Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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zerstreut leben. Hauptorte: Andorra la Vieja (etwa 
600 Einwohner), San Julian (500), Canillo 
(500). — Die Regierungsgewalt befindet sich im 
Besitz bestimmter Familien der Bevölkerung (aristo- 
kratische Verfassung); vier mindestens 25 Jahre 
alte Familienchefs aus jeder der sechs Gemeinden, 
in welche die Republik zerfällt, wählen auf vier 
Jahre einen Generalrat von 24 Mitgliedern, 
welcher die gesetzgebende Gewalt ausübt. Den 
Vorsitz führen zwei von dem Generalrat ernannte 
Syndiezi, von welchen der erste mit der vollziehen- 
den Gewalt betraut ist; derselbe besorgt auch das 
Auswärtige. — Die Justizverwaltung ruht in 
den Händen von zwei Vegueres (Landvögten), von 
denen jeder einen Unterrichter (Baile) zur Seite 
hat, welche in bürgerlichen Streitsachen entscheiden; 
die Appellation an den Kassationshof zu Paris 
oder an das bischöfliche Kollegium zu Urgel steht 
frei. Das Kriminalgericht besteht aus den beiden 
Begueres, einem Oberrichter (Zivilrichter), dem 
Landschreiber und vier Landräten; Appellation 
findet nicht statt. Von den Vegueres muß der eine 
ein Franzose, der andere ein Andorraner sein. Den 
ersteren wählt Frankreich auf Lebenszeit, denletzteren 
der Bischof von Urgel auf drei Jahre; den Zivil- 
richter ernennen sie abwechselnd. Ein Gesetzbuch 
hatte schon Napoleon I. den Bewohnern Andorras 
versprochen; da er aber sein Versprechen nicht ge- 
halten hatte, wurde ein solches später von ihnen 
selbst gesammelt und am 7. Nov. 1847 publiziert. 
— Nach dem Gesetz vom 27. März 1806 leisteten 
drei Deputierte einen Eid in die Hände des Prä- 
fekten von Ariége, dessen Vollmachten durch das Ge- 
setz vom 3. Juni 1882 auf den Unterpräfekten von 
Prades (Dep. Pyrénées-Orientales) übergegangen 
sind. Derselbe vertritt zugleich als beständiger 
Delegierter Frankreich den einheimischen Autori- 
täten und dem Bischof von Urgel gegenüber. Letz- 
terer kommt gewöhnlich nur einmal im Jahr ins 
Land, teils um als Schiedsrichter Streitigkeiten 
beizulegen teils um sein kirchliches Amt auszu- 
üben. Die Ernennung der kirchlichen Behörden 
steht vier Monate des Jahres dem Bischof zu, die 
übrigen acht Monate dem Papst.— Landesfarben 
sind Gold und Rot in senkrechter Teilung, nach 
dem zweiten Feld des Landeswappens, das in 
Gold drei rote Pfähle zeigt (Wappen der Grafen 
von Foix). — Administrativ zerfallen die drei 
Täler, welche die Republik umfaßt, in sechs Ge- 
meinden (Pfarreien): San Julian, Andorra, 
Encam, Canillo, La Marana und Ordino. Diese 
Gemeinden wählen durch die 25 Jahre alten Fa- 
milienhäupter je zwei Konsuln als Bürgermeister 
und Vizebürgermeister (passives Wahlrecht mit 
30 Jahren). Andorra bezahlt jährlich an den 
Bischof von Urgel 460 und an Frankreich 960 
Franken, wofür von letzterem Zollfreiheit gewähr- 
leistet ist. Die Einnahmen bestehen in den Pacht- 
geldern für die Gemeindeweiden und im Ertrag 
einer geringen Personal-, Grund= und Viehsteuer. 
— Münzen, Maße und Gewichte sind dieselben 
Androlepsie — Anerbe, Anerbenrecht. 
  
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wie in Spanien. — Die Einwohner, ein streng 
sittliches, fleißiges Völkchen, sind katalonischer Ab- 
kunft und gehören der römisch-katholischen Kirche 
an. Sie betreiben Landwirtschaft und einen un- 
bedeutenden Handel mit Holz, Holzkohle, Eisen- 
erz, Schafwolle und Käse; auch soll der Schmuggel 
von französischen Manufakturen und Tabak nach 
Spanien nicht unbedeutend sein. Da der Anbau 
von Zerealien geringfügig ist, wird der Bedarf 
zollfrei aus Frankreich eingeführt. Der Grund- 
besitz vererbt nach Majoratsordnung. Alle männ- 
lichen Einwohner sind vom 16. bis 60. Jahr zur 
Landesverteidigung verpflichtet; sie können von 
den Vegueres zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, 
aber nicht zum Angriff ausgeboten werden; über 
letzteren Fall entscheidet die Volksversammlung. 
Die Kosten der Ausrüstung muß jeder Waffen- 
fähige selbst tragen. Für den Sicherheitsdienst 
besteht auch eine aus Landesbewohnern gebildete 
Gendarmerie, die an mehreren Punkten in be- 
festigten Gebäuden untergebracht ist. 
Literatur. J. F. Blade, Etudes géogr. sur. 
la vallée d’Andorre (Par. 1875); E. Berthet, Le 
val d’Andorre (ebd. 1879); L. Basserau, La répu- 
blique d'’Andorre (Montvpellier 1884). 
Franz, rev. Dresemann.) 
Androlepsie, die Festnahme fremder Staats- 
angehöriger im Frieden als Geisel zur eigenmäch- 
tigen Durchsetzung eines behaupteten Anspruchs. 
Vgl. d. Art. Repressalien und Garantien, völker- 
rechtliche. 
Anerbe, Anerbenrecht. Der Anerbe, 
altdeutsch (nach Grimm) anerwe, ist zunächst der 
Gegensatz zum ganerwe, Ganerben, des alleinigen 
Erben zum Genossenschaftserben, des heres, heres 
proximus zum coheres. Es erscheint aber auch 
in den alten Weistümern der berechtigte Mark- 
genosse, der waltgreve, Waldsasse, unter dieser 
Benennung. Seinem eigentlichsten Wesen und 
Rechtsbegriff nach ist das Recht des Anerben kein 
ausschließliches Erbrecht, sondern nur ein Vorzugs- 
recht bei der schon gesetzlich oder observanzmäßig 
bestimmten Verteilungsart eines untrenn- 
baren Teils einer Erbschaft, vorzugsweise eines 
bäuerlichen Kolonats; die Anteile der übrigen 
Erben liegen dann in der vom Anerben zu leisten- 
den Abfindung. Das neue B. G.B. für das Deutsche 
Reich läßt zwar grundsätzlich auch für ländliche 
Bevölkerung und deren Grundbesitz das gemeine 
Erbrecht gelten, wonach der gesamte Nachlaß ein- 
schließlich des Grundbesitzes unter die Erben, zu- 
nächst Ehefrau und Kinder, weiterhin auch ent- 
fernte Verwandte, sich teilt. Eine Teilung in 
Natur erfolgt jedoch nur insoweit, als sich die 
Nachlaßsachen ohne Verminderung des Werts in 
gleichartige Teile zerlegen lassen, was bei ge- 
schlossenen ländlichen Gütern in der Regel nicht 
anzunehmen ist, so daß mangels einer anderweitigen 
Verständigung zwischen den Erben öffentliche Ver- 
steigerung und Teilung des Erlöses erfolgt. Im 
Interesse der Erhaltung des zusammenhängenden
	        
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