Der Reichskanzler an die Bundesregierungen, 28. Juli 1914. 45
wortlich machen zu dürfen, sofern es nicht Osterreich-Un-
garn zum Nachgeben veranlaßt.
Die russische Presse stellt hiermit die Verhältnisse auf
den Kopf. Nicht Osterreich-Ungarn hat den Konflikt mit
Serbien hervorgerufen, sondern Serbien ist es gewesen,
das durch eine skrupellose Begünstigung großserbischer
Aspirationen auch in Teilen der Osterreichisch-Ungarischen
Monarchie diese selbst in ihrer Existenz geführdet und Zu-
stände geschaffen hat, die schließlich in der frevelhaften Tat
von Serajewo ihren Ausdruck gefunden haben. Wenn Ruß-
land in diesem Konflikte für Serbien eintreten zu müssen
glaubt, so ist das an sich gewiß sein gutes Recht. Es muß
sich aber darüber klar sein, daß es damit die serbischen Be-
strebungen auf Unterhöhlung der Existenzbedingungen der
Osterreichisch-Ungarischen Monarchie zu den seinigen macht,
und daß es allein die Verantwortung dafür trägt, wenn
aus dem österreichisch-serbischen Handel, den alle übrigen
Großmächte zu lokalisieren wünschen, ein europäischer Krieg
entsteht. Diese Verantwortung Rußlands liegt klar zutage
und wiegt um so schwerer, als Graf Berchtold Rußland
offiziell erklärt hat, Osterreich beabsichtige weder serbische
Gebietsteile zu erwerben noch den Bestand des serbischen
Königreichs anzutasten, sondern wolle lediglich Ruhe vor
den seine Existenz gefährdenden serbischen Umtrieben haben.
Die Haltung der Kaiserlichen Regierung in dieser Frage
ist deutlich vorgezeichnet. Die von den Panflawisten gegen
Osterreich = Ungarn betriebene Agitation erstrebt in ihrem
Endziel, mittels der Zertrümmerung der Donaumonarchie,
die Sprengung oder Schwächung des Dreibundes und in
ihrer Folgewirkung eine völlige Isolierung des Deutschen
Reichs. Unser eigenstes Interesse ruft uns demnach an
die Seite Osterreich-Ungarns. Die Pflicht, Europa, wenn
irgend möglich, vor einem allgemeinen Kriege zu bewahren,
weist uns gleichzeitig darauf hin, diejenigen Bestrebungen
zu unterstützen, die auf die Lokalisierung des Konflikts