Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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1 Abessinien. 16 
ehrendsten, bei Mördern von Eltern oder Euro= den Orden vom Heiligen (Grab. Aus diesen 
päern) oder durch Lanzenwurf und darauf durch Freundschaftsbezeigungen wird auf eine freiere 
zahlreiche Säbelhiebe und Schüsse aus Handfeuer= Entfaltung der katholischen Missionstätigkeit in 
waffen. Die Blutrache wird trotz Gesetz und Ge-Abessinien gehofft. . 
richisbarkeit noch geübt. 5. Wirtschaftliche Verhältnisse. Der 
Dasaktive Heer (Wotater) beträgtetwa 200000 bei weitem größte Teil des Landes ist ein zer- 
Mann; dazu kommt noch die im Kriegsfall ein= klüftetes Bergplatean mit subtropischem Klima. 
gezogene Reserve (Gintiwell) und für die äußerste Das ungesunde tropische Tiefland im Westen und 
Not der Landsturm (In-ager-Tor). Ein Sanitäts= Süden ist mit Urwald bedeckt. Der Ackerbau ist 
weser besteht nicht. Die allgemeine Wehrpflicht gilt äußerst primitiv, die unbedeutende gewerbliche 
im weitesten Umfang. — Das Wappen ist ein Tätigkeit ist Hausindustrie in Leder= und Perga- 
infulierter Löwe, der in der rechten Pranke ein mentbereitung, in Anfertigung von Teppichen aus 
Zepter mit Kreuz trägt. Als Orden bestehen « Wolle und Ziegenhaar, in Verarbeitung von Eisen 
der „Stern von Athiopien“ und der (1874 ge= und Kupfer. Wichtiger ist die Viehzucht (Sanga- 
stiftete) „Orden vom Siegel Salomos“ (beide je Rind, langhaarige Schafe und Ziegen, vorzüg- 
5 Klassen). liche Pferde und Maultiere, Bienenzucht usw.). 
4. Religion und Unterricht. Staats-s Die bedeutendsten Städte sind Addis Abeba, 
religion (abessinische oder äthiopische Kirche) ist die Hauptstadt des Landes und Residenz des Ne- 
das monophysitische Christentum, das aber sehr gus, Addis Alam, wo der Kaiser ein Landschloß 
stark mit jüdischen (Beschneidung, Sabbatfeier), besitzt, Harar, der wichtigste Handelspunkt, beson- 
mohammedanischen (Polygamie, Sklaverei usw.) ders für Kaffee, Adua, die jetzige Hauptstadt der 
und heidnischen (Priestertänze usw.) Gebräuchen Provinz Tigre, und die an Baudenkmälern geichen 
und Lehren vermischt ist. Das Oberhaupt ist der Städte Gondar (Hauptstadt vom 17. bis Mitte 
infolge jahrhundertealter Tradition vom koptischen des 19. Jahrh., 1888 von den Mahdisten zer- 
Patriarchen in Alexandria ernannte und geweihte stört) und Aksum (weit über 1000 Jahre Haupt- 
Abunat, unser Vater“), ein Nichtabessinier (Kopte). stadt, abessinischer Wallfahrtsort, deutsche Aksum- 
Groß ist die Zahl der Weltpriester, Mönche und Expedition von Littmann und Krencker im Jahr 
Nonnen, ihre Bildung gering. Die Geistlichen 1906). Reich ist das Land an Gold, Eisen, 
dürfen vor der Weihe heiraten. Die Kirchen sind Kupfer, Kohle und Schwefel, auch Salz ist vor- 
klein und meist kreisrund, sie bestehen nach Art handen. Der Handel ist seit einigen Jahren in 
des jüdischen Tempels aus 3 Abteilungen, sind ständiger Entwicklung begriffen. Die wichtigsten 
vorwiegend aus Flechtwerk und Lehm gebaut und Einfuhrartikel sind Baumwollen-, Woll= und 
mit Stroh gedeckt, reich an Bildern, aber ohne 1 Seidenwaren, auch Waffen. Ausgeführt werden 
Skulpturen, selbst die Kreuze sind ohne Christus= besonders Kaffee, Gold, Zibet, Elfenbein, Häute, 
körper. Auch in der profanen Kunst ist die Skulp= Felle, Wachs, Honig usw. Zur Jagd auf Ele- 
  
tur unbekannt, während die Malerei geübt wird. 
Eigentliche Friedhöfe gibt es nicht, die Toten wer- 
den einfach verscharrt, oft jedoch in der Nähe von 
Kirchen, die Gräber aber nicht kenntlich gemacht. 
Das gesamte religiöse Leben steht auf der niedrig- 
sten Stufe. Unterricht findet nur sehr ver- 
einzelt statt; er liegt in den Händen der Welt- 
und Klostergeistlichkeit und umfaßt neben den 
Elementarfächern vorwiegend Choralgesang, Bibel- 
lesen und Literatur. Die Hygiene ist ganz un- 
entwickelt. 
Die etwa 4000 Katholiken pflegen den äthio- 
pischen oder abessinischen Ritus, stehen aber unter 
einem lateinischen Apostolischen Vikariat (gegr. 
1847). Die katholische Mission, die wegen der ge- 
ringen Erfolge trotz heroischer Bemühungen 1797 
ganz aufgegeben worden war, wurde 1839 wieder 
in Angriff genommen sie liegt in den Händen der 
Lazaristen (3 Stationen). Die Verfolgung der 
Katholiken durch Kaiser Johannes in den 1880er 
Jahren und die Ausweisung der französischen Mis- 
sionäre aus dem italienischen Massaua (1896) hat 
die Missionstätigkeit schwer geschädigt. Im Jahr 
1907 fand durch Spezialgesandtschaften ein Brief- 
  
  
wechsel und ein Austausch von Geschenken zwischen 
dem Papst und Menelik statt. Menelik erhielt u. a. 
fanten ist zur Verhinderung der Ausrottung seit 
einigen Jahren kaiserliche Erlaubnis erforderlich, 
50% der Beute muß abgegeben werden. 
Eine 309 km lange Eisenbahn, die sog. 
äthiopische Bahn, geht seit 1903 von dem fran- 
zösischen Hafen Dschibuti nach Diredaua, das etwa 
40 km von Harar entfernt ist. Die Bahn ist 
von einer französischen Gesellschaft gebaut und 
wird von der französischen Regierung subventio- 
niert. Der Weiterbau nach Harar und Addis 
Abeba und eventuell bis an den Weißen Nil stößt 
auf pekuniäre und politische Schwierigkeiten. Die 
Bahn soll in ihrem weiteren Verlauf unter inter- 
nationale Verwaltung gestellt werden. Zwischen 
Diredaua und Addis Abeba wurde 1907 eine 
(deutsche) Automobilverbindung geschaffen. 
Als Münze dient der Maria-Theresien-Taler 
(Bör, Ber, Gersch), der in 20 ägyptische Silber- 
piaster (Mehallek) geteilt wird, neuerdings auch 
der in Paris oder im Land selbst geprägte 
Menelik-Dollar (Talari, 28,075 g Rauhgewicht, 
875 Teile Feingehalt) mit seinen Teilmünzen. 
Meist übliche Zahlungsmittel sind jedoch Salz- 
stangen (Amuleh oder Kehle, deren Wert mit der 
Entfernung vom Gewinnungsort steigt), Gewehr- 
patronen, Baumwollenzeugstreisen und Glasperlen,
	        
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