Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

187 Amt, Beamte, 
Städte regierten sich selbst durch den Stadtrat, 
denn auch die Landstädte hatten allmählich eigene 
Verwaltung und Gerichtsbarkeit erworben. Auf 
den Domänen der Landesherren gabes Amtmänner, 
die aus den alten Zentenaren hervorgegangen 
waren. In denjenigen fürstlichen Territorien, 
welche sich aus mehreren Grafschaften zusammen- 
setzten, in denen es also unmöglich war, daß der 
Fürst selbst die Befugnisse des Grafen ausübte, 
wurden ursprünglich Grafen mit der dem Fürsten 
zustehenden Grafengewalt belehnt. Da diese 
Grafen durch das Erblichwerden der Lehen große 
Unabhängigkeit erlangten, suchten die Landes- 
fürsten sie durch ernannte Landvögte, Landeshaupt- 
leute, Land= und Hofrichter usw. zu ersetzen. So 
läßt sich beispielsweise in Bayern im 14. Jahrh. 
die Verdrängung der belehnten Stellvertreter durch 
absetzbare Beamte nachweisen. In Osterreich er- 
starkte die Landeshoheit ganz besonders unter 
Rudolf IV. (1358/65). Noch deutlicher läßt sich 
die Verdrängung des Lehnsstaats durch den Be- 
amtenstaat an der Amtergeschichte Italiens und 
Frankreichs verfolgen. In Frankreich hatten 
sich seit Anfang des 14. Jahrh. große kollegiale 
Staatsbehörden aus dem Rat der Krone ge- 
bildet, wie der königliche Rat, das Parlament, 
die Rechnungskammer. In Burgund und den 
Niederlanden hatte diese Institution Nachahmung 
gefunden. Dort hatte sie Kaiser Max I. kennen 
gelernt. So entstand auch für das deutsche Reich 
ein Kollegium des Hofrats, von dem sich andere 
Kollegien für Rechtsprechung, Finanzwesen, Heer- 
wesen abzweigten. Die Vorgänge in Osterreich 
und die Gründung des Reichskammergerichts 
(1495) hatten in vielen Territorien die Folge, 
daß für die Rechtsprechung ein stehendes Hof- 
gericht, teils mit Adligen teils mit Gelehrten 
besetzt, geschaffen wurde. Aber auch die Bildung 
einer höchsten Verwaltungsbehörde, eines Hof- 
rats (so in Bayern, Kurköln, Kurmainz, in 
Württemberg — Oberrat, in Hessen — Kanzlei), 
mußte um so notwendiger werden, je mehr sich 
die landesherrliche Verwaltung ausdehnte. So 
bildete sich im Lauf des 16. Jahrh. aus den 
Räten des Landesherrn ein Ratskollegium mit 
fester Kollegialverfassung, eine Regierung, 
als dessen Vorsitzender der Landesherr galt und 
dessen Stellvertreter der Kanzler war. Das 
Amt des Kanzlers bestand an den königlichen 
Höfen das ganze Mittelalter hindurch, an den 
landesherrlichen Höfen erst seit der zweiten Hälfte 
des 15. Jahrh. Namentlich im Anschluß an 
das Kanzleramt bildete sich das erwähnte Hof- 
ratskollegium, später die Regierung genannt, 
aus. Der Kanzler ist stets Rechtsgelehrter, und 
von diesem Punkt aus dringt das gelehrte Berufs- 
beamtentum zuerst in den deutschen Territorial= 
staat ein. Die Hofgerichte, ursprünglich nur Ge- 
richte für die Ritterschaft, wurden allmählich auch 
zu Appellationsinstanzen für die unteren landes- 
herrlichen Gerichte. Die Hof= oder Rentkammer 
Staatsdiener. 188 
war ein für Verwaltung der landesherrlichen Do- 
mänen und Einkünfte, besonders in der zweiten 
Hälfte des 16. Jahrh. (1589 Sachsen, 1599 Kur- 
köln, Bayern, Württemberg) entstandenes Kol- 
legium. Bei dem Anwachsen der laufenden Ver- 
waltung und der zu entscheidenden Rechtssachen 
konnte sich der Landesfürst nur die wichtigsten 
Landesangelegenheiten zur persönlichen Erledigung 
vorbehalten. Er zog dazu die vertrautesten Räte 
bei. Wie in Osterreich auf diese Weise schon am 
Anfang des 16. Jahrh. ein über den einzelnen 
Verwaltungskollegien stehender Geheimer Rat 
gebildet worden war, so entstand ein solcher auch 
in andern größeren Territorien: in Sachsen noch 
im 16., in Brandenburg, Braunschweig, Bayern, 
Kurköln, Württemberg im 17. Jahrh. Der Ge- 
heime Rat nahm schließlich ebenfalls den Charakter 
eines selbständig funktionierenden Amtes an, das 
ohne Teilnahme des Landesherrn die wachsenden 
Geschäfte erledigte. Für Bearbeitung derjenigen 
wichtigen Angelegenheiten, welche sich der Landes- 
herr dem Geheimen Rat gegenüber reservierte, ent- 
stand nunmehr im 18. Jahrh. das Kabinett, 
ein Ausschuß des Geheimen Rats: in Preußen 
seit Mitte des 17. Jahrh., in Sachsen 1706, in 
Bayern 1726. Auf die Kanzleien, Hofräte, später 
Regierungen (seit dem 17. Jahrh.) war allmählich 
auch die Rechtspflege übergegangen. Sie besaßen 
anfangs mit den Hofgerichten konkurrierende Ge- 
richtsbarkeit, verdrängten diese aber überall da, 
wo sie nicht frühzeitig den Charakter von ständigen 
und gelehrten Gerichtshöfen angenommen hatten. 
Übrigens entstanden mit der Zeit auch eigene 
Tribunale, Oberappellationsgerichte in Terri= 
torien, in welchen die höchstinstanzliche Juris- 
diktion der obersten Reichsgerichte beseitigt war. 
In den meisten größeren Territorien bestanden 
Mittelbehörden, die sich teils aus den mittel- 
alterlichen Amtern der Vizedome oder Landes- 
hauptleute entwickelt hatten, teils früher Zentral- 
behörden selbständiger Gebiete gewesen waren, 
die bei der Vereinigung als Mittelbehörden bei- 
behalten wurden. 
Die angedeutete Häufung der Amter im 
16., 17. und 18. Jahrh. hängt mit der Ver- 
mehrung der Aufgaben zusammen, die der Zentral- 
gewalt des Staates durch den Verfall und die 
Unterdrückung der autonomen Korporationen und 
Organismen der Gesellschaft zufielen. Rechts- 
pflege und etwa noch Aufbringung der Geldmittel 
allein genügte nicht mehr, die Regierung mußte 
auch für materielle und geistige Angelegenheiten 
der Untertanen in Aktion treten. In Bezug auf 
letzteres genügt es, an Reformation und Gegen- 
reformation, in Bezug auf ersteres, an den sog. 
Merkantilismus mit seinen vielen gleichmachenden 
Verwaltungsnormen und Polizeigesetzen, mit seinem 
Privilegien= und Konzessionswesen zu erinnern. 
Ubrigens hatte auch in der Rechtspflege die ge- 
jänderte Verwertung und die Verbreitung des 
römischen Rechts, die nach und nach das deutsche 
 
	        
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