Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

511 
schaftlichen Gebiet in Anbetracht ihrer hervor- 
ragenden Leistungen oder ihrer eindringenden Ver- 
trautheit ein gesteigerter Grad von Glaubwürdig- 
keit zukommt. Immerhin gibt es in der Wissen- 
schaft eine Autorität nur „auf Widerruf". Der 
Fortschritt knüpft an sie an, aber er führt auch 
darüber hinaus. Unermüdete Nachprüfung oder 
neu gewonnene Einsichten pflegen immer wieder 
die Aufstellungen auch der angesehensten Forscher 
zu berichtigen oder umzustoßen. — Vor allem aber 
bedarf das menschliche Gemeinleben der Autorität. 
Wo immer eine Vielheit von Individuen zu einem 
gemeinsamen Zweck zusammenwirkt, muß einer da 
sein, der befiehlt und dem die andern gehorchen. 
Das Bedürfnis ist um so deutlicher, je wichtiger 
oder schwieriger die zu erfüllende Aufgabe und je 
schädlicher oder gefährlicher deshalb die Eigen- 
mächtigkeit der einzelnen ist. Den Anordnungen 
des Befehlshabers im Krieg, des Kapitäns auf 
dem Schiff, des Vorstehers an einem Verkehrs- 
zentrum muß unbedingt Folge geleistet werden. 
Aber der volle Begriff der Autorität ist durch den 
Hinweis auf das Bedürfnis nicht erreicht. Es 
muß ein anderes hinzukommen. In der Familie, 
dem ursprünglichsten sozialen Gebilde, gebietet der 
Hausvater über Weib und Kinder und demnächst 
das Gesinde. Die välterliche Autorität ist in der 
Natur selbst angelegt. Ihre physische Grundlage 
ist die größere Stärke des erwachsenen Mannes. 
Sittliche Motive aber erheben sie alsbald darüber 
hinaus. Der Vater soll für den Schutz und den 
Unterhalt der Familie sorgen, die Familienglieder 
sollen sich seinen Anordnungen fügen. Beide 
Eltern sollen in fürsorgender Liebe die Kinder 
pflegen und erziehen, die Kinder sollen Vater und 
Mutter ehren. Aus der sittlichen Ordnung ge- 
winnt erst die väterliche Autorität ihre Kraft und 
ihre Weihe. — Über die Grenze des Hauses und 
der Blutsverwandtschaft hinaus erstreckt sich die 
staatliche Autorität. Die Frage nach dem Ur- 
sprung des Staats, d. h. nach dem geschichtlichen 
Hergang, durch welchen Staaten zustande kamen, 
kann dabei füglich ausscheiden. Ob ein konkretes 
Staatengebilde aus dem Familienverband heraus- 
gewachsen, ob es durch Krieg und Gewalttat oder 
auf dem Weg der Vertragsschließung entstanden 
ist, in jedem Fall gilt, daß der Staat als solcher, 
d. h. die dauernde und geordnete Verbindung einer 
Vielheit von Menschen unter einer Obrigkeit, ein 
in der sittlichen Ordnung begründeter Menschheits- 
zweck ist (s. d. Art. Staat). Demgemäß zwingt staat- 
liche Autorität nicht nur auf Grund ihrer Macht- 
mittel, sondern sie befiehlt mit der Anwartschaft 
auf bereitwilligen Gehorsam, weil sie zum Befehlen 
berechtigt ist und die Bürger zu gehorchen ver- 
pflichtet sind. In den Anfängen staatlichen Lebens 
pflegt die Autorität in der Person des Fürsten 
zusammengefaßt und verkörpert zu sein. Die na- 
turgemäße Entwicklung führt darüber hinaus. Die 
Autorität erscheint zerteilt an die verschiedenen und 
verschieden abgestuften Organe, welche zur Durch- 
Autorität. 
  
512 
führung des staatlichen Lebens, wenn auch im 
Namen und Auftrag des Staatsoberhaupts, be- 
rufen sind. An die Stelle des persönlichen Be- 
fehls tritt mehr und mehr das abstrakte Gesetz, an 
die Stelle des königlichen Richterspruchs tritt die 
Amtierung der ordentlichen Gerichte, die „von 
Rechts wegen"“ entscheiden. Altere Anschauungen 
haben die Autorität des Monarchen dadurch ver- 
ständlich zu machen versucht, daf sie sie aufs höchste 
steigerten und seine Person oder sein Geschlecht 
oder auch die königliche Würde als solche in un- 
mittelbare Verbindung mit dem Göttlichen brach- 
ten. Dadurch werden Elemente des seelischen 
Lebens ausgelöst, ähnlich denen, welche den Kin- 
dern die Unterwerfung unter das Gebot der Eltern 
als fraglos und notwendig erscheinen lassen. Von 
solcher Denkweise ist in der Heutzeit nicht viel 
übrig geblieben. Im modernen Rechtsstaat gründet 
sich die Autorität des Königs auf die Forderung 
des Sittengesetzes, sich um der Aufrechterhaltung 
des Staates willen den Anordnungen der bestehen- 
den Obrigkeit zu unterwerfen. Ganz das gleiche 
gilt daher von den Trägern der Staatsgewalt in 
einer demokratischen Republik. Wird dies ge- 
leugnet und das Staatswesen völlig von einer über 
den Einzelwillen stehenden höheren Ordnung los- 
gelöst, so droht dasselbe jederzeit in eine Gewalt- 
herrschaft der Masse auszuarten. Damit verliert 
freilich das auf Fr. Jul. Stahl zurückgehende 
Schlagwort „Autorität nicht Majorität" seine Be- 
deutung. Auch der Landsgemeinde von Appenzell 
oder Glarus steht Autorität zur Seite, wenn sie 
mit Stimmenmehrheit einen Beschluß faßt. Leug- 
nung jeder Autorität in dem hier festgestellten 
Sinn verlangt als logische Konsequenz die An- 
archie. Ist der Staat, mit welchem ein Verhält- 
nis der Uberordnung oder Unterordnung untrenn- 
bar verbunden ist, nicht ein in die sittliche Ord- 
nung eingeschlossener Menschheitszweck, so läßt sich 
schlechterdings nicht einsehen, warum der eine 
Mensch das Recht haben soll, über andere zu be- 
fehlen, und diese andern die Pflicht, ihm zu 
gehorchen. Aus der gleichen Quelle aber, aus der 
allein jenes Recht stammt, leiten sich auch die 
Grenzen desselben her. Nur das sittlich und recht- 
lich Zulässige kann staatliche Autorität mit inner- 
lich bindender Kraft vorschreiben. (S. die weitere 
Ausführung dieser Gedanken in den Art. Staat, 
Monarchie, Demokratie, Absolutismus usw.) 
Aus dem Gesagten erhellt, daß die Frage nach 
dem Wesen der staatlichen Autorität, soll die Be- 
antwortung nicht bei der Außenseite stehen bleiben, 
in den Gegensatz der Weltanschauungen hinein- 
reicht. Denn mit der Anerkennung der sittlichen 
Ordnung ist der materialistische Monismus ver- 
worfen und der Ausblick auf eine überweltliche, 
schöpferische Ursache gegeben. Aus dem Schöp- 
sungsplan stammt der Inhalt des Sittengesetzes, 
aus dem Schöpferwillen seine verpflichtende Kraft. 
Daher ist jetzt zu sagen, daß alle Autorität von 
Gott kommt, dem allein den Geschöpfen gegenüber
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.