493
lenken und ihn in die vorwiegend Landwirtschaft
treibenden Südstaaten zu führen.
Im amerikanischen Westen ist die sog. Chi-
nesenfrage, d. h. die Frage nach Abwehr der
Gefahren aus einer zu starken Chineseneinwande-
rung, schon früher brennend geworden. Die Chi-
nesen begannen seit 1848 ihre Einwanderung; zu-
erst strömten sie zu den Goldfeldern Kaliforniens,
bildeten aber schon nach kurzer Zeit den Anlaß
vieler Klagen, weil sie mitten in einer fremden
Volkswirtschaft doch national und sozial abge-
schlossen lebten und durch ihre billige Lebensweise,
ihren ausdauernden Fleiß, ihre Geschicklichkeit für
alle gewerblichen Berufe, ihre klimatische An-
passungsfähigkeit gefährliche Konkurrenten der ein-
heimischen Arbeiter und Geschäftsleute wurden
und auch durch ihre Lasterhaftigkeit (Spiel, Opium,
Prostitution) verderblich auf ihre Umgebung wirk-
ten. Ende der 1870er Jahre hatte die chinesische
Einwanderung einen ganz bedeutenden Umfang
angenommen.
Durch das Abkommen von Peking (1880)
wurden deshalb die alten Verträge, namentlich
der Burlingame-Vertrag von 1868, welche die
Einwanderung gestatteten, von der Union auf-
gehoben und von 1882 ab eine beschränkende Ein-
wanderungsgesetzgebung durchgeführt. Im Jahr
1894 wurde der Zustand zwischen China und der
Union vertragsmäßig festgelegt. Eine Anderung
der Bestimmungen in dem amerikanischen Gesetz
veranlaßte die chinesische Regierung im Januar
1904, den vertragsmäßigen Zustand zu kündigen.
Nach dem amerikanischen Gesetz vom 16. April
1904, das zu einem Boykott amerikanischer Waren
in China führte, sind von der Einwanderung aus-
geschlossen chinesische Arbeiter, dagegen zugelassen
Kaufleute, Lehrer, Studenten, Reisende und Be-
amte der chinesischen Regierung. Bei der letzten
Volkszählung (1900) wurden 90.000 Chinesen
gezählt, die zur Hälfte in Kalifornien wohnen,
wo sie noch nicht 4 % der Gesamtbevölkerung aus-
machen. Bis 1882 waren 288 000 Chinesen ein-
gewandert. Die heutige chinesische Bevölkerung
ist zum größten Teil der überlebende Rest der
Einwanderer, da diese im wesentlichen unver-
heiratet blieben. Von einzelnen unbedeutenderen
Repressivmaßregeln abgesehen, hat sich China in-
folge seiner politischen Ohnmacht dem Willen der
amerikanischen Gesetzgeber einfach gefügt.
Die japanische Einwanderung nach der
Union erlangte erst eine wesentliche Bedeutung
nach dem russisch-japanischen Krieg (1904/05);
bei der Volkszählung von 1900 wurden nur
24000 Japaner gezählt. Da man gegenüber den
Japanern die gleichen Einwanderungsbeschrän-
kungen wie gegen die Chinesen durchzuführen
sucht, ist seitdem eine politische Spannung zwi-
schen den beiden Mächten des Stillen Ozeans ent-
standen. Ein Abkommen sicherte zwar den ja-
panischen Einwanderern die volle Gleichberechti-
gung mit denen anderer Nationalitäten, tat-
Auswanderung.
494
sächlich besteht diese Gleichberechtigung aber
bloß für die Angehörigen der besseren Gesell-
schaftsklassen, Arbeiter und Kulis dürfen nur
unter ganz besondern Verhältnissen landen. Durch
falsche Pässe, Landen in Mexiko u. dgl. werden
jedoch die amerikanischen Gesetze oft umgangen.
Wie sich die japanisch-amerikanische Einwande-
rungsfrage gestalten wird, ist heute nicht zu über-
sehen. Anerkannt muß werden, daß die japanische
Regierung wider den Willen der öffentlichen Mei-
nung die Auswanderung nach dem amerikanischen
Kontinent und nach Hawalt möglichst zu beschrän-
ken sucht und sich bemüht, seinen Bevölkerungs-
überschuß (jährlich etwa 600 000 Köpfe) nament-
lich nach Korea und der Mandschurei zu lenken,
wo agrarische Siedlungen gegründet werden, von
denen man sich für die japanische Politik auf dem
asiatischen Festland mit Recht größere Erfolge
verspricht als mit Hilfe des japanischen Prole-
tariats in den Städten.
Strenge Bestimmungen über die Einwande-
rung hat auch Westaustralien getroffen (Ge-
setz vom 23. Dez. 1901). Neben verschiedenen
Einwanderungsverboten und Einwanderungsbe-
schränkungen im Sinn der amerikanischen Gesetz-
gebung wird gefordert, daß jeder Einwanderer
in einer europäischen Sprache einen Satz von
50 Worten schreiben kann, den ein Beamter einem
beliebigen Schriftsteller entnimmt. Ahnliche Ge-
setze gelten in Natal (Gesetz vom 5. Mai 1897)
und in der Kapkolonie (Gesetz vom 30. Jan.
1903). Kanada sucht die Einwanderung ge-
eigneter Elemente möglichst zu fördern. Seit 1908
werden den Schiffsagenten für europäische Ein-
wanderer (außer Slawen und Romanen), soweit
sie als Arbeiter in der Landwirtschaft, beim Eisen-
bahnbau oder als Dienstmädchen tätig sein wollen,
eine Prämie von 20, bei Personen unter 18 Jahren
von 10 Schilling gezahlt. Bis 1908 wurden diese
Prämien nur für britische Einwanderer gewährt.
Einwanderungsbeschränkungen für bestimmte Per-
sonenklassen (Kontraktarbeiter, Paupers usw.) schuf
die Gesetzgebung von 1886, 1897 und 1902.
Die chinesische Einwanderung ist in Kanada in-
sofern unmöglich gemacht, als die Chinesen beim
Landen auf kanadischem Boden eine Kopfsteuer
von 500 Pfund Sterling zahlen müssen. Gegen-
über Japan hat man im Interesse Englands eine
solche Maßregel nicht durchzuführen gewagt. Doch
gab es in der letzten Zeit (1907), wo die japa-
nische Einwanderung erst Bedeutung erlangte,
Differenzen zwischen der japanischen und kanadi-
schen Regierung. Verboten oder wenigstens sehr
erschwert ist die Einwanderung der Mongolen
nach Australien und Südafrika; doch ist
für Transvaal im Interesse der dortigen Minen-
industrie im Jahr 1904 die Einfuhr chinesischer
Kulis gestattet worden. Die chinesische Auswan-
derung nach britischen Besitzungen ist zum Teil
geregelt durch den englisch-chinesischen Vertrag
vom 13. Mai 1904 betr. die Chinesenarbeit. —