Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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bekannten Strafbestimmungen des kanonischen 
und des heutigen Rechts. Die von einem Vor- 
gesetzten geschehene Verleitung zu einem nur diszi- 
plinarisch zu ahndenden Dienstvergehen ist bloß 
disziplinarisch zu verfolgen. Die Verleitung zu 
einer strafbaren Handlung im Amt ist in § 357 
des St. G.B. als besonderes Amtsvergehen mit 
Strafe bedroht. Ein Amtsvorgesetzter, welcher 
seine Untergebenen zu einer strafbaren Handlung 
im Amt vorsätzlich verleitet oder zu verleiten 
unternimmt, oder eine solche strafbare Handlung 
seiner Untergebenen wissentlich geschehen läßt, hat 
demnach die auf diese strafbare Handlung an- 
gedrohte Strafe verwirkt. Dieselbe Bestimmung 
findet auf einen Beamten Anwendung, welchem 
eine Aufsicht oder Kontrolle über die Amts- 
geschäfte eines andern Beamten übertragen ist, so- 
fern die von diesem letzteren Beamten begangene 
strafbare Handlung die zur Aufsicht oder Kontrolle 
gehörenden Geschäfte betrifft. Neben Gefängnis- 
strafe kann auf Verlust der Fähigkeit zur Be- 
kleidung öffentlicher Amter erkannt werden. Sub- 
jekt kann jeder in der Stellung eines Vorgesetzten 
befindliche Beamte sein. Objekt ist die Verletzung 
des dem Beamten vom Staat geschenkten Ver- 
trauens. Die Handlung besteht in der Verleitung 
des Untergebenen zur Verübung eines der im 
28. Abschnitt des Strafgesetzbuchs mit Strafe be- 
drohten Amtsvergehens bzw. in dem Unternehmen 
der Verleitung oder dem wissentlichen Geschehen- 
lassen; doch ist ein solches nicht die nachträgliche 
Genehmigung. Auf das Mittel der Verleitung 
kommt nichts an. Das Verleiten muß vorsätzlich 
geschehen. Vollendet ist das Vergehen mit dem, 
wenn auch erfolglosen, Unternehmen der Ver- 
leitung; eine Anstiftung zu dem Vergehen oder 
ein Versuch derselben ist nicht Voraussetzung der 
Strafbarkeit. Das Vergehen des Amtsvorgesetzten 
ist ein selbständiges Vergehen, für welches er die- 
selbe Strafe erleiden soll wie der Täter; es unter- 
scheidet sich von der Anstiftung, welche wirkliche 
Verleitung und überdies wirkliche Begehung der 
Tat durch den Angestifteten erfordert. 
Besondere Vergehen einzelner Be- 
amtenklassen sind: 
1. Die Vergehen der Militärpersonen, hin- 
sichtlich deren auf das Militärstrafgesetzbuch für 
das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 sowie 
auf das Reichsgesetz vom 1. Dez. 1898 über die 
Dienstvergehen der richterlichen Militärjustiz- 
beamten verwiesen wird. 
2. Die Amtsvergehen der mit der Rechtspflege 
und Strafvollstreckung betrauten Beamten, und 
zwar: a) der Richter, Geschworenen, Rechts- 
anwälte und Verwaltungsbeamten. § 336 des 
St.G.B. bedroht die Rechtsbeugung durch einen 
Beamten oder Schiedsrichter (nicht auch durch 
den Geschworenen oder Schöffen), wenn sie bei 
der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache 
vorsätzlich zugunsten oder zum Nachteil einer 
Partei erfolgt, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, 
Staatslexikon. I. 3. Aufl. 
Amtsverbrechen und Amtsvergehen. 
  
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gewisse Mißbräuche des Strafverfahrens mit 
Zuchthaus bis zu zehn bzw. fünfzehn Jahren. 
Nach § 343 des St.G.B. wird jeder Beamte, 
welcher in einer bereits eingeleiteten gerichtlichen 
oder Disziplinaruntersuchung Zwangsmittel an- 
wendet oder anwenden läßt, mit Zuchthaus bis 
zu fünf Jahren bestraft. Die gleiche Strafe 
trifft nach § 346 des St.G.B. jeden Beamten, 
welcher vermöge seines Amtes bei Ausübung der 
Strafgewalt oder bei Vollstreckung der Strafe 
mitzuwirken hat, wenn er in der Absicht, jemand 
der gesetzlichen Strafe rechtswidrig zu entziehen, 
die Verfolgung einer strafbaren Handlung unter- 
läßt oder eine Handlung begeht, welche geeignet 
ist, eine Freisprechung oder eine dem Gesetz nicht 
entsprechende, zu milde Bestrafung zu bewirken, 
oder die Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe 
nicht betreibt oder eine gelindere als die erkannte 
Strafe zur Vollstreckung bringt. Sind mildernde 
Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe 
nicht unter einem Monat ein, neben welcher, wenn 
sie drei Monate erreicht, auf den Verlust der 
bürgerlichen Ehrenrechte oder auf die Unfähigkeit 
zur Bekleidung öffentlicher Amter auf die Dauer 
von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden 
kann. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren werden 
im umgekehrten Fall die richterlichen wie die Ver- 
waltungsbeamten bestraft, welche vorsätzlich zum 
Nachteil einer Person, deren Unschuld ihnen 
bekannt ist, die Eröffnung oder Fortsetzung einer 
(gerichtlichen, administrativen oder Disziplinar-) 
Untersuchung beantragen oder beschließen G# -344), 
oder welche vorsätzlich eine Strafe vollstrecken 
lassen, von welcher sie wissen, daß sie überhaupt 
nicht oder nicht der Art oder dem Maß nach 
vollstreckt werden darf (§ 344). Ist in letzterem 
Fall die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen, 
so tritt Gefängnisstrafe oder Festungshaft bis zu 
einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 900 M ein. 
Unter Strafe sind alle Arten von Strafen zu 
verstehen, mögen dieselben im gerichtlichen, Ver- 
waltungs= oder Disziplinarverfahren verhängt 
oder als Ordnungsstrafen zur Erzwingung einer 
polizeilichen Verfügung bestimmt sein. — b) der 
Gefangenaufseher. § 347 des St. G. B. be- 
droht einen Beamten, welcher einen Gefangenen, 
dessen Beaussichtigung, Begleitung oder Be- 
wachung ihm anvertraut ist, vorsätzlich ent- 
weichen läßt oder dessen Befreiung vorsätzlich 
bewirkt oder befördert, mit Zuchthaus bis zu fünf 
Jahren oder im Fall des Vorhandenseins mil- 
dernder Umstände mit Gefängnis nicht unter 
einem Monat. Ist die Entweichung durch 
Fahrlässigkeit befördert oder erleichtert worden, 
so tritt Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten 
oder Geldstrafe bis zu 600 M ein. Subjekt 
ist jeder Beamte, welchem die Beaufsichtigung, 
Begleitung oder Bewachung eines Gefangenen 
kraft seiner amtlichen Stellung oder zufolge amt- 
lichen Auftrags anvertraut ist. Gefangener ist 
nicht bloß der Straf= oder Untersuchungsgefangene, 
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