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modernen Staate kein privatrechtliches Eigenthum oder Obereigenthum, wie das
des Rhmischen Staates an den Provinzen gewesen ist; es ist Herrschaft,
imperium. Dies Recht des Staates in Bezug auf das Staatsgebiet wird als
Gebietshoheit bezeichnet. Diese ist nichts Anderes als die Staatsgewalt
selbst (val. hierzu C. Fr. v. Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen
Staatsrechts, § 22). Es ist fraglich, ob im Deutschen Reiche die Gebietshoheit
dem Reiche allein oder den Einzelstaaten allein zusteht, oder ob es eine doppelte
Gebietshoheit giebt. Laband, I, S. 167 ff., spricht sich dahin aus, „daß im
Reiche in ähnlicher Weise eine doppelte Gebietshoheit besteht, wie eine doppelte
Unterthanenhoheit. Die Staaten sind mit Land und Leuten der Reichsgewalt
unterworfen.“ — Die Competenzgrenze zwischen Reich und Einzelstaat sei zugleich
die Grenze, welche die Gebietshoheit des Reiches am Reichsgebiet von der Gebiets-
hoheit der Staaten am Staatsgebiet scheidet. — Die Souveränetät habe auch in
dieser Beziehung das Neich, die Einzelstaaten haben die Rechte der Autonomie und
Selbstverwaltung in ihren Territorien und mit der hieraus sich ergebenden Be-
schränkung die Herrschaft über dieselben. Zorn, I, S. 101, ist der Ansicht, daß
im Bundesstaate (also auch im Deutschen Reiche) die Gebietshoheit der Central=
gewalt zustehe, jedoch mit der für den Bundesstaat im Allgemeinen festgestellten
Modification, daß den Einzelstaaten Autonomie und Selbstverwaltung auch hier
im weiteren Umfange überlassen blieb. Das Bundesgebiet sei ein einheitliches
Staatsgebiet — — —
Seydel a. a. O. in seinem Commentar zur Reichsverfassung, S. 84, be-
streitet, daß dem Deutschen Reiche eine Gebietshoheit zustehe. Der Ausdruck
Bundesgebiet in der Reichsverfassung wolle nichts Anderes besagen, als die räum-
liche Begrenzung, innerhalb welcher die verbündeten Staaten die Souveränetäts-
rechte gemeinsam ausüben, hinsichtlich derer sie den Bund geschlossen haben.
Fürst Bismarck hat sich bei Berathung des Entwurfs, der als Gesetz, betr.
die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 zur Verabschiedung ge-
langte (oben S. 36), als der Abgeordnete Duncker beantragte, im Artikel 1 der
Reichsverfassung statt „Bundesgebiet“ „Reichs gebiet“ zu setzen, wie folgt ge-
äußert (Sten. Ber. des Reichstages 1871, S. 94 ff.): „Bei den Worten „Reichs-
gebiet“ und „Bundesgebiet“ gebe ich zu, daß der Unterschied sich nicht nothwendig
und scharf fühlbar macht. Es kommt aber auf den sprachlichen Begriff an, den
man mit „Reich“ und „Gebiet“ verbindet. Wir haben geglaubt, daß auch da,
weil die Souveränetät, die Landeshoheit, die Territorialhoheit bei den einzelnen
Staaten verblieben ist, bei Bezeichnung des Gesammtgebietes der Begriff des Bundes-
verhältnisses in den Vordergrund zu stellen sei.“
Die richtige Antwort ergiebt sich aus der Betrachtung des Verhältnisses, in
welchem die Einzel-(Bundes-) Staaten zum Deutschen Reiche stehen. Gebietshoheit
ist Ausfluß und Theil der Staatshoheit, der Souveränetät. Zweifellos haben die
Einzelstaaten diese nicht mehr. Denn der vom Kaiser erklärte Krieg, wie der vom
Kaiser abgeschlossene Friede können auch ohne ihre Zustimmung ihr Landesgebiet
verändern. Selbst im Frieden können sie nicht ohne Reichsgesetz, also nicht einfeitig,
Theile ihres Gebietes an das Ausland abtreten. Auch das Reich hat die Souve-
ränetät nicht; denn ohne den Willen des Einzelstaates kann es, abgesehen von
Friedensschlüssen, dessen Grenzen nicht verändern. Vielmehr steht die Gebietshoheit
in einzelnen Fällen dem Reiche, in anderen den Einzelstaaten, in noch anderen beiden
gemeinschaftlich zu. Es gilt hier Alles, was oben S. 38 ff. über die Souveränetät
ausgeführt ist. Wenn Fürst Bismarck gesagt hat, daß die „Souveränetät, die
Landeshoheit, die Territorialhoheit“ bei den einzelnen Staaten verblieben ist, so
kann dies nur in dem Sinne verstanden werden, wie er den Einzelstaaten über-
haupt noch die Souveränetät beilegt, nämlich dahin, daß, wo fie die Souveränetät,
die Landeshoheit, die Territorialhoheit als Einzelstaaten verloren haben, sie solche
innerhalb des Bundesraths, d. h. gemeinschaftlich, ausüben (oben S. 40). Die
Worte des Fürsten Bismarck haben ferner die Bedeutung, daß, wo die gemein-
schaftliche Ausübung der Gebietshoheit durch das Reich nicht besonders vor-
geschrieben ist, die Ausübung der Gebietshoheit den Einzelstaaten unverkürzt und