Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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sanitätspolizeilichen Einrichtungen kommt, sich aus 
einem zum großen Teil mittellosen Publikum 
zusammensetzt und nach Ländern (Vereinigte 
Staaten, England) geht, die eine strenge Ein= P 
wanderungsgesetzgebung haben, so mußte die 
preußische Regierung Vorkehrungen treffen, um 
nicht im Fall der Zurückweisung dieser Aus- 
wanderer mit unwillkommenem Einwanderungs- 
material belästigt zu werden. Im preußisch- 
russischen Grenzverkehr ist (Erlaß der Minister 
des Innern und für Handel und Gewerbe vom 
26. Febr. 1905) der Eintritt in das preußische 
Staatsgebiet nur dann gestattet, wenn die Aus- 
wanderer einen ordnungsmäßigen Paß, einen mit 
einer in Deutschland konzessionierten Schiffahrts- 
gesellschaft abgeschlossenen Passagevertrag zur 
Fahrt nach einem deutschen Ausschiffungshafen, 
eine Eisenbahnfahrkarte bis zum Einschiffungs- 
hafen und ausreichende Barmittel besitzen, welche 
ihre Aufnahme am Reiseziel oder im Fall ihrer 
dortigen Zurückweisung die Rückbeförderung in 
die Heimat gewährleisten. Als erforderlich gilt 
bei gesunden und nicht gebrechlichen Personen von 
mehr als 10 Jahren eine Summe von je 400 M, 
bei Kindern von 100 MI. Alle Auswanderer, welche 
diese Bedingungen nicht erfüllen, müssen eine der 
zehn in der Nähe der Grenze gelegenen (außer der 
in Ruhleben bei Berlin) „Kontrollstationen“ pas- 
sieren. Hier werden die Durchwanderer registriert 
und ärztlich untersucht und die Kranken abgeson- 
dert, Gepäck und Sachen desinfiziert. Die Weiter- 
beförderung nach dem Einschiffungshafen geschieht 
dann möglichst in besondern Auswanderungs- 
zügen. Die Schiffahrtsgesellschaften sind dann 
verpflichtet, für alle Ausgaben aufzukommen, die 
dem Staat, den Gemeinden oder den Armen- 
verbänden durch die zur Beförderung zugelassenen 
Durchwanderer, sowie durch deren Verpflegung, 
Behandlung und etwaige Beerdigung auf der 
Hin= und im Fall der Zurückweisung im Hafen 
des Einwanderungslands auch auf der Rückfahrt 
verursacht werden. Die Kosten für Errichtung 
und Erhaltung der Kontrollstationen und der 
gleich zu nennenden Registrierstationen werden 
von den beiden großen deutschen Schiffahrtsgesell- 
schaften getragen.— Für die preußischöster- 
reichische Grenze sind (Erlaß der Minister des 
Innern und für Handel und Gewerbe vom 20. 
Sept. 1904) die Voraussetzungen, unter denen 
preußisches Gebiet ungehindert betreten werden 
darf, im wesentlichen die gleichen wie für die 
russische Grenze, nur daß im Fall der Nicht- 
erfüllung „Registrierstationen“ (Myslowitz, Rati- 
bor, Bingerbrück) zu passieren sind, in denen 
die sanitätspolizeiliche Kontrolle nicht so streng 
ist wie in den Kontrollstationen. Ahnliche Be- 
stimmungen haben Bayern (Verordnung vom 
15. Nov. 1905) und Sachsen erlassen. 
Literatur. Wappäus, Die deutsche A. u. 
Kolonisation (1846 u. 1848); Gäbler, Deutsche A. 
u. Kolonisation (1849); Löher, Gesch. u. Zustände 
Ausweisung — Autonomie. 
