Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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wiß zu diesen Gründen, aus welchen der Prätor 
einen Advokaten beiordnen mußte, gehört haben. 
Allein, daß der Advokat in solchen Fällen ver- 
pflichtet gewesen sei, seinen Beistand unentgeltlich 
zu leisten, wird in keiner der beiden Stellen ge- 
sagt. Es kann dies allerdings indirekt aus den 
Worten Justinians (in c. 13, §#9 de iud. 3, 1) 
gefolgert werden: Honorarüs seilicet a clien- 
tibus, Oui dare possint, dissertissimis. 
togatis omnimodo praestandis. Allein eine 
solche beiläufige Andeutung genügt keineswegs 
zum Beweis dafür, daß schon nach römischem 
Recht diejenigen, qui dare non possint, generell 
von Zahlung der Advokatenhonorare befreit ge- 
wesen seien. Somit rechtfertigt sich die Behaup- 
tung, daß bei den Römern das Armenrecht als 
entwickeltes Rechtsinstitut nicht bestanden habe. 
Nach dem Zeugnis der Glosse bildete sich im nach- 
justinianischen Recht vielfach die Praxis aus, daß 
der einer armen Partei zugeteilte Advokat das 
Honorar für seinen Beistand aus öffentlichen 
Fonds (de publico) erhielt. Dagegen ist in der 
Glosse von einem Recht der armen Partei auf 
Sportelfreiheit nirgends die Rede. 
2. Kanonisches Recht. Die Tendenz des 
kanonischen Rechts ging dahin, daß die Justiz 
möglichst unentgeltlich verwaltet werde (vgl. Fuchs, 
Zeitschr. für Rechtsgesch. V 104 ff, und Sprick- 
mann-Kerkerinck a. a. O.). Der Richter durfte 
sich keine Sporteln von den Parteien geben lassen, 
ja nicht einmal freiwillig angebotene Sporteln 
annehmen, ausgenommen etwa esculentum vel 
poculentum mera liberalitate oblatum, qduod 
paucis consumi possit diebus. Was die gericht- 
lichen Auslagen anbelangt, galt der Grundsatz: 
nemo cogitur suis stipendiis militare. Während 
daher der iudex ordinarius Ersatz der Expensen 
nicht fordern durfte, konnte der iudex delegatus 
moderatas expensas ersetzt verlangen (wozu na- 
mentlich die infolge einer notwendigen oder nütz- 
lichen Reise entstehenden Spesen für Lebensunter- 
halt und Transport gehören), und zwar von beiden 
Parteien zu gleichen Teilen. Die Assessoren und 
Notare, die Advokaten und Prokuratoren erhielten 
nicht nur (wie auch die Zeugen) Ersatz ihrer Aus- 
lagen, sondern auch für ihre Dienstleistungen ein 
Honorar, dessen Betrag bei den Assessoren und 
Notaren je nach den Umständen des Falls und 
den Verhältnissen der Streitteile von dem Richter 
bestimmt wurde, bei den (weltlichen) Advokaten 
und Prokuratoren vorher vertragsmäßig festgesetzt 
werden mußte. 
Das kanonische Recht stellte nun den Grundsatz 
auf, daß die Armen von der Zahlung von Prozeß- 
kosten völlig befreit sein sollten, worin, wie Schott 
(Armenrecht 18) als besonderes Verdienst des 
kanonischen Rechts anerkennt, der Ursprung unseres 
heutigen Armenrechts zu suchen ist. Zwar bezieht 
sich die betreffende Hauptstelle (c. 11, 8 4 in VI. 
de rescript. 1, 3: sed ubi notabiliter (P. h. 
erwiesenermaßen]) fuerint pauperes litigantes, 
Armenrecht. 
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etiam pro expensis nil prorsus exigat ab eis- 
dem) zunächst nur auf die dem Richter zu er- 
setzenden Auslagen; nach dem ganzen Geist der 
kanonischen Gesetzgebung und den Zeugnissen der 
älteren juristischen Schriftsteller (Durandus, Ma- 
ranta) ist aber nicht zu bezweifeln, daß derselbe 
Grundsatz auch bezüglich der gesamten übrigen 
Kosten Anwendung fand, daß also auch von deren 
Zahlung die arme Partei befreit war. Insbeson-= 
dere wird der Richter ausdrücklich für verpflichtet 
erklärt, den Armen einen Advokaten zu unent- 
geltlichem Beistand beizuordnen (Gl. implorando 
ad c. 1, X de off. iud. 1, 32; Baldus ad c. 25 
de nupt. 5, 4, n. 3; Jason ad tit. J. de act. 
§ 24, n. 54). Nach den Statuten von Cesena 
(I, rubr. 55) waren die Advokaten gehalten, ihren 
Beistand den Armen, wie überhaupt den personae 
miserabiles, gratis et sine aliquo salario zu 
gewähren. In mehreren italienischen Staaten be- 
stand die bereits erwähnte Einrichtung, daß die 
Armenadvokaten für ihre Dienste aus öffentlichen 
Fonds honoriert wurden. Die Statuten von An- 
cona, Ferrara, Florenz, Genua und Gubbio legten 
einzelnen Mitgliedern des Advokatenkollegs oder 
dem advocatus fisci die Verpflichtung zur un- 
entgeltlichen gerichtlichen Vertretung der Armen 
auf (vgl. Fuchs a. a. O.). — Schließlich ist noch 
darauf hinzuweisen, daß die Kirche auch nach 
mancher andern Richtung hin für den Rechtsschutz 
der Armen eintrat, namentlich durch die Ein- 
richtung von defensores ecclesiastici 
für die Armen, durch die den Klerikern erteilte 
Erlaubnis, auch vor weltlichen Gerichten für per- 
sonae miserabiles aufzutreten, durch die Ein- 
räumung eines gewissen Aufsichtsrechts der Bischöfe 
über die Richter zum Schutz der Armen usw. (ogl. 
Sprickmann-Kerkerinck a. a. O.). 
3. Deutsches Recht. Während das alt- 
germanische Gerichtsverfahren keine oder höchstens 
sehr geringe Kosten erforderte, nahmen mit der 
Veränderung des Verfahrens durch die mittel- 
alterlich-italienische Doktrin auch die Prozeßkosten 
zu, so daß eine besondere Fürsorge für die Armen 
geboten erschien. Der Schwabenspiegel (Ausgabe 
von Laßberg 17, S. 44) schreibt in dieser Beziehung 
dem Fürsprech vor: Er soll armer liute wort 
durch got sprechen, und tuot er des nicht, 
daz ist wider got, unde der richter mac imz 
gebieten mit rehte, daz er armer liute wort 
umbe sust spreche. Ulrich Tenngler (Laien- 
spiegel I. TI) lehrt, daß die Armen nicht mit 
Zahlung von Prozeßkosten beschwert werden und 
daß die Richter darauf sehen sollen, daß jenen vor- 
sprechen gleich gegeben, auch die armen 
umb gots willen versehen werden. Eine durch- 
greifende Umbildung des Armenrechts vollzog sich 
nach Einführung des Reichskammergerichts (vgl. 
Albrecht, Zeitschr. f. Zivilrecht XI 89 ff, u. Fuchs 
a. a. O.). Die Kammergerichtsordnung von 1471 
bestimmt, da armuts halben nyemandt recht- 
loss gelassen werden dürfe, daß der Kammer- 
  
 
	        
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