Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 16. Der Kaiser. 85 
als hundert Jahren keine Einwirkung mehr auf die Gesetzgebung; das britische Heer 
ist Parlamentsheer, die Könige find nur der Name, unter welchem die Mehrheit 
des Unterhauses, beziehungsweise ihr Ausschuß, das Staatsministerium, die Geschäfte 
des britischen Reiches führt. Der Deutsche Kaiser dagegen hat bei der Zahl der 
preußischen Stimmen im Bundesrath ein Veto gegen jede Verfassungsänderung, er 
kann jede Aenderung im Heerwesen, der Kriegsmarine, der Zoll= und Steuergesetz= 
gebung verhindern, er ernennt, ohne an Vota des Parlaments gebunden zu sein, den 
Reichskanzler, er schließt Alliancen Namens des Reiches nach eigenem Ermessen, er 
ist Herr über Krieg und Frieden, ihm stehen Kriegsheer und Kriegsflotte zur Ver- 
fügung u. s. w. Dadurch aber verfügt er thatsächlich über Fürsten und Völker 
Deutschlands. Seiner Hand in erster Reihe ist das Schicksal des Reiches anvertraut. 
Da die Würde des „Deutschen Kaisers“ der persönliche Ehrentitel ist, unter 
welchem Preußens Könige das Präsidium im Deutschen Reiche führen, so gebührt 
dieser Titel nur dem Könige von Preußen, nicht dem Regenten von Preußen, denn 
der Regent von Preußen ist zwar der Inhaber der königlichen Gewalt, aber er führt 
diese Gewalt nicht im eigenen, sondern im Namen des Königs. Er hat die Rechte, aber 
nicht den Titel eines Königs (s. Arndt, Komm. z. preuß. Verf.-Urk., S. 110, 111, 
vgl. auch Seydel, Bayerisches Staatsrecht, S. 450, und Graßmann im Archiv 
für öffentliches Recht, Bd. VI, S. 489 ff., G. Meyer, Staatsrecht, § 92). Nur 
„dem Könige"“, der Person des Königs giebt Artikel 11, Abs. 1 der Reichsverfassung 
„den Namen Deutscher Kaiser“. Der Name wie der Inhalt des Reichs- 
(Bundes-Präfidiums sind Rechte der Krone Preußen. Das preußische Recht und 
das preußische Recht allein entscheidet darüber, wer die Krone Preußens trägt, also 
auch darüber, wer den Namen Deutscher Kaiser führen darf. In der Preußischen 
Verfassungsurkunde Artikel 53 heißt es: 
„Die Krone ist, den Königlichen Hausgesetzen gemäß, erblich in dem 
Mannesstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und 
der agnatischen Linealfolge.“ 
Die Hausgesetze können nicht ohne die Zustimmung der Agnaten, aber auch, 
soweit ihr Inhalt in Artikel 53 wiederholt ist, nicht ohne Verfassungsgesetz geändert 
werden. Die Cognaten find ausgeschlossen, selbst im Falle des Aussterbens aller 
Agnaten. Für den Fall des Aussterbens aller Agnaten kommen nach dem 
preußischen Staatsrechte auch nicht die Erbverbrüderungsverträge mit Hessen und 
Sachsen in Betracht, und zwar schon deshalb nicht, weil sie eine unstatthafte 
Theilung Preußens vorschreiben. Auch das fürstliche Haus Hohenzollern ist nicht 
erbfolgeberechtigt. Also ist in solchem Fall die Thronfolge durch (preußisches 
Landes-)Gesetz zu regeln (Arndt, Komm. zur preuß. Verfassung, S. 108; ebenso 
v. Stengel, Preuß. Staatsrecht, S. 431). Nach den königlich Hohenzollernschen 
Hausgesetzen, wie nach deutschem Fürstenrecht wird eheliche Geburt zur Thronfolge 
in Preußen vorausgesetzt. Legitimation per subsequens matrimonium, Adboption 
und Arrogation genügen nicht. Die Geburt muß aus einer ebenbürtigen und 
hausgesetzlich gültigen Ehe erfolgt sein. Ebenbürtig ist die Ehe mit Angehörigen 
regierender Häuser (auch solcher, die bis 1866 regiert haben), ferner mit den An- 
gehörigen ehemals reichsständischer Familien, nicht jedoch reichsgräflicher Familien. 
Nach den Hausgesetzen ist die Gültigkeit der Ehe dadurch bedingt, daß sie mit 
Genehmigung des Familienoberhauptes, d. i. des Königs oder des Regenten von 
Preußen, abgeschlossen ist. Die Eheschließung erfolgt vor einem vom Könige oder 
Regenten bestellten Standesbeamten 1. Die Thronfolge in Preußen ist die agnatische 
Linealfolge. Das bedeutet, daß nur Männer und Abkömmlinge von Männern 
erbberechtigt sind, und daß von mehreren sonst zur Nachfolge Berufenen der Erst- 
geborene und dessen männliche Abkömmlinge vor den später Geborenen und deren 
Abkömmlingen ohne Rücksicht auf die Nähe des Verwandtschaftsgrades zum letzten 
Könige thronberechtigt find, dergestalt also, daß die Descendenz des älteren 
Prinzen die jüngeren Prinzen und deren Descendenz ausschließt. Anderweitige 
Erfordernisse, z. B. eine bestimmte Confession, Freisein von geistigen und körper- 
  
1 d. i. der Minister des Königlichen Hauses.
	        
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