30 Erstes Buch. Entstehung des heutigen Deutschen Reiches.
Was bedeuten nun diese Landesgesetze? Nach Laband! und Zorns nur,
daß der Staat mit dem Inkrafttreten der Verfassung des Norddeutschen Bundes,
also vom 1. Juli 1867 zum Norddeutschen Bunde gehörte. Nach Hänels
einmal pofitiv, daß die Bundesverfassung dem Augustbündnisse entspreche, und
sodann negativ, daß die Bestimmungen der Landesgesetze außer Kraft gesetzt
wären, die den Wirkungen der norddeutschen Bundesverfassung im Wege standen.
Dies ist zwar nicht unrichtig, doch nicht vollständig und nicht den Kern treffend.
Das Landesgesetz bedeutet, daß in Preußen vom 1. Juli 1867 an als für die
preußischen Unterthanen verbindliche Normen erklärt wurden, was Alles auf Grund
und nach Maßgabe dieses neuen Landesgesetzes (nämlich der Bundesverfassung) vom
Bunde beschlossen werden wird. Hierzu bedurfte es eines Landesgesetzes, weil ohne
ein solches der Staat Preußen auch nicht in einem völkerrechtlichen Vertrage
(preuß. Verf.-Urkunde, Art. 48) rechtswirksam Jemandem, einem Bundesrathe oder
einem Reichstage oder beiden zusammen, das Recht übertragen konnte, für preußische
Staatsunterthanen Strafnormen aufzustellen (preuß. Verf.-Urk., Art. 8), Steuern auf-
zuerlegen (Art. 100 das.), die Bedingungen des Indigenats für Preußen festzustellen
(Art. 3 das.), Proceß= oder bürgerliche Gesetze zu geben (Art. 5, 6, 7 a. a. O.) u. s. w.
Es bedurfte eines verfassungändernden Gesetzes, weil die dem preußischen
Landtage verfassungsmäßig zustehenden Befugnisse durch die Bundesverfassung Ein-
buße erlitten, indem an Stelle der Gesetzgebung durch die Krone und die beiden
Häuser des preußischen Landtages in vielen Fällen die durch Bundesrath und
Reichstag gesetzt wurde. Darüber ist man sich in der preußischen Gesetzgebung
absolut klar gewesen. Die Verfassung für den Norddeutschen Bund ist in Preußen
auf Grund der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 als rite
beschlossenes und verkündetes Landesgesetz erlassen und deshalb, nicht wegen irgend
eines Bündnisses oder völkerrechtlichen Vertrages, ist ihr Inhalt verbindliche
Landesnorm geworden". Dieser mit den Absichten der Schöpfer der norddeutschen
Bundesverfassung übereinstimmende Satz5 wird in der Theorie meist, indeß mit
Unrecht, bestritten. Hänel“ stellt den von den meisten Staatsrechtslehrern als
unwiderleglich bezeichneten Satz auf, daß die Bundesverfassung einen für das Landes-
recht jedes einzelnen Staates unmöglichen Inhalt habe, sie setze einen Verein
von Staaten voraus, dessen Organisation sie bestimme; ein Landesgesetz könne aber
nur solche Gegenstände rechtlich regeln, welche in das Herrschaftsgebiet dieses
Staates fallen, nicht solche, welche die Coexistenz mehrerer Staaten voraussetzen.
Hiergegen ist zu bemerken, daß die norddeutsche Bundesverfassung doch thatsächlich
als Landesgesetz erlassen ist?, daß sie ferner zwar nicht ausschließlich, aber doch
stets und überall auch preußische Verhältnisse betrifft und daß das sie in Preußen
einführende Landesgesetz überall preußische Angelegenheiten regelt. Denn auch die
Stimmen Sachsens und der Sachsen, Mecklenburgs und der Mecklenburger im
Bundesrathe wie im Reichstage gehen Preußen an; fie beschließen ja mit über
Gesetze und Einrichtungen, die auch für Preußen verbindlich und mit Geldausgaben
verknüpft sind. Sächsische und mecklenburgische Truppen schützen Preußen mit und
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1 I, S. 28. 6 Vertrogsmähige Elemente, S. 53 f., 75 ff.;
*e 1. S. 29 s. auch Laband, 1, S. 25; Zorn, I, S. 27,
2 Vertragsmäßige Elemente, S. 76; Staats= der die gegentheilige Ansicht als durch Hänel
recht, S. 29 definitiv beseitigt erachtet.
4 Aehnlich W. v. Seydel, GCommenter z. Im Publicandum König Wilhelm's
a
Verfassungsurkunde, S. 5 ff. a. a.
So z. B. Rede Lasker's am 5. Dec. 1870
im Reichstage (Sten. Ber. 2. außerordentl. Session
1870, S. 86): „Es kam (im Jahre 1867) ein con-
1867) heißt es: „Wir Wilhelm u. s. w. thun
w.: Nachdem die Verfassung des
Norddeutschen Bundes von den verbündeten
vom 24. Bn7P 1867 (Staatsanzeiger v. 24. Juni
kund u. f.
tituirender Reichstag zu Stande, der diesen Namen! Fürsten und freien Städten mit dem Reichstage
ührte, in Wahrheit aber nur ein berathendes
vereinbart worden ist und die Zustimmung
otum hatte, denn es mußte die hier verein= beider Häuser des Landtages der Monarchie er-
barte Verfassung allen einzelnen Staaten vor-
gelegt werden, und sie kam so zu Stande,
wie die gewöhnlichen Landesgesetze zu
Stande zu kommen pflegenr.“
halten hat, verkündigen Wir nachstehend die
gedachte Verfassung und bestimmen zugleich,
daß dieselbe — am 1. Juli d. J. in Kraft
treten soll.“