Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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zur Begutachtung der nach 8 120e Abs. 2 der Ge- 
werbeordnung zu erlassenden Vorschriften gewählt 
sind; die Wahlberechtigung bestimmt sich nach den 
gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz# für die Wahlen 
der Arbeitgebervertreter getroffenen Festsehungen. 
Die nach Abs. 1 Wahlberechtigten haben jeder eine 
Stimme. 
Wählbar sind Deutsche, welche 1. das 30. Lebens- 
jahr zurückgelegt haben; 2. im Bezirk der Arbeits- 
kammer tätig sind; 3. seit mindestens einem Jahr 
denjenigen Gewerbezweigen oder denjenigen Ge- 
werbegruppen als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer 
angehören, für welche die Arbeitskammer oder die 
Abteilungen errichtet sind; 4. in dem der Wahl 
voraufgegangenen Jahr für sich oder ihre Familie 
Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln nicht 
empfangen oder die empfangene Unterstützung er- 
stattet haben. 
Die Wahlen erfolgen unter Leitung des Vor- 
sitzenden der Arbeitskammer in getrennter Wahl- 
handlung. Sie werden mittels schriftlicher Ab- 
stimmung nach relativer Mehrheit der Stimmen 
vorgenommen; bei Stimmengleichheit entscheidet 
das Los. Die näheren Bestimmungen über die 
Wahl und das Verfahren werden durch den Bundes- 
rat getroffen. Eine Reglung nach den Grundsätzen 
der Verhältniswahl derart, daß neben den Mehr- 
heitsgruppen auch die Minderheitsgruppen ent- 
sprechend ihrer Zahl vertreten sind, ist zulässig. 
Hierbei kann die Stimmenabgabe auf Vorschlags- 
listen beschränkt werden, die bis zu einem näher zu 
bestimmenden Zeitpunkt vor der Wahl einzu- 
reichen sind. 
Die Mitglieder der Arbeitskammer und die Er- 
satzmänner werden auf sechs Jahre gewählt. Kosten 
werden von den wahlberechtigten Wahlkörpern im 
Verhältnis der festgesetzten Stimmenzahl getragen. 
Die Führung der Geschäfte sowie die Ver- 
tretung der Arbeitskammern liegt dem Vorsitzen- 
den ob. Dieser beraumt die Sitzungen an; er hat 
volles Stimmrecht. Auf den Antrag von zwei Drit- 
teln der Mitglieder muß die Einberufung einer 
Sitzung der Arbeitskammer oder der Abteilung er- 
folgen. 
Die Arbeitskammer ist berechtigt, aus ihrer Mitte 
Ausschüsse zu bilden und mit besondern regelmäßi- 
gen oder vorübergehenden Aufgaben zu betrauen. 
Die Sitzungen der Arbeitskammern und der Ab- 
teilungen sind öffentlich, soweit nicht der Vor- 
sitzende es anders bestimmt. Zu den Sitzungen 
kann die Aufsichtsbehörde einen Vertreter entsen- 
den, der auf sein Verlangen jederzeit gehört werden 
muß. Bei der Beschlußfassung müssen Arbeitgeber 
und Arbeitnehmer in gleicher Zahl mitwirken. 
Nehmen bei Erstattung eines Gutachtens oder 
bei Beratung eines Antrags sämtliche Arbeitgeber 
einerseits und sämtliche Arbeitnehmer anderseits 
einen entgegengesetzten Standpunkt ein, so findet 
eine Beschlußfassung nicht statt. 
Auf Betriebe der Heeres= oder Marineverwaltung 
finden die Bestimmungen des Gesetzes keine An- 
wendung, wohl aber auf Bergwerke, Salinen und 
Aufbereitungsanstalten. 
Die Zuständigkeit erstreckt sich hier auch auf die 
Erstattung von Gutachten über den Erlaß von Berg- 
polizeiverordnungen, die den Schutz des Lebens oder 
der Gesundheit der Arbeiter und die Aufrechterhal- 
tung der guten Sitten und des Anstands durch die 
Einrichtung des Betriebs bezwecken. 
  
