36 Der Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und dem Zweibund.
reich-Ungarns Vorgehen nicht als „schmählichen Krieg“ be-
trachten. Österreich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß
Serbiens Versprechungen, wenn sie nur auf dem Papier
stehen, gänzlich unzuverlässig sind. Meiner Ansicht nach
ist Osterreich-Ungarns Vorgehen als ein Versuch zu be-
trachten, volle Garantie dafür zu erhalten, daß Serbiens
Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Ansicht werde ich bestärkt durch die Erklärung
des österreichischen Kabinetts, daß Osterreich-Ungarn keine
territorialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beabsichtige.
Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus möglich
ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der Rolle
des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den schreck-
lichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner
Regierung und Wien möglich und wünschenswert ist, eine
Verständigung, die — wie ich Dir schon telegraphierte —
meine Regierung mit allen Kräften zu fördern bemüht ist.
Natürlich würden militärische Maßnahmen Rußlands,
welche Osterreich= Ungarn als Drohung auffassen könnte,
ein Unglück beschleunigen, das wir beide zu vermeiden
wünschen, und würden auch meine Stellung als Vermitt-
ler, die ich — auf Deinen Appell an meine Freundschaft
und Hilfe — bereitwillig angenommen habe, untergraben.
Wilhelm.
— —
Der deutsche Kaiser an den Zären.
30. Juli 1914, 1 Uhr vorm.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf
die Gefahren und schweren Konsequenzen einer Mobilisation
hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinemletzten Tele-
gramm gesagt. Osterreich- Ungarn hat nur gegen Serbien
mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung
Mitteilung der Fallist, gegen Osterreich-Ungarn mobilmacht,