Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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sammlungen (Konferenzen). Nur eine einheitlich 
geleitete, mit tüchtigen Pflegkräften versehene frei- 
willige Gemeindearmenpflege kann hier durch- 
greifen. Die Privatwohltätigkeit muß Kenntnis 
haben von anderweit gewährten Unterstützungen. 
In dieser Hinsicht hat sich die Londoner Charity 
Organisation Society einen Namen gemacht. 
Um Unterstützung Bittende werden von den bei- 
tragenden Mitgliedern einfach an die Organe der 
Gesellschaft gewiesen. Diesen gelingt es durch ihre 
Verbindung mit den Organen der offiziellen 
Armenpflege und mit den verschiedenen Vereinen 
und Anstalten der Privatwohltätigkeit, genaue 
Informationen einzuziehen. So entsteht eine ein- 
heitliche Leitung und Kontrolle, und die Privat- 
wohltätigkeit erhält die Bürgschaft für die beste 
Verwendung. — Für mittlere Städte, in welchen 
die mittellose Bevölkerung eine seßhaftere ist und 
sich nicht in ausgedehnten Armenvierteln zu- 
sammengepfercht findet, ist eine Lokalisierung der 
Hausarmen durch Einteilung in Distrikte nach Art 
der Vinzenzvereine oder des Elberfelder Pfleg- 
systems zu empfehlen. 
4. Dort, wo die Kräfte der einzelnen sowie die 
freiwilligen Vereinigungen zur Befriedigung eines 
allgemeinen Bedürfnisses nicht ausreichen, wird 
das Einschreiten der öffentlichen Gewalt als nötig 
anerkannt werden müssen. Auch gibt es Aufgaben, 
die nur durch die staatliche Zwangsgewalt gelöst 
werden können, und Verhältnisse, die durch die 
Gesetzgebung organisiert und geregelt werden 
müssen. Soliegt der öffentlichen Gewalt die Hand- 
habung der Armenpolizei ob, die Behandlung 
der schuldbaren und arbeitsscheuen Armen. Indem 
solche Individuen zur Arbeit angehalten werden, 
wird der Gesamtproduktion der ihr von den ein- 
zelnen entzogene Anteil zurückgegeben und zugleich 
Lastern und Verbrechen vorgebeugt, die eine Folge 
des unterhaltslosen und müßiggängerischen Lebens 
sind. Ferner wacht die Legislative darüber, daß 
sich die Armenlast nicht in ungerechter Weise auf 
die einzelnen Armenverbände verteilt, sie regelt die 
Alimentationspflicht und bestimmt, auf welche 
Personen sich die Verpflichtung der einzelnen 
Armenverbände zur öffentlichen Unterstützung er- 
streckt, sie schließt Verträge mit andern Staaten 
über die gegenseitige Behandlung der Armen und 
Bettler. Eine staatliche Armenunterstützung liegt 
in der Sportel= und Gebührenfreiheit aller Armen- 
sachen, in der unentgeltlichen Behandlung der 
Armen durch die vom Staat besoldeten Arzte, in 
dem Recht der Armen auf Befreiung von den 
Kosten eines bürgerlichen Rechtsstreits (sog. „Ar- 
menrecht“ i. e. S.) unter der Voraussetzung, daß 
Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung nicht 
mutwillig oder aussichtslos erscheinen. Schließlich 
gehört es zu den Aufgaben des Staats, in pro- 
phylaktischer Weise diejenigen Vorkehrungen zu 
treffen, durch welche der Armut vor ihrer Ent- 
stehung vorgebeugt wird, also alle Maßregeln, 
welche die körperliche, geistige und sittliche Ent- 
Armenpflege. 
  
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wicklung der Staatsbürger fördern, Fürsorge 
für Gesundheit, Sonntagsruhe, Nahrungsmittel, 
Mietwohnungen, Vorsichtsmaßregeln bei verhee- 
renden Krankheiten. Es verbleiben somit dem 
Staat auf dem Gebiet des Armenwesens noch eine 
stattliche Anzahl von Aufgaben. Vor allem fühle 
er sich veranlaßt, Institutionen ins Leben zu 
rufen, welche dem Eiptritt der Massenarmut ent- 
gegenwirken, von der bei der heutigen Organi- 
sation des wirtschaftlichen Betriebs in Zeiten der 
Arbeitslosigkeit alle diejenigen Arbeiter bedroht 
sind, die durch Arbeit in den Fabriken usw. nur 
den zur Befriedigung des Lebensbedarfs gerade 
hinreichenden Lohn erwerben. Lange Zeit reichten 
Werke der Mildtätigkeit, Stiftungen für Be- 
schaffung der Mittel hin. Erst die neuere 
Zeit mußte auf besondere Zuflüsse und Ergänzung 
aus den gewöhnlichen Kommunaleinkünften Be- 
dacht nehmen. „Mit der christlichen Nächstenliebe 
hält die politische Notwendigkeit der Armenpflege 
einen Vergleich nicht aus. Die politische Armen- 
pflege erschöpft ihre Mittel um so schneller, je mehr 
sich das christliche Almosen davon zurückzieht" 
(Mone). Die ewigen Stiftungen gingen aus der 
Überzeugung hervor, daß auch die Bedürfnisse der- 
selben bleibend seien, und aus diesem Grund schloß 
man ihre Verwaltung an bestehende, ewige An- 
stalten. Wo die Folgezeit die einen oder die andern 
zerstört, hat sie nichts gewonnen; denn die wach- 
senden Bedürfnisse lasten um so schwerer auf der 
Gesellschaft, je mehr sie ihr Stiftungsvermögen 
verschlungen hat. Da war es namentlich die Re- 
formation, welcher (unter anderem infolge der zu 
reichlichen Mittel) vorgekommene Mißbräuche einen 
teilweisen Vorwand gaben zu Reformen und Maß- 
reglungen der alten Stiftungen. Allein „#es wird 
sich nicht leugnen lassen“, schreibt ein neuerer 
Kenner des Armenwesens (Laves), „daß gerade 
das Stiftungswesen in der neueren Zeit relativ 
zurückgegangen ist. Das Mittelalter pflegte diesen 
Zweig der Armenpflege entschieden mehr als unsere 
Zeit. Charakteristisch ist, daß die beiden alten, 
mittelalterlich reichen Städte Bayerns, Nürnberg 
und Augsburg, mehr Stiftungskapital besitzen 
als das mehr neuzeitliche München, trotzdem letz- 
teres katholisch und zwei= bis dreimal größer ist 
als jene beiden Städte." 
Wo Stiftungsgelder, Kirchensammlungen und 
Privatwohltätigkeit nicht hinreichend sind zur Er- 
langung der Mittel, bleibt nichts anderes übrig, 
als den ganzen Rest nach Steuergrundsätzen 
zu beschaffen. Wo die Notleidenden in der christ- 
lichen Nächstenliebe ihrer Mitmenschen die nötige 
Unterstützung nicht finden, muß die öffentliche 
Gewalt dieselbe beschaffen, schon um Gefährdung 
der öffentlichen Ruhe abzuwenden. Es ist kein 
Zufall, daß in protestantischen Ländern die Armen- 
steuer zuerst um sich griff. Seit der Reformation 
mehrten sich die Mittel schwach, die Stiftungen 
wurden spärlich. Noch jetzt läßt sich zwischen 
Ländern mit katholischer und solchen mit prote- 
13“
	        
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