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schaftlichen Gebiet in Anbetracht ihrer hervor-
ragenden Leistungen oder ihrer eindringenden Ver-
trautheit ein gesteigerter Grad von Glaubwürdig-
keit zukommt. Immerhin gibt es in der Wissen-
schaft eine Autorität nur „auf Widerruf". Der
Fortschritt knüpft an sie an, aber er führt auch
darüber hinaus. Unermüdete Nachprüfung oder
neu gewonnene Einsichten pflegen immer wieder
die Aufstellungen auch der angesehensten Forscher
zu berichtigen oder umzustoßen. — Vor allem aber
bedarf das menschliche Gemeinleben der Autorität.
Wo immer eine Vielheit von Individuen zu einem
gemeinsamen Zweck zusammenwirkt, muß einer da
sein, der befiehlt und dem die andern gehorchen.
Das Bedürfnis ist um so deutlicher, je wichtiger
oder schwieriger die zu erfüllende Aufgabe und je
schädlicher oder gefährlicher deshalb die Eigen-
mächtigkeit der einzelnen ist. Den Anordnungen
des Befehlshabers im Krieg, des Kapitäns auf
dem Schiff, des Vorstehers an einem Verkehrs-
zentrum muß unbedingt Folge geleistet werden.
Aber der volle Begriff der Autorität ist durch den
Hinweis auf das Bedürfnis nicht erreicht. Es
muß ein anderes hinzukommen. In der Familie,
dem ursprünglichsten sozialen Gebilde, gebietet der
Hausvater über Weib und Kinder und demnächst
das Gesinde. Die välterliche Autorität ist in der
Natur selbst angelegt. Ihre physische Grundlage
ist die größere Stärke des erwachsenen Mannes.
Sittliche Motive aber erheben sie alsbald darüber
hinaus. Der Vater soll für den Schutz und den
Unterhalt der Familie sorgen, die Familienglieder
sollen sich seinen Anordnungen fügen. Beide
Eltern sollen in fürsorgender Liebe die Kinder
pflegen und erziehen, die Kinder sollen Vater und
Mutter ehren. Aus der sittlichen Ordnung ge-
winnt erst die väterliche Autorität ihre Kraft und
ihre Weihe. — Über die Grenze des Hauses und
der Blutsverwandtschaft hinaus erstreckt sich die
staatliche Autorität. Die Frage nach dem Ur-
sprung des Staats, d. h. nach dem geschichtlichen
Hergang, durch welchen Staaten zustande kamen,
kann dabei füglich ausscheiden. Ob ein konkretes
Staatengebilde aus dem Familienverband heraus-
gewachsen, ob es durch Krieg und Gewalttat oder
auf dem Weg der Vertragsschließung entstanden
ist, in jedem Fall gilt, daß der Staat als solcher,
d. h. die dauernde und geordnete Verbindung einer
Vielheit von Menschen unter einer Obrigkeit, ein
in der sittlichen Ordnung begründeter Menschheits-
zweck ist (s. d. Art. Staat). Demgemäß zwingt staat-
liche Autorität nicht nur auf Grund ihrer Macht-
mittel, sondern sie befiehlt mit der Anwartschaft
auf bereitwilligen Gehorsam, weil sie zum Befehlen
berechtigt ist und die Bürger zu gehorchen ver-
pflichtet sind. In den Anfängen staatlichen Lebens
pflegt die Autorität in der Person des Fürsten
zusammengefaßt und verkörpert zu sein. Die na-
turgemäße Entwicklung führt darüber hinaus. Die
Autorität erscheint zerteilt an die verschiedenen und
verschieden abgestuften Organe, welche zur Durch-
Autorität.
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führung des staatlichen Lebens, wenn auch im
Namen und Auftrag des Staatsoberhaupts, be-
rufen sind. An die Stelle des persönlichen Be-
fehls tritt mehr und mehr das abstrakte Gesetz, an
die Stelle des königlichen Richterspruchs tritt die
Amtierung der ordentlichen Gerichte, die „von
Rechts wegen"“ entscheiden. Altere Anschauungen
haben die Autorität des Monarchen dadurch ver-
ständlich zu machen versucht, daf sie sie aufs höchste
steigerten und seine Person oder sein Geschlecht
oder auch die königliche Würde als solche in un-
mittelbare Verbindung mit dem Göttlichen brach-
ten. Dadurch werden Elemente des seelischen
Lebens ausgelöst, ähnlich denen, welche den Kin-
dern die Unterwerfung unter das Gebot der Eltern
als fraglos und notwendig erscheinen lassen. Von
solcher Denkweise ist in der Heutzeit nicht viel
übrig geblieben. Im modernen Rechtsstaat gründet
sich die Autorität des Königs auf die Forderung
des Sittengesetzes, sich um der Aufrechterhaltung
des Staates willen den Anordnungen der bestehen-
den Obrigkeit zu unterwerfen. Ganz das gleiche
gilt daher von den Trägern der Staatsgewalt in
einer demokratischen Republik. Wird dies ge-
leugnet und das Staatswesen völlig von einer über
den Einzelwillen stehenden höheren Ordnung los-
gelöst, so droht dasselbe jederzeit in eine Gewalt-
herrschaft der Masse auszuarten. Damit verliert
freilich das auf Fr. Jul. Stahl zurückgehende
Schlagwort „Autorität nicht Majorität" seine Be-
deutung. Auch der Landsgemeinde von Appenzell
oder Glarus steht Autorität zur Seite, wenn sie
mit Stimmenmehrheit einen Beschluß faßt. Leug-
nung jeder Autorität in dem hier festgestellten
Sinn verlangt als logische Konsequenz die An-
archie. Ist der Staat, mit welchem ein Verhält-
nis der Uberordnung oder Unterordnung untrenn-
bar verbunden ist, nicht ein in die sittliche Ord-
nung eingeschlossener Menschheitszweck, so läßt sich
schlechterdings nicht einsehen, warum der eine
Mensch das Recht haben soll, über andere zu be-
fehlen, und diese andern die Pflicht, ihm zu
gehorchen. Aus der gleichen Quelle aber, aus der
allein jenes Recht stammt, leiten sich auch die
Grenzen desselben her. Nur das sittlich und recht-
lich Zulässige kann staatliche Autorität mit inner-
lich bindender Kraft vorschreiben. (S. die weitere
Ausführung dieser Gedanken in den Art. Staat,
Monarchie, Demokratie, Absolutismus usw.)
Aus dem Gesagten erhellt, daß die Frage nach
dem Wesen der staatlichen Autorität, soll die Be-
antwortung nicht bei der Außenseite stehen bleiben,
in den Gegensatz der Weltanschauungen hinein-
reicht. Denn mit der Anerkennung der sittlichen
Ordnung ist der materialistische Monismus ver-
worfen und der Ausblick auf eine überweltliche,
schöpferische Ursache gegeben. Aus dem Schöp-
sungsplan stammt der Inhalt des Sittengesetzes,
aus dem Schöpferwillen seine verpflichtende Kraft.
Daher ist jetzt zu sagen, daß alle Autorität von
Gott kommt, dem allein den Geschöpfen gegenüber