Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

5 Abdankung. 6 
Rechte Dritter berührt werden. Letzteres war der 
Fall bei der ehemaligen Kaiserwürde des heiligen 
römischen Reichs deutscher Nation, wo der päpst- 
liche Stuhl zur Sorge berechtigt war, daß kein zur 
Verteidigung der Rechte der Kirche Ungeeigneter 
jener Würde teilhaftig werde. Daß sich daraus 
auch gegen die beliebige Abdankung Konsequenzen 
ergaben, zeigte sich, als 1557 unter Papst Paul IV. 
die Kardinäle entschieden, daß die ohne Einver- 
ständnis mit dem Papst erfolgte Abdankung 
Karls V. ungültig sei. Einschlägig in die Frage 
der Abdankung ist der Verzicht des Papstes 
Cölestin V. des Heiligen und seine in diesem 
Sinn vorher (13. Dez. 1294) erflossene, die Re- 
signation eines Papstes ermöglichende Dekretale. 
Zur Gültigkeit der Thronentsagung wird voraus- 
gesetzt, daß der Verzichtleistende dispositionsfähig 
und daß die Entsagung aus freier und ernstlicher 
Willensäußerung hervorgegangen sei. Einer Ein- 
willigung der Agnaten oder der Landesvertretung 
bedarf es nicht, es genügt der einseitige Entschluß 
des Monarchen. Ein Zwang zur Abdankung ist 
gegenwärtig staatsrechtlich nicht denkbar (kam aber 
z. B. im ehemaligen römisch-deurschen Kaisertum 
vor); der regierungsunfähig gewordene Monarch 
bleibt Monarch, unter Umständen tritt Regent- 
schaft u. dgl. ein. 
2. Ausdrückliche Abdankung, Neben- 
bestimmungen. UÜber die Nebenumstände des 
Thronverzichts haben sich die Ansichten geändert. 
Die ältere, privatrechtliche Auffassung behandelte 
die Thronfolge als etwas der Sukzession in Lehns- 
und Fideikommißgütern Ahnliches. Moser erklärt 
vom jus resignandi: „Ferner legen einige die 
Regierung aller ihrer Länder nieder, andere hin- 
gegen überlassen zwar die Regierung eines oder 
des größten Teils ihrer Länder einem andern, 
doch behalten sie sich noch etwas vor; wiederum 
bedingen sich einige etwa noch einen oder den 
andern Regierungsaktum aus, andere aber wollen 
gar nichts mehr mit Regierungssachen zu tun 
haben. Endlich behalten sich einige den Regreß 
vor, im Fall sie die Reue ankäme, andere aber 
renunzieren unwiderruflich auf die Regierung.“ 
Heutzutage ist die Thronfolge aus dem Bereich 
der Hausgesetzgebung in den des Verfassungs- 
rechts übergegangen. Der Grund der Thronfolge 
ist das Gesetz, die Veranlassung derselben der Tod 
des bisherigen Monarchen oder die Abdankung 
desselben. Der Monarch, der abdanken will, kann 
es nur unter voller Anerkennung aller derjenigen 
Konsequenzen, welche sich — wenige Ausnahmen 
abgerechnet — für den Staat gesetzlich aus seinem 
Tod ergeben haben würden. Die Thronfolge wird 
ganz in gleicher Weise wie durch das Ableben des 
Souveräns eröffnet. Es tritt die sog. antizipierte 
Thronfolge ein; die Wirkung des Thronverzichts 
ist die, daß nun der nach der Thronfolgeordnung 
zunächst Berufene eintritt. Der Verzicht soll nicht 
als eine Zession oder Ubertragung des monarchi- 
schen Rechts, sondern lediglich als ein Austritt 
  
  
aus der Reihe der Thronberechtigten aufgefaßt 
werden. Was die zum Thronverzicht hinzugefügten 
Nebenbestimmungen (Bedingung, Zeit, Vorbehalt) 
betrifft, so hängt, wie vorhin erwähnt, das Maß 
ihrer Zulässigkeit von der Verfassung des Staates 
ab: die Abdankung kann bedingt sein (résigna- 
tion) zugunsten eines bestimmt Benannten, wenn 
die Verfassung es erlaubt, sie kann aber nur un- 
bedingt sein (abdication pure et simple), wenn 
der Staat eine konstitutionelle Monarchie ist, denn 
da hat über die Berufung zum Thron nicht der 
zeitweilige Monarch, sondern lediglich die Thron- 
folgeordnung zu entscheiden. Ein Verzicht zu- 
gunsten eines Entfernteren wäre nur dann von 
Wirksamkeit, wenn auch die dazwischenstehenden 
Personen ihrerseits verzichteten. So gelangte der 
zweitnächste Thronerbe sofort zur Regierung, als 
beim Tod Kaiser Alexanders I. von Rußland 
1825 der Großfürst Konstantin die Krone ab- 
lehnte. Dasselbe taten der Herzog von Angouleme 
1830 und Erzherzog Franz Karl von Osterreich 
im Jahr 1848. Die Übertragung der Krone an 
einen Fremden ist sowohl dem Prinzip der 
Wahl= als dem der Erbmonarchie zuwider. Selbst 
die Zustimmung sämtlicher Agnaten bzw. jener 
Familienglieder, welche bereits erworbene Rechte 
auf die Thronfolge haben, würde nicht genügen. 
Es müßte, um das Verhältnis zwischen Dynastie 
und Volk zu lösen, die Zustimmung der Vertreter 
desselben hinzukommen. Ein Beispiel der Über- 
gehung verwandtschaftlicher Rechte bietet die Ab- 
dankung König Karls IV. von Spanien (19. März 
1808). Sie konnte wohl zugunsten des ver- 
fassungsmäßigen Thronerben geschehen, nicht aber 
einem fremden Herrscher die Befugnis geben, einen 
neuen Regentenstamm einzuführen. Eine zweite 
Art Nebenbestimmung wäre die Abdankung auf 
Zeit. Es ist bestritten, ob das Recht des Ab- 
dankenden wieder aufleben kann, wenn derjenige, 
zu dessen Gunsten abgedankt wurde, stirbt oder 
die zugefallene Krone ablehnt. Einige, z. B. 
Gerber, sind der Ansicht, der Vorbehalt eines 
Rückfalls an den Entsagenden müsse überhaupt 
als unzulässig betrachtet werden. Die Thronfolge- 
ordnung sei absolut, gestatte keine „willkürliche 
Modifikation“. Andere meinen, daß ein ausdrück- 
licher Vorbehalt des Wiederantritts der Regierung 
für einen späteren Erledigungsfall nicht als un- 
statthaft angesehen werden könne. Der regelmäßige 
Fall einer solchen Abdankung auf Zeit ist der, 
daß sie lediglich zugunsten des bestimmten Nach- 
folgers wirke, so daß nach dem Ableben des 
letzteren der abdankende Fürst neuerdings zur 
Thronfolge berufen wird. So ergriff Philipp V. 
von Spanien die Regierung wieder, als sein Sohn 
Ludwig ein halbes Jahr nach seiner Thronbestei- 
gung am 1. Aug. 1724 starb. — Ebensowenig 
wie auf Zeit kann eine Entsagung gültig unter 
Bedingungen, richtiger Auflagen (modus) 
geschehen, welche den Inhalt des Monarchenrechts 
für den Nachfolger beschränken würden. Der Ver- 
1* 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.