Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Registratur ist und hat kein Archiv; denn sowie 
ein Stück der Registratur vollständig abgeschlossen 
ist in seiner Entwicklung, sobald es der Vergangen- 
heit angehört, wird das Archiv sein natürlicher 
Aufbewahrungsort. 
Das Archiv kann in der Gegenwart einen zwei- 
fachen Zuwachs haben: einen regelmäßigen und 
einen außerordentlichen. Zum regelmäßigen Zu- 
wachs gehören: Regierungsakten aller Art, Akten 
der Ministerien, Kreisregierungen, Statthalte- 
reien, Akten über Einrichtung von Amtern, Insti- 
tuten, öffentlichen Leistungen, besonders betreffs 
Kirchen, Schulen, Universitäten, Stiftungen; alle 
Verhandlungen der Volksvertretung, alle wich- 
tigen Justizakten, sowohl Zivilakten, welche 
Familienangehörigkeit, Eigentum und Grund- 
gerechtigkeit, Entscheidungen über Vermögens- 
Archiv. 
  
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durchgeführt worden. Die einen erblicken hierin 
eine unnatürliche Trennung, die andern eine sach- 
lich begründete Scheidung. Besser als eine Ver- 
mischung beider Verwaltungszweige ist sicherlich 
die scharfe Markierung der Grenze zwischen den- 
selben. Die Registratur ist unrichtigerweise oft 
zum Archiv gestempelt worden; das Archiv besitzt 
eine Registratur, die Registratur aber niemals ein 
Archiv. Überschätzung der Registratur, Unter- 
schätzung des Archivs haben zu Mißständen ge- 
führt, welche eine Trennung wünschenswert er- 
scheinen ließen. Der Archivar muß auch Registrator 
sein, der Registrator ist aber durchaus nicht Ar- 
chivar. Der Registrator braucht keine besondere 
wissenschaftliche Bildung zu besitzen, wenn auch 
noch lange nicht jeder Beamte zum Registrator 
taugt und unter gewissen Verhältnissen für densel- 
rechte betreffen, als auch Akte der freiwilligen ben sogar einige sprachliche Kenntnisse erwünscht, 
Gerichtsbarkeit, wie Testamente, Verträge; Akten, ja nötig werden; aber das sind Ausnahmen. Der 
welche Flurmarkung, Forstrechte. Wasser-, Weide-, Archivar dagegen steht voll und ganz in der Reihe 
Wegegerechtsame, Alpenwirtschaft, Fischerei in der Gelehrten. Seine Bildung muß sogar mög- 
jedwedem fischhaltigen Wasser, Bergwerke be. lichst vielseitig sein und in erster Linie sich auf 
treffen; Pläne, Risse, Karten, Verhandlungen philologische Kenntnisse, alte und neuere Sprachen, 
über Weg= und Brückenbauten, Wasserbauten, mittelalterliches Latein, Alt= und Mittelhoch- 
Neuansiedlung, Teilung, Zusammenlegung der deutsch, Urkundenlehre (Diplomatik oder Chartik), 
Fluren, ältere Kataster, Oypotheken= und Grund= Schriftkunde (Paläographie), Zeitrechnungskunde 
bücher; Notariatsakten, wenn sie Familienverhält- 
· . . hält- (Chronologie), Siegelkunde (Sphragistik), Wap- 
nisse, unbewegliches Eigentum und Immobiliar= penkunde (Heraldik) erstrecken. 
Sodann sind 
rechte betreffen; amtliche Schriftstücke, welche für die Kenntnisse in der allgemeinen, besonders deutschen 
Geschichte des Landes und seiner Ortlichkeiten, für 
die Religions-, Sitten= und Kunstgeschichte oder 
auch für das Kapitel der volkswirtschaftlichen 
Studien für die Nachwelt von Interesse sein 
können. Sodann gehen dem Archiv zu: Staats- 
verträge mit auswärtigen Regierungen, alle Ehe- 
pakten, Familienverträge von Mitgliedern des 
landesherrlichen Hauses, Testamente, Apanagen, 
Zuschüsse; landesherrliche Urkunden über Standes- 
erhöhungen; die Originalien erlassener Landes- 
gesetze (ogl. v. Löher, Archivalische Zeitschrift 1. 
[1876. 57 ff). Außerordentlichen Zuwachs kann 
das Archiv erhalten durch Sichtung von Beständen 
alter Registraturen, Zuweisung anderer Archive, 
Kauf, Tausch, Schenkungen usw. Bei allen Er- 
werbungen aber muß richtiges Verständnis das 
Urteil abgeben über Wert oder Unwert. Nicht 
jedes alte Stück Papier hat archivalischen Wert, 
und anderseits kann manches unscheinbare Blatt, 
manche schlichte Aufzeichnung von historischem 
Interesse und selbst rechtlichem Wert sein. Über die 
Beziehungen der Staatsarchive zu den Registra- 
turen und Archiven der Verwaltungs= und Justiz- 
behörden hielt E. Ermisch einen Vortrag auf dem 
ersten allgemeinen deutschen Archivtag zu Straß- 
burg am 25. Sept. 1899. 
Es liegt mithin zutage, daß zwischen Archiv 
und Registratur ein gewisser Zusammen- 
hang besteht, anderseits aber auch die Natur 
dieser beiden wichtigen Verwaltungszweige im 
Staatsorganismus verschieden ist. Eine vollstän- 
dige Trennung ist vielfach angestrebt und auch 
  
Geschichte, deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 
Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Kulturgeschichte, 
Geographie und Genealogie sehr förderlich und 
wünschenswert. Eine eigentliche Schule für Archiv- 
beamte, wie sie Frankreich in seiner Ecole des 
Chartes besitzt, haben wir in Deutschland nicht. 
Bei der großen Wichtigkeit und der Bedeutung 
der Tätigkeit eines Archivars, welche in der Jetzt- 
zeit weit mehr zur Anerkennung und Schätzung 
gekommen ist als noch vor wenigen Jahrzenten 
  
(und stellenweise heute noch), wo das Amt des 
Archivars als ein Versorgungsposten oder als 
Appendix für einen andern Berufsamten erachtet 
wurde, wird auch mehr auf wissenschaftliche Be- 
fähigung gesehen und eine systematische Heran- 
bildung vielfach als Zweig der Universitäts- 
fakultäten gewünscht. Übrigens finden an einer 
Reihe deutscher Universitäten diplomatische char- 
tische) und paläographische Ubungen statt. Der 
praktische Dienst gibt dann die nötige Ausbildung 
und Schulung. Bayern ist in einer solchen Aus- 
bildung seiner Archivbeamten am weitesten voran, 
indem dort eine Ausbildung zum höhern Archiv- 
dienst tatsächlich vorhanden ist (ogl. W. Wiegand, 
Die wissenschaftliche Vorbildung des Archivars. 
Vortrag auf dem ersten allgemeinen deutschen 
Archivtag in Straßburg). Männer von hervor- 
ragender wissenschaftlicher Bedeutung weist der 
Stand der Archivare auf: Namen wie Höfer, 
Erhard, v. Medem, Friedemann, Märker, Har- 
leß, A. Kaufmann, v. Löher, Koser, Dunker, 
v. Löffelholz. Pfannenschmied, Ennen, v. Weber-
	        
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