonnen (§ 11). Wird der Aufenthalt unter Umständen begonnen, durch welche 
die Annahme der freien Selbstbestimmung bei der Wahl des Aufenthaltsortes aus- 
geschlossen wird, so beginnt der Lauf der zweijährigen Frist erst mit dem Tage, an 
welchem diese Umstände aufgehört haben. Treten solche Umstände erst nach Beginn 
des Aufenthalts ein, so ruht während ihrer Dauer der Lauf der zweijährigen Frist 
(§ 12). Daher ruht die Frist während der Zeit des Zwangsaufenthalts in einer 
Strafanstalt oder einem Irrenhause, desgleichen während der Zeit, in der Jemand 
aus polizeilichen Gründen (Geschlechtskrankheit, Pocken) internirt war?. Als 
  
1 Commentar von Wilhelm Wohlers, 
S#ufl. bearbeitet durch Dr. J. Krech, Berlin XXI 
2 Bayern und Elsah-Lothringer Gelten im 
Sinne des Gesetzes als Ausländer; Entsch. des 
Bundesamts für das Heimathwesen, Bd. VIII, 
S. 140, Bd. IX, S. 122, Bd. XII, S. 145, 
Bd. XIII, S. 119, Bd. XXVI, S. 150 a. a. O. 
2 Entsch. des Bundesamts f. das Heimath- 
wesen, Bd. II, S. 18, Bd. VI, S. 13, Bd. XlI, 
17, Bd. XIV, S. 25, Bd. XVII, S. 43, 
Bd. XXIII, S. 26, 151, Bd. XXIV, S. 34, 
Bd. XXVI, S. 31. 
4 Entsch. des Bundesamts f. das Heimath- 
  
wesen, Bd. XIII, S. 3, Bd. XVI, S. 1, Bd. 
b S. 2 a. a. O. 
6 gutsch. des Bundesamts, Bd. IV, S. 18, 
Bd. VII, S. 1, Bd. XIV, S. 1 a. a. O. 
6 Entsch. des Bundesamts, Bd. II, S. 5, Bd. 
VI, S. 2, 3 a. a. O. 
7 Entsch. des Bundesamts, Bd. IV, S. 76, 
Bb. VI, S. 3. 
s Entsch. des Bundesamts, Bd. II, S. 9, Bd. 
XII, S. 3, Bd. XIV, S. 9, Bd. XVI, S. 3, 
Bd. XXII, S. 10, Bd. XXIV, S. 2. 
r Guisch des Bundesamts, Bd. V. S. 2, Bd. 
III, S. 11 a. a. O.
	        
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