Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Kurt Starke zu Frankenau (Sachsen), Max Rösler 
zu Schlierbach (Hessen-Nassau) und Heinr. Freese 
zu Berlin. Die Arbeiterausschüsse hießen damals 
Altestenkollegien, Arbeitervorstände, Vertrauens- 
männmerkonferenzen und betätigten sich vorzugs- 
weise durch Verwaltung von Wohlfahrtseinrich- 
tungen und auf ethischem Gebiet. — Zum Teil 
veranlaßt durch die Februarerlasse befaßte sich der 
deutsche Reichstag mit den Arbeiterausschüssen 
zum erstenmal 1891. Ein Zentrumsantrag auf 
ihre obligatorische Einführung ward abgelehnt, 
wobei sich die Sozialdemokraten als prinzipielle 
Gegner der Institution bekannten. Statt dessen 
wurden fakultative Ausschüsse eingeführt, in- 
dem der Vorschrift, bei Erlaß der Fabrikordnung 
die Arbeiter anzuhören, fortan genügt werden 
sollte, falls ein ständiger Arbeiterausschuß gehört 
wurde (Gewerbeordnung § 134 d). Die Hoff- 
nung, die Arbeiterausschüsse auf diese Weise in- 
direkt zu fördern, ward aber nur zum geringsten 
Teil erfüllt. Die Ausschüsse entstanden in den fol- 
genden Jahren zwar in wachsender Menge, sanken 
aber ihrer großen Mehrheit nach bald zu einem 
Scheindasein und zu völliger Bedeutungslosigkeit 
herab. Schuld daran war Verständnismangel und 
Indolenz auf seiten der Arbeitgeber, aber auch der 
Arbeiter. Etwa seit 1900 machen die Arbeiter- 
ausschüsse mancherorts einige Fortschritte. Ihr 
heutiger Umfang in der deutschen Privatindustrie 
läßt sich auf Grund der Gewerbeinspektionsberichte 
schätzungsweise dahincharakterisieren, daß von allen 
Betrieben mit mehr als 20 Arbeitern etwa 10% 
Arbeiterausschüsse besitzen. Im preußischen Berg- 
bau sind die Ausschüsse für die Werke mit mehr als 
100 Arbeitern seit 1905 obligatorisch, sind aber 
durch die Bestimmungen über das Wahlverfahren, 
über Auflösung und Suspendierung in ihrer Tätig- 
keit nicht wenig behindert. Im bayrischen Berg- 
bau sind sie bereits seit 1900 obligatorisch. In 
Preußen wie in Bayern haben sie sich durchweg 
gut bewährt. In den der Verwaltung von Heer 
und Marine unterstehenden Betrieben sowie in 
den staatlichen Eisenbahnbetrieben innerhalb des 
Deutschen Reichs sind überall Arbeiterausschüsse 
eingeführt. Wenn auch meistens ihrer Tätigkeit 
durch Erschwerung des Wahlrechts und durch den 
überragenden Einfluß des behördlichen Vertreters 
Schranken gezogen sind, so hat sich ihre Wirksam- 
keit doch nach dem Zeugnis der Behörden wie der 
Arbeiter als nützlich erwiesen. — Die Ausschüsse 
für die in städtischen Kommunalbetrieben beschäf- 
tigten Arbeiter sind bis jetzt noch sehr gering 
der Bedeutung wie der Zahl nach (in etwa 
20 Städten). 
Im Ausland haben die Arbeiterausschüsse einige 
Bedeutung erlangt in Osterreich und der Schweiz, 
vereinzelt auch in Holland, Frankreich und Bel- 
gien, in den angelsächsischen Ländern sind sie kaum 
bekannt. 
2. Prinzipielle und praktische Be- 
deutung. Die prinzipielle Bedeutung der Ar- 
Arbeiterausschüsse. 
  
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beiterausschüsse liegt darin, daß durch sie zwei 
wichtige Grundsätze des heutigen Arbeitsverhält- 
nisses zur Anerkennung und teilweisen Verwirk- 
lichung gelangen: einmal der Satz von der Gleich- 
stellung des Arbeitnehmers und Arbeitgebers, 
worunter allerdings keine absolute, jedes Ab- 
hängigkeitsverhältnis ausschließende Gleichstellung 
zu verstehen ist, sondern eine allgemein höhere Be- 
wertung des Arbeiters seitens des Rechts und 
seitens der Gesellschaft, die einer Gleichstellung 
mehr oder weniger nahekommt. Außerdem kommt 
die organische Zusammengehörigkeit von Unter- 
nehmer und Arbeiterschaft einer Fabrik zum Aus- 
druck. Entgegen den sozialistischen trennenden und 
zerstörenden Tendenzen bringt der Arbeiteraus- 
schuß Unternehmern wie Arbeitern die Interessen- 
gemeinschaft zum Bewußtsein und erhält und stärkt 
das natkürliche seelische Band, das die Menschen 
in ein und demselben Betrieb umschlingt. 
Die praktischen Aufgaben des Arbeiterausschusses 
liegen historisch betrachtet zunächst auf dem Ge- 
biet der Wohlfahrtspflege. Die meisten Ausschüsse 
entwickelten sich aus Arbeitervertretungen, denen 
die Verwaltung von Wohlfahrtseinrichtungen (be- 
sonders Kassen) oblag. Auf diesem Gebiet finden 
sie auch heute noch ausreichende Betätigung. Die 
Gesetzgebung hat die Ausschüsse verknüpft mit der 
Arbeitsordnung, bei deren Erlaß sie mitwirken 
(s. oben). Sie tragen auch häufig für die Durch- 
führung der Arbeitsordnung Sorge durch Aus- 
übung der Strafgewalt. Hie und da ist ihnen eine 
sittliche Uberwachung der Fabrik, namentlich der 
jugendlichen Arbeiter, anvertraut. Allgemein wird 
auch die vermittelnde Tätigkeit des Arbeiteraus- 
schusses hochgeschätzt, die sich auf Erledigung von 
Wünschen und Beschwerden, neuerdings auch ver- 
einzelt auf Reglung von Lohnfragen erstreckte. 
Zur Durchführung seiner Aufgaben kann der 
Ausschuß nicht lediglich auf den eigenen Einfluß 
vertrauen; vielmehr muß die gewerkschaftliche Or- 
ganisation als starke Macht im Rücken stehen; 
anderseits kann der Ausschuß mäßigend auf den 
Gewerkverein wirken. 
3. Innere Verfassung. Bei der Zu- 
sammensetzung und Organisation des Arbeiter- 
ausschusses ist darauf zu achten, daß er sowohl 
Arbeitervertretung als Vermittlungsinstanz sei. 
Damit er eine wirkliche Arbeitervertretung dar- 
stelle, muß die Wahl eine unmittelbare und ge- 
heime sein. Alle volljährigen Arbeiter und Arbei- 
terinnen der Fabrik müssen wahlberechtigt sein. 
Zur Wählbarkeit ist in der Regel ein gewisses 
Lebensalter (24 Jahre) und eine bestimmte Tätig- 
keitsdauer (2 Jahre in derselben Fabrik) erforder- 
lich. Die Wahl erfolgt jedesmal auf 1 Jahr. 
In größeren Fabriken ist Wahl nach Abteilungen 
zu empfehlen. Aus der Natur des Arbeiteraus- 
schusses als Vermittlungsinstanz wird die ge- 
wöhnlich anzutreffende Bestimmung begründet, 
daß die Gegenwart des Fabrikherrn oder seines 
Stellvertreters bei den Ausschußsitzungen erforder-
	        
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