56 Zweites Buch. Angehörige und Gebiet des Deutschen Reiches.
Unter Niederlassung ist nichts Anderes zu verstehen als der Besitz einer
eigenen Wohnung oder eines Unterkommens in der betreffenden Gemeinde in Ver-
bindung mit der erklärten Absicht, seinen Aufenthalt daselbst zu nehmen (Sten.
Ber. des Reichstages 1870, I, S. 260). Als Unterkommen gilt auch eine
bloße Schlafstelle. Eigener Haushalt wird nicht gefordert. Auch After-
miethe eines Unterkommens genügt. Auch der Dienstbote in einem fremden
Haushalte oder der Gehilfe in einem fremden Gewerbebetriebe können die Aufnahme
fordern (Miquel in den Sten. Ber. des Reichstags 1870, I, S. 260, v. Seydel
in Hirth's Annalen 1870, S. 140, Anm. 4). Dagegen ist Niederlassung
nicht gleichbedeutend mit Aufenthalt. Letzterer kann ein vorübergehender Zu-
stand sein; unter ersterer versteht man die Begründung eines dauernden,
ständigen Aufenthaltsverhältnisses. (Ebenso Erk. des Oberverwaltungs-
gerichts vom 11. Nov. 1891, Entsch. Bd. XXII. S. 394; vgl. noch v. Seydel
in Hirth's Annalen 1876, S. 140 und S. 160, Anm. 5.) Ein heimlicher oder
ein verbotener, wenn auch nicht vorübergehender Aufenthalt ist keine Nieder-
lassung (vgl. auch Arndt, Comm. z. Reichsverf., S. 318).
Die Aufnahmeurkunde kann versagt werden, oder, anders ausgedrückt, ein im
Verwaltungsrechtswege erzwingbarer Anspruch auf Ertheilung der Aufnahmeurkunde
besteht nicht, sofern ein Grund vorliegt, „welcher nach den §§ 2—5 des Gesetzes
über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (Bundesgesetzbl. S. 55) die Ab-
weisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des Aufenthaltes
rechtfertigt". Das Nähere hierüber wird bei dem Abschnitt über die Freizügig-
keit weiter unten vorgetragen werden.
Denjenigen, welche die Anforderungen des § 7 des Gesetzes vom 1. Juni 1870
erfüllen, muß die Aufnahme gewährt werden. Die Landesregierungen sind indeß
nicht gehindert, wenn fie wollen, auch solchen Personen, welche die Erfordernisse
des § 7 nicht erfüllen, also z. B. sich noch nicht niedergelassen haben, die Auf-
nahme zu gewähren (Laband, Reichsstaatsrecht, 1. S. 158, Anm. 5, Zorn,
Reichsstaatsrecht, I. S. 8361, G. Meyer, Staatsrecht, 5 76, Cahn, S. 54).
In den Fällen, in denen ein Anspruch auf die Aufnahme besteht, ist in
Preußen die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zulässig, Zuständigkeitsges. vom
1. August 1883, G.-S. S. 237, § 155; s. auch G. Meyer, Verwaltungsrecht,
§ 43, Anm. 15. Da dem Reiche die Ausfsicht über die in Artikel 4 der Reichs-
verfassung bezeichneten Gegenstände und nach Artikel 17 dem Kaiser die Ueber-
wachung der Ausführung der Reichsgesetze zusteht, so kann ein Streit über die.
Verpflichtung zur Aufnahme auch zur Cognition des Reiches gebracht werden.
Hier entscheidet endgültig über solche Streitigkeiten der Bundesrath gemäß
Ertiktl 7 Ziff. 8 der Reichsverfassung (Arndt, Commentar z. Reichsverfassung,
119).
Die Staatsangehörigkeit wird durch Naturalisation erworben (§ 8 des
Gesetzes vom 1. Juni 1870). Naturalisirt werden nur Ausländer, d. h. Nicht-
reichsangehörige. Ein Recht auf Naturalisation ist in § 8 des Gesetzes
Niemandem gegeben (Motive zu § 8), so daß jede Regierung in der Lage bleibt,
„einem Ausländer die Staatsangehörigkeit zu verweigern, auch wenn die in § 8
aufgezählten Voraussetzungen, welche nur als Minimum der zu stellenden An-
forderungen erscheinen, erfüllt sind“. Nur die im Reichsdienste angestellten Aus-
länder haben ein Recht auf Naturalisation (§9, Abf. 1 des Gesetzes v. 1. Juni 1870
und Gesetz, betr. die Naturalisation von Ausländern, welche im Reichsdienst an-
gestellt sind, vom 20. December 1875, R.--G.-Bl. S. 324).
§ 8 des Gesetzes vom 1. Juni 1870 gestattet die Ertheilung der Naturali-
sationsurkunde „nur dann, wenn“ die von ihm angeführten Bedingungen erfüllt
werden. Daraus folgt, daß die Landesbehörden von den in diesem § 8 ent-
haltenen Bedingungen nicht dispensiren können (Arndt, Verordnungsrecht,
S. 228 f., Laband, Reichsstaatsrecht, I., S. 160, Zorn, Reichsstaatsrecht, 1,
S. 358, v. Seydel in Hirth's Annalen 1876, S. 141, Arndt, Comm., S. 314).
Daraus ergiebt sich ferner, daß die Landesgesetze und Landesbehörden die Naturali=
sation in noch anderen Fällen ausschließen oder an noch andere Voraussetzungen