Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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richter die Sachen der armen, die ir armut mit 
iren eyden, ob der gesonnen wirt, erweisten, 
den Advokaten und Prokuratoren empfehlen solle, 
darinn zu raten und zum besten ir Recht 
fürzubringen, und zwar bei peen entsetzung 
seines Ampts. Während hier als Voraussetzung 
der Beiordnung eines Armenanwalts die eidliche 
Erhärtung der Armut und zwar nur dann ver- 
langt wird, falls dem Armen dies wirklich an- 
gesonnen würde, fordert die K. G. O. von 1495 
hier außerdem ein eidesstattliches Restitutionsver- 
sprechen für den Fall des Eintritts besserer Ver- 
mögensverhältnisse. Nach der K.G.O. von 1521 
mußte der Arme seine Armut, auch wenn sie außer 
Zweifel war, eidlich erhärten, und erstreckte sich 
das Restitutionsversprechen auf sämtliche Kosten, 
nicht nur die Anwaltsgebühren, wurde also auch 
auf die Gerichtskosten ausgedehnt: mit vor- 
behaltung, so der arm zu besser vermoeg- 
lichait keme, das er alssdan der gebüre, 
umb die erlangte Acta, aussrichtung thun 
.. S#-#l. Sodann normiert die K.G.O. von 1538 
eine der Mainzer Hofgerichtsordnung von 1516 
entlehnte Formel für den „Eyd vor die Armut“. 
Derselbe enthält die Zusammenfassung eines iura- 
mentum assertorium, promissorium und mali- 
tiae, nämlich nicht nur die Beschwörung der Armut 
und die eidliche (statt eidesstattliche) Leistung des 
Restitutionsversprechens (nunmehr auch bezüglich 
der Gerichtsgebühren), sondern auch die eidliche 
Versicherung, daß der Arme sich seines Vermögens 
nicht arglistigerweise begeben habe. Nach der 
K.G.O. von 1555, welche dem immer wachsenden 
Mißbrauch des Armenrechts kräftiger zu steuern 
bezweckt, soll der Arme erst dann zur Leistung des 
Armeneids in dieser dreifachen Richtung zugelas- 
sen werden, wenn er seiner armut und unver- 
moegens ein urkundt von seiner oberkeit oder 
andern glaubwirdigen Personen beigebracht 
oder zum wenigsten etlicher massen anzeig 
und schein seiner armut dargetan hat. Aus 
dem Gesagten ergibt sich, daß die deutsche Reichs- 
gesetzgebung das kanonische Armenrecht, wonach 
der Arme völlige Kostenfreiheit genoß, insofern 
wesentlich umgestaltet hat, als nach neuerem Recht 
auf Grund der Ableistung des Armeneids nur 
eine Stundung der Gerichtskosten und eine 
Kreditierung der Advokatenkosten auf so lange 
eintritt, bis die arme Partei zu besseren Ver- 
mögensverhällnissen gelangt ist. 
Die neueren Partikulargesetze beruhen sämtlich 
auf dem Prinzip der bloßen Stundung der Pro- 
zeßkosten und weichen nur in Bezug auf den 
Armeneid voneinander ab, indem sie entweder 
denselben unbedingt fordern, oder dessen Ableistung 
nur auf Verlangen des Prozeßgegners der be- 
scheinigtermaßen armen Partei auferlegen, oder 
aber den Armeneid überhaupt nicht als Bedingung 
für Erteilung des Armenrechts statuieren, oder 
denselben ausdrücklich abgeschafft haben. Dagegen 
stellen die neueren Partikulargesetze als weiteres 
Armenrecht. 
  
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Erfordernis der Erteilung des Armenrechts auf, 
daß die Sache des Unvermögenden sich nicht von 
vornherein als eine grundlose darstellen dürfe und 
daß daher in dieser Richtung dem Gericht auf 
Grund der ihm mitzuteilenden Tatsachen und 
Beweismittel eine sachliche Vorprüfung zu ermög- 
lichen sei. Diese Vorschrift gründet sich auf die 
Bestimmung des Reichsdeputationsabschieds von 
1600, es solle der um Grteilung des Armenrechts 
einkommende Arme mit allem Ernst verwarnt 
werden, im Fall die sachen unbegründet 
und baufällig, und dass betrieglicher Weiss 
damit umbgangen werde, sich würde er- 
zeigen, dass alsdann gegen ime, nach be- 
fundenen Sachen, mit allem Ernst verfahren 
und am Leib gestrafft werden solle. 
4. Die Zivilprozeßordnung für das 
Deutsche Reich enthält in 88 114/127 ein- 
gehende Bestimmungen über das Armenrecht. Hier- 
nach erhält eine Partei (ein Ausländer nur bei 
verbürgter Gegenseitigkeit), wenn und insolange 
sie „außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des 
für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts 
die Kosten des Prozesses zu bestreiten", und „wenn 
die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechts- 
verteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos er- 
scheint", Anspruch auf Bewilligung des Armen- 
rechts, d. h. auf unentgeltliche Prozeßführung, und 
zwar nicht nur einstweilige Befreiung von der 
Berichtigung der sämtlichen Gerichtskosten und 
von der Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten, 
sondern auch auf Beiordnung eines Gerichtsvoll- 
ziehers zur vorläufig unentgeltlichen Bewirkung 
von Zustellungen und von Vollstreckungshand= 
lungen und, insoweit eine Vertretung durch An- 
wälte geboten ist (nach §88 34/36 der Rechts- 
anwaltsordnung, auch insoweit eine solche nicht 
geboten ist), eines Rechtsanwalts zur vorläufigen 
unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte. Auch 
kann hiervon abgesehen einer nicht im Bezirk des 
Prozeßgerichts wohnenden armen Parteiin gleicher 
Weise für die mündliche Verhandlung ein rechts- 
kundiger Vertreter beigeordnet werden. Gelangt 
der Arme später zu Vermögen oder stellt sich nach- 
träglich heraus, daß die Armut nicht vorhanden 
gewesen, so ist die betreffende Partei zur Nach- 
zahlung der Beträge verpflichtet, von deren Be- 
richtigung sie einstweilen befreit war. Das Gesuch 
um Bewilligung des Armenrechts ist bei dem 
Prozeßgericht anzubringen unter Vorlage eines 
obrigkeitlichen Zeugnisses über das Un- 
vermögen der Partei zur Bestreitung der Prozeß- 
kosten und muß eine Darlegung des Streitver- 
hältnisses unter Angabe der Beweismittel ent- 
halten. Die Bewilligung des Armenrechts erfolgt 
für jede Instanz besonders; wenn dasselbe schon 
in erster Instanz bewilligt war, bedarf es in der 
höheren Instanz des Nachweises des Unvermögens 
nicht, und wenn der Gegner das Rechtsmittel ein- 
gelegt hat, fällt in höherer Instanz die sachliche 
Vorprüfung weg. Das Armenrecht kann zu jeder
	        
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