531
Ethit und Rechtslehre verteidigt. Er betrachtet
gleich Baader das bindende Ansehen Gottes als
Grund aller Verbindlichkeit, alles ethischen und
rechtlichen Sollens (Phil. des Rechts III71854/56)
1 98/102); im Gegensatz zu ihm will er aber nur
den Inhalt des individuellen Ethos, z. B. Liebe,
Wahrhaftigkeit usw., seinem letzten Grund nach
aus Gottes Wesen — dessen Heiligkeit nämlich —
ableiten, den Inhalt des sittlichen und rechtlichen
Gemeinethos, z. B. der ehelichen Liebe, Treue, ver
Vaterlandsliebe, der Familie, der Vermögens-
ordnung, des Staats, dagegen aus dem freien
Willen Gottes, weil in dessen Wesen sich von
alledem nichts finde (ebd. 92/94), was offenbar
ein zu weitgehender, schrankenloser Indeterminis-
mus ist.
Baader erkennt ein Naturrecht an und nicht
bloß ein positiv-geschichtliches Recht, dem Volks-
geist entquellend, unter der Leitung der sittlich-
religiösen Ideen, wie die sog. historische Schule
(Savigny, Puchta, Niebuhr, Stahl usw.). Er
steht insofern im Gegensatz zu letzterer, gewiß
mit vollem Recht. Wie geht aber das Naturrecht
oder — was dasselbe ist — das ideale Vernunft-
recht in ein positiv-menschliches über? Durch den
freien Gesellschaftsvertrag : Wenn ein solcher das
Wesen des idealen Rechts auch nicht zu erzeugen
vermag, kann er dasselbe nicht wenigstens in die
Erscheinung überführen, d.h. positiv-mensch-
liches Recht begründen? Unter bestimmten Um-
ständen freilich; doch gar vielfach ist dieses letztere
nicht ein Erzeugnis des freien Vertrags oder nur
überhaupt der frei bewußten Reflexion.
Insofern steht Baader auf seiten der historischen
Rechtsschule, und mit guten, ja den besten Gründen.
Wie oft treibt nicht unfreie Gewalt, die in un-
abwendbarer Weise sich geltend macht und in
all ihren Folgen nie mehr zu beseitigen ist, neue
Rechtsbildungen hervor? Wie oft wirkt nicht die
rechts= und verfassungbildende Kraft analog der
sprachenbildenden auf mehr instinktive Weise,
um erst hintennach auf ihre eigene Wirksamkeit
und deren Gesetze sich zu besinnen und diese letzteren
in freibewußter Weise weiter auszugestalten? Es
ist also ebenso ungeschichtlich wie unspekulativ, die
verpflichtende Kraft des Gewohnheitsrechts aus-
schließlich nur aus einer frei bewußten Reflexion
und Sanktion des Gesetzgebers, sei es einer aus-
drücklichen oder stillschweigenden, ableiten zu
wollen, wie es vor dem Auftreten der historischen
Schule vielfach geschah. Das Prinzip der im
Contrat social wurzelnden Volkssouveränität
bildet kein notwendiges Prinzip für die geschicht-
liche Entstehung und verfassungsmäßige Regierung
der Einzelstaaten, geschweige denn, daß es das
Wesen des Staats überhaupt begründen könnte,
indem derselbe ein aus sittlicher Notwendigkeit
erwachsender Organismus ist und nicht ein aus
der Willkür der einzelnen entstehender Mechanis-
mus. Mit Recht geißelt es deshalb Baader als
eine gefährliche Torheit unserer Zeiten, gemäß
Baader.
532
welcher man sich einbildet, beliebig Gesellschaften
konstruieren oder auch destruieren zu können, wie
man Manufakturanstalten etabliert und wieder
abbricht und so bald eine Republik, bald wieder
eine Monarchie errichtet und mit dem verrufenen
Thomas Payne sich einbildet, daß nur das eine
leibhafte Konstitution sei, was man schwarz auf
weiß in die Tasche stecken kann (VI 165).
Konnten wir bisher mit nahezu ungeteiltem
Beifall den sozial-philosophischen Anschauungen
Baaders folgen, so können wir es nicht mehr be-
züglich der Verhältnisbestimmungen des Natur-
rechts und des in ihm wurzelnden positiv-mensch-
lichen Rechts zum po sitiv-göttlichen, sowie
des Staats zur Kirche. Auch dies erklärt sich
aus dem Ganzen des Systems. Niemals hat sich
letzteres einem milderen Traditionalismus und
einem mystischen Naturalismus völlig entrungen.
Nicht die Summe aller einzelnen Menschen, nicht
der sensus communis im Sinn von Lamennais
wirkt je gewißheitsbegründend; denn was jeder
einzelne nicht hat, die Autorität nämlich, das
haben allesamt ebensowenig; der strenge Tra-
ditionalismus wird somit verworfen (V 57; VI
119/120). Doch die äußere Offenbarung Gottes
und deren Überlieferung bildet einen notwendigen
Erweckungs= und Anregungsgrund aller religiösen
Gewißheit; dieser den milderen Traditionalismus
kennzeichnende Grundgedanke zieht sich durch alle
Schriften Baaders hindurch (V 59 ff 197 215
231/232 usw.). Aus dieser irrtümlichen Vor-
aussetzung ergab sich die irrtümliche Folge, daß
nicht bloß die Wirklichkeit, sondern auch die Mög-
lichkeit eines bloßen Naturrechts, einer bloß na-
türlichen Moral und Religion ohne positiv-gött-
liche Offenbarung und ohne die Kirche als deren
Vermittlerin in Abrede zu stellen sei. Die positiv-
göttliche Offenbarung wird zwar als übernatürliche
gefaßt im Unterschied von der allgemein geschöpf-
lichen, natürlichen, jedoch nur in einem relativen
Sinn, so wie innerhalb der letzteren jede höhere
Stufe im Verhältnis zu der ihr vorausgehenden,
z. B. die menschliche zur tierischen, diese zur vege-
tabilischen usw., als übernatürlich erscheint. Baa-
der hat sich zu sehr von den Prinzipien der von
der Kabbala, Paracelsus auf J. Böhme, Saint-
Martin vererbten Mystik beherrschen lassen trotz der
ganzselbständigen Durchbildung und Anwendung,
die er ihnen allseits gegeben; er ist deshalb, wie
überhaupt, so auch in der Gesellschaftslehre über
einen mystischen Naturalismus nicht zu einem
reinen, unverfälschten Supranaturalismus christ-
licher Weltanschauung hinausgekommen. — Auch
sein „Katholizismus“ trägt selbstverständlich
diese Färbung an sich. Hat er der katholischen
Kirche als der großen Weltinnung auch einen uni-
versellen Charakter beigemessen im Verhältnis zu
den Einzelstaaten, so doch nur einen relativ über-
natürlichen im oben bezeichneten Sinn. In früherer
Periode legte er ihr wenigstens noch das Charisma
der Unfehlbarkeit bei, so sehr er auch die göttliche