70 Zweites Buch. Angehörige und Gebiet des Deutschen Reiches.
allein zusteht (s. auch oben S. 42 a. a. O.). Es ist auch unnöthig, zu sagen,
daß die Gebietshoheit des Reiches über derjenigen der Einzelstaaten steht; denn
wenn auch das Reich kraft der ihm zustehenden Befugniß, seine Zuständigkeit zu
erweitern (Art. 78 der Reichsverfassung), in die Gebietshoheit der Einzelstaaten
weiter und weiter eingreifen kann, so kann es doch eine solche Erweiterung wiederum
nur durch die Einzelstaaten, nämlich nur unter Zustimmung und Sanction des
die Einzelstaaten vertretenden und durch sie gebildeten Bundesraths vornehmen.
Es ist früher (§§ 7, 8 und 9) dargethan worden, daß die Befugnisse des
Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches zwar auf einer Delegation be-
ruhen, daß aber gleichwohl das Deutsche Reich eine selbstständige Rechtspersönlich-
keit darstellt. Ist dies richtig, so muß man folgerichtig sagen, daß die Einzel-
staaten nicht die Mitglieder des Deutschen Reiches find; vielmehr bilden sie nur
als Gesammtheit und zu einer besonderen Rechtspersönlichkeit zusammengefaßt das
Deutsche Reich. Deshalb sagt Artikel 1 der Reichsverfassung nicht: „Das Reich
besteht“, sondern „Das Reichs-(Bundes-) Gebiet besteht aus den Staaten“ u. s. w.
Mit anderen Worten: die Bundesstaaten zusammen bilden das Gebiet des Deutschen
Reiches. Darauf, daß in Artikel 1 statt „Reichsgebiet“" der Ausdruck
„Bundesgebiet" stehen blieb, ist an sich und namentlich deshalb kein juristisches
Gewicht zu legen, weil am letzten Ende der Reichskanzler bemerkt hatte, das Wort
Reichsgebiet sei eine Tautologie und der Ausdruck „Bundesgebiet“ gebräuchlicher.
Zu den Staaten, aus welchen nach Artikel 1 das Bundesgebiet besteht, find hinzu-
getreten durch das Gesetz, betr. die Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem
Deutschen Reiche vom 9. Juni 1871 (R.-G.-Bl. 1871, S. 212), „die von Frank-
reich durch den Artikel 1 des Präliminarfriedens vom 26. Februar 1871 ab-
getretenen Gebiete Elsaß und Lothringen“ „in der durch den Artikel 1 des
Friedensvertrages vom 10. Mai 1871 und den dritten Zusatzartikel zu diesem
Vertrage festgestellten Begrenzung“. Elsaß-Lothringen ist kein selbstständiger Staat,
hat weder Mitgliedschaftsrechte, noch Sonderrechte, es ist lediglich Bestandtheil des
Reiches, Bundesstaat ist er im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Art. 5 des
Einführungsges. zum Bürgerl. Gesetzb.).
Ferner ist durch Gesetz vom 15. December 1890 (R.-G.-Bl. 1890, S. 207)
die Insel Helgoland in das Bundesgebiet aufgenommen, und zwar bildet sie in
Folge des Gesetzes vom 18. Febr. 1891 (preuß. Ges.-S. 1891, S. 11) einen Bestand-
theil des preußischen Staates. In Helgoland gilt gemäß dem angezogenen Gesetze
vom 15. December 1890 die Reichsverfassung mit Ausnahme des Abschnittes VI
(Zoll= und Handelswesen).
Die Einzelstaaten bilden das Bundesgebiet und zwar in ihrem ganzen Länder-
umfange. In Artikel 1 ist „Preußen mit Lauenburg“ aufgeführt, weil bei
Erlaß der Reichsverfassung dieses Herzogthum auf Grund der Gasteiner Convention
vom 183. September 1865 nur in Personalunion mit der Krone Preußen verbunden
war. Durch das Gesetz vom 23. Juni 1876 (preuß. G.-S. 1876, S. 169) ist
Lauenburg mit der preußischen Monarchie vereinigt worden, wodurch seine besondere
Namhaftung im Artikel 1 entbehrlich geworden ist.
Was Waldeck anlangt, so hat Preußen durch Vertrag vom 18. Juli 1867
(Preuß. G.-S. 1868, S. 1), an dessen Stelle der Vertrag vom 2. März 1887 (Preuß.
G.-S. 1887, S. 177) getreten ist, die innere Verwaltung der Fürstenthümer Waldeck
und Pyrmont übernommen mit Ausnahme derjenigen, welche dem fürstl. Consistorium
in seiner Eigenschaft als Oberkirchenbehörde zusteht. Preußen bezieht die gesammten
Landeseinnahmen der Fürstenthümer und bestreitet die gesammten Landesausgaben.
Dem Fürsten verbleiben die wesentlichen Souveränetätsrechte, nämlich die Vertretung
des Staates nach außen, das Begnadigungsrecht, sowie das Recht der Zustimmung
zu Verfassungsänderungen und Gesetzen, soweit fie nicht die Organisation der Justiz-
und Verwaltungsbehörden betreffen. An der Spitze der Verwaltung steht ein vom
Könige von Preußen ernannter Landesdirector, welcher die verfassungsmäßig der
Landesregierung obliegende Verantwortlichkeit übernimmt. Die Organisation der
Justiz= und Verwaltungsbehörden steht Preußen zu; die Befugnisse höherer Instanzen