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zurückgewiesene Vorwurf eines Abfalls vom Ka-
tholizismus (V 408) nicht völlig begreiflich ?: —
Indessen auch hierbei blieb Baader in seiner Er-
regtheit nicht stehen, er trat auch aufs praktische
Gebiet über und suchte, soviel in seiner Kraft lag,
bereits damals schon einen förmlichen „Kultur-
kampf“ zu inaugurieren. Er schrieb 1838
wörtlich an v. Stransky: „Ich habe durch einen
bedeutenden Mann in Berlin den König auf die
Notwendigkeit aufmerksam gemacht, alle jene Ka-
tholiken (Priester und Laien) in seinen Staaten,
welche sich vom Papismus losmachen wollen, ohne
sofort sich lutherisch oder reformiert zu machen,
gegen alle weltlichen Verluste (von Rom aus) zu
schützen, womit eine deutsche katholische Kirche so-
fort sich bilden wird, worüber ich sichere Kunde
habe. Durch einen Russen, der viel beim Kaiser
gilt und der mein Freund ist, habe ich auch den
Kaiser hierauf aufmerksam gemacht, welcher die
Wichtigkeit der Trennung des Papismus vom
Katholizismus seinen politischen Zwecken um so
angemessener fand, da in Rußland der größte Teil
der früher unierten Griechen wieder von Rom ge-
trennt ist und also faktisch das intendierte Schisma
bereits besteht“ (XV 580). Namentlich den Deut-
schen teilte Baader die Mission zu einem solchen
Kampf zu, um der Utrechter Kirche dadurch Suk-
kurs zu leisten (XV 582). Man kann also sagen,
daß derselbe schon in den 1830er Jahren dem
Deutschkatholizismus, dem Altkatholizismus, dem
Versuch einer Kirchenunion zwischen letzterem und
zwischen dem eine episkopale Verfassung adoptie-
renden Protestantismus und dem griechisch-russi-
schen Schisma sowie dem sog. Kulturkampf vor-
gearbeitet hat.
Woher erklärt sich nun die vorbezeichnete, so auf-
fallende Wendung im Geistesleben Baaders?
aus dem Widerstand, welchen schon in früherer
Periode manche seiner Lehren in römisch-katho-
lischen Kreisen gefunden hatten, wie z. B. seine
Lehre von Glauben und Wissen, von der Natur
Gottes, von den Folgen des Geistesfalls, vom
androgynen Urstand des Menschen und dessen Ver-
lust durch die erste Menschensünde, vom Verlust
der Wahlfreiheit durch die zweite Menschensünde,
so daß sie nur durch Gottes Gnade erhalten blieb,
von der Wirksamkeit der heidnischen und alttesta-
mentlichen Opfer usw.? Oder erklärt sich jene
Wendung aus der schon in die 1820er Jahre
zurückreichenden Verbindung mit Rußland? Wie
es scheint, aus diesen beiderlei Gründen zugleich.
Schon 1827 bezeichnete es Baader als seine Ab-
sicht, den „Geist wahrer Spekulation in der katho-
lischen Priesterschaft wieder zu entzünden und da-
mit das, was im Prinzip am Protestantismus
gut war und als loyale Opposition zur Kirche selber
gehörte, wieder in diese zu bringen“ (XV 439).
Als dieser Absicht der Erfolg nicht entsprach, wurde
er von einer sich steigernden Gereiztheit ergriffen
gegen die „)geistlichen Herren außer und in Rom“,
weil sie, wie er 1836 klagte, seine Schriften nicht
Baader.
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gehörig würdigten, und fügte die Bemerkung bei:
„Eine bedeutende Sozietät im Norden hat schon
vor mehreren Jahren den Wunsch geäußert, mich
mit den Römern zu überwerfen. Das wird süglich
nie geschehen“ (XV 543/544). Und doch ist es,
wie oben gezeigt worden, alsbald geschehen. Vor
seinem Tod jedoch hat er ausdrücklich alle dem
römisch-katholischen Glauben widerstreitenden, be-
sonders in seinen letzten-Schriften niedergelegten
Grundsätze widerrufen (XV 135).
Eine ganz besondere Aufmerksamkeit hat Baader
stets den Interessen der so zial-bürgerlichen
Gesellschaft zugewendet, sowie der Art und
Weise, wie Staat und Kirche am besten zu
deren Förderung und zur Beseitigung der ihnen
drohenden Gefahren beitragen könnten. Nament-
lich von zwei Seiten her drohen ihnen solche Ge-
fahren: von seiten einer immer mächtiger um sich
greisenden „Argyrokratie“ (d. i. Geldherrschaft)
und von seiten eines immer massenhafter anwach-
senden Proletariats. Seit den Tagen der franzö-
sischen Revolution ist die Gesellschaft durch die
Aufhebung aller festen Schranken und durch Zer-
störung der alten korporativen Verbände immer
mehr und mehr atomisiert worden unter dem glän-
zenden Titel der individuellen Freiheiten, die in
Wahrheit nichts anderes sind als ein Krieg aller
gegen alle. Daraus ist einerseits eine übermächtige
„Argyrokratie"“ erwachsen, denn „wie das Immo-
biliar flüssig wird, so wird das Mobiliar (Geld)
fest und strebt sich zu immobilisieren“ (VI 65);
sogar die Regierungen hat sie in Abhängigkeit von
sich gebracht und sich zu deren souveränen Herrin
aufgeschwungen (VI 132/133). Anderseits ist
daraus ein immer ausgedehnteres Proletariat er-
wachsen, so daß man sagen kann, die alte Leib-
eigenschaft sei minder grausam, unmenschlich und
unchristlich gewesen gegen die „Vogelfreiheit,
Schutz= und Hilflosigkeit des bei weitem größten
Teils unserer, wie man sagt, gebildetsten und kulti-
viertesten Nationen“ (VI 132).
Und welches sind die Heilmittel, um den
die Gesellschaft von diesen beiden Seiten her be-
drohenden Gefahren zu begegnen und eine heil-
same Sozialreform anzubahnen? Das haupt-
sächlichste Heilmittel ist die Wiedererstarkung eines
lebendigen Christentums, denn mit dem
Credo ist der Kredit verschwunden, und mit dem
Verschwinden des Kredits trat Geldnot und Ver-
armung ein und mit diesem zugleich der Geldwucher
und die Geldmacht (V 311). Die Lehre des Chri-
stentums führt aber allen zu Gemüt, daß der Höchste
wie der Niederste von Gottes Gnaden da sind und
alles, was sie find und haben, Gottes ist und sie des-
halb auch mit ihren Personen, Kräften und ihrem
Eigentum nicht schalten und walten dürfen, wie sie
in ihrer Eigenheit und Selbstmacht wollen und
gelüsten, sondern wie Gott will (VI 96). — Ein
wichtiges soziales Heilmittel bildet ferner die Be-
festigung oder zeitgemäße Regenerierung des stän-
dischen und korporativen Elements.-