  
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der Deutschen in Amerika (21856); Fröbel, Die 
deutsche A. u. ihre nationale u. kulturhistor. Bedeu- 
tung (1858); Duval, Hist. de Iémigration euro- 
éenne, asiatique et africaine au XIXe siecle 
(Par. 1862); Kapp, Gesch. der deutschen Einwan- 
derung in Amerika 1 (1868); ders., Aus u. über 
Amerika (2 Bde, 1876); Hübbe-Schleiden, über- 
seeische Politik (2 Tle, 1881/83); K. v. Jung, 
Deutsche Kolonien (1884); Roscher u. Jannasch, 
Kolonien, Kolonialpolitik u. A. (/1885); Bödiker, 
Die preuß. A. u. Einwanderung seit dem Jahr 
1844 (1879); Heusser, Die A. nach Argentinien 
(1885); Becker, Unsere Verluste durch Wanderung 
(Schmollers Jahrb. für Gesetzgeb. u. Verwalt., 
11. Jahrg., 1887); Cahensly, Die deutschen Aus- 
wanderer u. der St Raphaelsverein (1887); Scala- 
brini, L'emigrazione italiana in America (Pia- 
cenza 1889); R. M. Smith, Emigration and 
Immigration (Lond. 1890); Bokemeyer, Das A.# 
wesen in der Schweiz, in Belgien, England u. 
Deutschland (1892); E. Franke, Das deutsche A.3K 
gesetz (Archiv für soziale Gesetzgebung 1897); Phi- 
lippovich, A. u. A.spolitik in Deutschland (1892); 
Art. „A. u. A. Sfgesetzgebung“ im Handwörterb. der 
Staatswissenschaften II (21899); Rathgen, Engl. A. 
u. A.spolitik im 19. Jahrh. (1896); Mayo-Smith 
u. Hehl, Einwanderung u. Einwanderungspolitik 
in Nordamerika u. Brasilien (1896); Schwegel, Die 
Einwanderung in die Ver. Staaten (Zeitschr. für 
Volkswirtsch., Sozialpol. u. Verwalt. 1904); Angelo 
Mosso, Gli Emigranti (Zeitschr. Nuova Antologia, 
Rom 1905); Bodio, Notes sur la Igislation et 
la statistigue Ccomparées de T’émigration et de 
limmigration (ebd. 1905); Weisl, Die A. sfrage 
(1905); Ghio, L'émigration italienne (Journal 
des Economistes 1906); Caro, Unsere (d. h. österr.) 
überseeische A. u. die Enquete vom Jahr 1905 
(Zeitschr. für Volkswirtsch., Sozialpol. u. Verwalt., 
Dez. 1907); Goetsch, Reichsgesetz über das A.wesen, 
mit einer Zusammenstellung der ausländ. A.Sgesetz- 
gebung u. der Einwanderungsgesetzgebung der wich- 
tigsten Einwanderungsstaaten (21907); ders., Art. 
„A."“ im Elsterschen Wörterbuch der Volkswirtschaft 
1 ((11906); Annual report of the Commissioner- 
General of Immigration (Walhington, jährlich). 
[Sacher.) 
Ausweisung s. Aufenthaltsrecht. 
Autokratie s. Absolutismus. 
Autonomie. Wenn dieser Begriff im 
griechischen Staatsrecht des Altertums die Be- 
deutung hatte, welche wir heutzutage mit dem 
Wort „Souveränität“ zu verbinden pflegen, so 
hat derselbe im deutschen Sprachgebrauch und 
überhaupt in der modernen Rechtssprache einen 
ganz verschiedenen Sinn angenommen. Aber auch 
diese dem Wort „Autonomie“ beigelegte Bedeu- 
tung hat Wandlungen erfahren, bis sie zu dem 
heute damit verbundenen Begriff sich präzis aus- 
gestaltet hat. Wir verstehen nämlich in der Gegen- 
wart unter Autonomie die gewissen in und unter 
dem Staat befindlichen Faktoren beigelegte Be- 
fugnis, rechtsbildend zu wirken, und zwar sowohl 
durch Erlassung von Statuten, welche sich ihrem 
Wesen nach als den Gesetzen — wie sie von 
der höchsten Gewalt des Gemeinwesens, von der 
das gesamte Rechtsleben regelnden Staatsgewalt,
	        
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