Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 36. Das Reichshanshalts-Etatsgesetz. 321 
Krieges gezwungen werde. Nachdem man hatte zugeben müssen, daß ein ähnlicher 
Antrag seit der Revolution nicht gestellt worden sei, beschloß das Haus mit großer 
Majorität, mit der Budgetberathung vorzugehen. In derselben Sitzungsperiode 
stellte Lord Rockingham im Hause der Lords den Antrag, die dritte Lesung der Grund- 
steuerbill bis dahin zu verschieben, daß über die Ursachen des Rückzuges von Admiral 
Kempenfeldt Aufschluß ertheilt sei. Er ließ es indeß nicht zur Abstimmung kommen.“ 
„Der Fall des Jahres 1784 ist das einzige Beispiel, daß die Gemeinen sich 
ihrer Befugniß bedient haben, mit Bewilligung der Geldmittel zurückzuhalten. Die 
Krone hatte sie dazu durch verfassungswidrige Beeinflussungen gereizt. Das Mittel 
versagte aber im Augenblicke der höchsten Noth!, — man hat zu demselben nie 
wieder seine Zuflucht genommen. Die Gemeinen find sich ihrer großen Verant- 
wortlichkeit zu wohl bewußt, um ein so bedenkliches Verfahren einzuschlagen. Die 
Geldinstitute und der Credit des Staates hängen von den Bewilligungen des 
Hauses der Gemeinen ab; man darf nicht unbedacht eine Stockung herbeiführen. 
Es bedarf aber auch dieses Mittels nicht, um die Exekutive willfährig zu machen, 
da nicht minder erfolgreich in anderer Art auf die Leitung der Staatsgeschäfte 
eingewirkt werden kann.“ 
„Den Lords steht bei Fragen des Ausgabebudgets außer der formellen Ge- 
nehmigung der Appropriation-Acte keine Stimme zu. Nach Geist und Form der 
Verfassung ist ihnen eine solche versagt.“" 
„Nicht minder ausschließlich ist das Recht der Gemeinen, Steuern zu be- 
willigen und die Mittel für die Staatsausgaben aufzubringen. Diese Berechtigungen 
sind in der That untrennbar und beruhen auf denselben Grundsätzen. Lord 
Chatam sagt: „Die Besteuerung bildet keinen Theil der Befugnisse der Staats- 
regierung oder der Gesetzgebung. Steuern find eine freiwillige Gabe und Zubilligung 
der Gemeinen allein. Bei der Gesetzgebung find die drei Factoren des Staates 
gleichmäßig betheiligt; der Mitwirkung der Peers wie der Krone bei einer Steuer 
bedarf es aber nur, um sie in die Form eines Gesetzes zu kleiden. Die Gabe 
und die Bewilligung steht ausschließlich den Gemeinen zu.“ Auf diesen Grundsätzen 
beruht die Behauptung der Gemeinen, daß eine Geldbill unantastbar, der Amen- 
dirung unzugänglich ist. Bei dem, was fie geben und bewilligen, dulden fie keine 
Einmischung.“ 
Im Jahre 1860 hatten die Commons die Vermögens= und Stempelsteuer 
erhöht, die Papiersteuer aber aufgehoben. Dies mißfiel dem Oberhause, weshalb 
es beschloß, die zweite Lesung auf sechs Monate hinauszuschieben. Das Unterhaus 
erblickte darin einen Eingriff in seine Rechte. Der Conflict wurde im Sinne des 
Unterhauses auf Vermittlung von Lord Palmerston durch die Annahme von 
sast einstimmig gefaßten Resolutionen beendet, in denen ausgesprochen wird, daß 
das Recht, Geldmittel der Krone zu bewilligen, den Gemeinen allein zusteht, und 
daß es in der Hand des Unterhauses liege, die Steuern in der Art aufzuerlegen 
und wieder aufzuheben und die Geldbewilligungsbill in der Weise zu fassen, daß 
nach Inhalt, Art, Maß und Zeit eine Verletzung des Rechts der Gemeinen un- 
möglich ist. 
Es kommt für den Zweck dieser Untersuchung weniger darauf an, wie das 
englische Budgetrecht wirklich gestaltet ist, als darauf, wie es in den Jahren 1848 
und 1849 in Preußen verstanden wurde; deshalb sollen nur noch in Kürze einige 
weit verbreitete Mißverständnisse aufgeklärt werden. Man unterscheidet in dem vom 
Unterhause regierten England heute, namentlich seit den Gesetzen 17 and 18 Victoria 
c. 94 (1854) und 19 and 20 Victoria c. 59 (1856), permanente und nicht 
permanente Ausgaben. Die ersteren find aus dem consolidirten Fonds zu leisten, 
ohne daß es einer erneuten parlamentarischen Ermächtigung bedarf. Auch können 
die Steuerzahler sich nicht weigern, vom Parlament dauernd bewilligte Steuern 
1 Weil Pitt im sichern Gefühle der um- 2 Todd, Parlamentarische Regierung, I, 
geschlagenen Volksstimmung das Unterhaus auf-S. 407. 
löste und eine große Mehrheit für sich erzielte. 
Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Neiches. 21
	        
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