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achten sollte, einem entsprechenden, auf diplo-
matischem Weg mitgeteilten Ersuchungsschreiben
nach Maßgabe der Gesetzgebung des Landes, wo
der Zeuge vernommen oder der Akt vorgenommen
werden soll, Folge zu geben ist. Die Ausführung
des Antrags kann nur abgelehnt werden, wenn die
Untersuchung eine Handlung zum Gegenstand hat,
welche nach den Gesetzen des Staats, an welchen
das Ersuchungsschreiben gerichtet ist, nicht strasbar
ist, oder wenn es sich um rein fiskalische Vergehen
handelt. Die Kosten der Requisition trägt in den
regelmäßigen Fällen der ersuchte Staat. Ist in
einer nichtpolitischen Strafsache das persönliche
Erscheinen eines Zeugen in dem auswärtigen
Staat notwendig, so hat die Regierung desjenigen
Staates, in welchem der Zeuge sich aufhält, diesen
aufzufordern, der an ihn ergehenden Ladung gegen
Gewährung der nach den Gesetzen des Verneh-
mungslandes ihm zustehenden Zeugengebühren
Folge zu leisten. Ein solcher Zeuge darf unter
keinen Umständen in dem andern Land wegen
früherer strafbaren Handlungen oder Verurtei-
lungen oder unter dem Vorwand der Mitschuld
an der zur Untersuchung stehenden Tat zur Unter-
suchung gezogen oder bestraft werden. Hierbei
kommt es auf die Staatsangehörigkeit des Zeugen
nicht an. Wird in einer nichtpolitischen Straf-
sache die Mitteilung von Beweisstücken oder von
Urkunden, welche in den Händen von Behörden
des andern Landes sind, oder wird die Konfron-
tation des Angeschuldigten mit im andern Land
verhafteten Schuldigen für notwendig oder nützlich
erachtet, so soll einem darauf gerichteten, auf diplo-
matischem Weg gestellten Ersuchen stattgegeben
werden, jedoch nur unter der Bedingung, daß
sobald als möglich die Beweisstücke, Urkunden und
Verhafteten zurückgeliefert werden. — Wegen der
Auslieferung desertierter Schiffsmannschaften hat
das Deutsche Reich in seinen Handels-, Schiff-
fahrts= bzw. in seinen Konsularverträgen besondere
Vereinbarungen getroffen. Nach den Verträgen
mit Nordamerika, Brasilien, China, Costa Rica,
Griechenland, Hawaii, Italien, Korea, Mexiko,
den Niederlanden, Portugal, Rußland, Salvador,
Spanien, Serbien und der Dominikanischen Re-
publik haben die auswärtigen Regierungen zur
Besatzung der Kriegs= oder Handelsschiffe deut-
scher Nationalität gehörige Deserteure auf ein Er-
suchungsschreiben des deutschen Konsuls, begleitet
von einem amtlichen Auszug aus dem Schiffs-
register und der Musterrolle oder von amtlichen
Urkunden, welche geeignet sind, zu beweisen, daß
die Leute, deren Auslieferung sie verlangen, zu
der gedachten Schiffsmannschaft gehören, festzu-
nehmen (vorausgesetzt, daß dieselben weder zur
Zeit ihrer Einschiffung noch zur Zeit ihrer An-
kunft im Hafen Angehörige des Auslieferungs-
staates, noch auch eines Verbrechens angeklagt
oder überführt sind) an die Konsuln auszuliefern.
Denselben soll ferner jede Hilfe und jeder Schutz
gewährt werden bei der Verfolgung, Ergreifung
Ausnahmegerichte.
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und Festhaltung der Deserteure, welche in die
Gefängnisse des Landes gebracht und dort auf
Ersuchen und Kosten der Konsuln so lange fest-
gehalten werden, bis die Konsuln eine Gelegen-
heit zu deren Fortsendung gefunden haben. Findet
sich eine solche Gelegenheit nicht binnen eines
zwischen zwei und sechs Monaten fixierten Zeit-
raums, so werden die Deserteure freigelassen und
wegen dieser Desertion nicht wieder festgenommen.
— Das Militärstrafgesetzbuch gilt für ganz Deutsch-
land; Militärdeserteure werden von und nach dem
Ausland nicht ausgeliefert. Im Fall ihrer Er-
greifung im Inland werden dieselben wegen Ver-
letzung der Wehrpflicht nach den Strafgesetzbüchern
bestraft. Handlungen, welche während eines poli-
tischen Aufruhrs, einer Insurrektion oder eines
Bürgerkriegs vorgefallen sind, führen, sofern
nicht Amnestie bewilligt ist, zur Auslieferung,
wenn der ersuchte Staat dieselben für nach Kriegs-
gebrauch unentschuldbar hält.
Literatur. Berner, Wirkungskreis der Straf-
gesetze (1853); v. Bar, Lehrb. des internat. Privat-
u. Strafrechts (1892); ders., Zur Lehre von der A.
(Gerichtssaal Bd 34); Renault, Des crimes poli-
tiques en matières d’extradition (Par. 1880);
v. Holtzendorff, Die A. der Verbrecher u. das Asyl-
recht (1881); Hetzer, Deutsche A.sverträge (1883);
Teichmann, Les délits politiques (Revue de droit
internat. XI); v. Liszt, Lehrb. des deutsch. Straf-
rechts (11905); Schmollers Jahrbuch für Gesetz-
gebung usw. V 1043 u. die Literaturübersichten VI
701 ff, VII 639 ff, VIII 919 ff; Bernard, Traité
de T’extradition (Par. 1890); Perels, A. deser-
tierter Schiffsmannschaften (1883); Kirchner, L’ex-
tradition (1883); v. Bulmerincq, Art. „Völker-
recht“ in Marquardsens Handbuch des öffentl. Rechts
der Gegenwart (1884); Lammasch, A.Srecht u. Asyl-
recht (1887); Spear, Law of Extradition (Lond.
(1884); Wach, Art. „A.“ in der Deutschen Enzyklo-
pädie (1886); v. Staudinger, Staatsverträge
(1895); v. Martitz, Internationale Rechtshilfe in
Strafsachen (2 Tle, 1888/97); Delius, A.srecht
(1899); Grosch, Das deutsche A.Srecht (1902).
lSpahn.)]
Ausnahmegerichte sind Gerichte, welche,
außerhalb der regelmäßigen Gerichtsverfassung
eines Staates und deren Zuständigkeitsbestim-
mungen bestehend, nur vorübergehend auf eine be-
schränkte Zeit zur Erreichung eines bestimmten
Zwecks angeordnet werden oder, wenn auch für
die Dauer angeordnet, sich doch mit Rücksicht auf
die davon betroffenen Personen oder Vergehen
von denjenigen Grundsätzen entfernen, auf welchen
jede geordnete Rechtspflege notwendig beruhen
muß. Dagegen begründet eine Abweichung von
den in der Gerichtsverfassung allgemein ange-
nommenen Zuständigkeitsregeln aus Zweckmäßig-
keitsgrundsätzen noch lange nicht den Begriff eines
Ausnahmegerichts. Von diesem Standpunkt aus-
gehend ist es, wenn die Merkmale zutreffen, gleich-
gültig, ob das Gericht durch ein Gesetz oder eine
Verordnung eingesetzt ist, ob die Landesverfassung
dazu berechtigt oder nicht, ob die Anordnung in