Arbeitslohn — Arbeitsnachweis. 
  
  
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Arbeitskammern im Ausland. Eine 
gesetzliche Organisation von Arbeitskammern (Con- 
seils de ’industrie et du travail) hat zuerst Bel- 
gien getroffen; Holland und Frankreich sind ge- 
folgt. Auch in Italien bestehen sog. „Arbeitskam- 
mern“, die aber nur eine einseitige Vertretung der 
(sozialistischen) Arbeiter darstellen. In Osterreich ist 
es bisher bei gesetzgeberischen Vorschlägen geblieben. 
Literatur. Hitze, Bedeutung u. Organisation 
der A. (1899); Harms, Deutsche A. (1904); ders., 
Die holländischen A. (1905); derf., A. u. Kauf- 
mannsgerichte (1906); Jay, Die Arbeitsräte in 
Frankreich (1905); Biermer, A. (1905); Erzberger, 
Die Industrie-(Arbeits-) Kammern (1905); Var- 
lez, Die Organisation der Industrie= u. Arbeits- 
räte in Belgien (1905); Pinardi u. Schiavi, Die 
italienischen A. (1905); Vorschläge zur Gestaltung 
der A. in Deutschland (1906); Potthoff, Die Ver- 
tretung der Angestellten in A. (1905). ([Hitze.] 
Arbeitslohn s. Lohn. 
Arbeitslosenversicherung s. Versiche- 
rung gegen Arbeitslosigkeit. 
Arbeitsnachweis. Unter Arbeitsvermitt- 
lung ist das Bestreben einer dritten Stelle zu ver- 
stehen, zwischen der Nachfrage nach Arbeitskräften 
und dem Angebot von solchen zu vermitteln. Auf 
diese Weise soll ein doppelter Zweck erreicht werden, 
nämlich dem Arbeitgeber möglichst die besten Ar- 
beitskräfte, dem Arbeitnehmer dagegen die für ihn 
am besten geeignete Stelle nachzuweisen. 
Je weniger kompliziert die Verhältnisse auf dem 
Arbeitsmarkt sind, um so geringer ist die Not- 
wendigkeit, Organe zu schaffen, denen die Arbeits- 
vermittlung allgemein oder für spezielle Gewerbe- 
zweige übertragen wird. So sehen wir, daß schon 
im Zeitalter der Zünfte die Arbeitsvermittlung 
einer guten Organisation nicht entbehrte. Die 
Arbeitsvermittlung im Mittelalter hängt eng zu- 
sammen mit der Einrichtung des Wanderlebens 
der Handwerksgesellen. In den Herbergen der 
großen Städte finden wir die Arbeitsnachweise, 
deren Verwaltung dem Herbergsvater übertragen 
war, der je nach den entsprechenden Verhältnissen 
von dem Gesellenverband oder von der Organi- 
sation der Zunftmeister eingesetzt war. Mit dem 
Verfall der Zünfte verschwand naturgemäß auch 
dieser verhältnismäßig gut funktionierende Arbeits- 
nachweis. Soweit von einem Arbeitsnachweis in 
der Folgezeit überhaupt die Rede sein konnte, war 
derselbe in der Hauptsache in den Händen privater 
Personen. Der größte Teil der Stellen wurde 
nunmehr vermittelt durch die sog. „Umschau“ und 
mit dem Aufkommen des Zeitungswesens durch 
das Inserat. Welche Bedeutung namentlich dem 
Inseratenwesen in der heutigen Zeit zukommt, 
geht aus einer Enquete hervor, welche die 15 her- 
vorragendsten Tageszeitungen von London und 
den Provinzen am 21. Juni 1893 veranstalteten, 
und die ergab, daß diese Tageszeitungen nicht 
weniger als 2122 Stellenangebote und 1279 Stel- 
lengesuche enthielten. 
Will man den Arbeitsnachweis in seiner heu- 
tigen Gestalt in bestimmte Gruppen einteilen,
	        
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