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Einsetzung und um so mehr die Unfehlbarkeit ihres
Oberhauptes in Abrede stellte. In späterer Peri-
ode sprach er der sichtbaren Kirche selbst noch das
genannte Charisma ab und kam insofern auf einen
Standpunkt hinaus, welcher dem der angli-
kanisch-protestantischen Kirche gleich ist
und nicht dem der griechisch-russischen Kirche, wie-
wohl er in den übrigen dogmatischen Anschauungen
der letzteren sich näherte.
Wir kommen endlich auf die sozial-wirt-
schaftlichen Fragen. Ihnen hat Baader stets
einen freien, klaren Blick zugewendet, ja man kann
sagen, daß er sich gerade hier in besonderem Maß
als ein vorschauender Geist erwiesen habe, der
seinen Zeitgenossen, und namentlich seinen philo-
sophierenden, um ein gut Stück vorausgeeilt ist.
Legt nicht gerade die Geschichte der Gegenwart
und der jüngsten Vergangenheit ein sprechendes
Zeugnis hierfür ab? Der Staat ist ihm zunächst
Rechtsstaat, geht aber darin nicht auf. Er ist auch
Kulturstaat zur Förderung der sozial-wirtschaft-
lichen, sittlich-religiösen, wissenschaftlichen und
künstlerischen Interessen der irdischen Menschheit,
ohne ihnen gleichgültig und teilnahmslos gegen-
überzustehen. Dies kann am besten, ja zum Teil
einzig nur erreicht werden mittels korporativer
Verbände, welche diese Interessen in irgend einer
Weise nach oben wie nach unten hin zu vertreten
haben im Verein mit der Kirche, der großen Welt-
innung, die aller Innungen Mutter ist. Das sind
gewiß ganz richtige Grundgedanken, wie immer
sie nach Verschiedenheit der Verhältnisse zur Aus-
führung kommen mögen. Der eine und andere
Einzelvorschlag Baaders zur Lösung der sozial-
wirtschaftlichen Fragen ist freilich durch die Ge-
schichte bereits überholt. Soweit die Kammern
auf dem Prinzip des allgemeinen Stimmrechts
und nicht mehr auf dem Prinzip der ständischen
Wahlen oder der Klassenwahl oder eines strengeren
Zensus ruhen, können die Vermögenslosen ihre
Interessen in gleicher Weise vertreten wie die Ver-
mögenden, ohne einer sog. Advokatie oder uneigent-
lichen Repräsentation durch Spruchmänner, ge-
wählt aus dem Arbeiter= und Priesterstand, zu
bedürfen. Wahr dagegen ist und bleibt es, daß
durch den Einfluß der Religion, durch intellektuelle
Bildung, durch Herstellung von Innungen und
Bündnissen und durch beschränkende Gesetze, welche
vor schädigender Ausbeutung schützen, das Wohl
der vermögenslosen Klassen, und durch beschränkende
Gesetze, welche den gesellschafterschütternden Folgen
einer unbedingten und durchgängigen Erwerbs-,
Gewerbs= und Handelsfreiheit und Kapitalwirt-
schaft vorbeugen, das Wohl aller Volksklassen ge-
wahrt werden solle. Diese Einzelvorschläge Baaders
sind durch die Geschichte nicht bereits überholt,
sondern im Gegenteil neu bekräftigt.
An allgemeiner Literatur sind außer Hoff-
manns Biogr. im Bd XV der Sämtl. Werke die
zusammenfassenden Artikel in der Allgem. Deutsch.
Biographie 1 (1875; von Hoffmann) u. bei Noack,
Bacon von Verulam.
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Philos.-gesch. Lexikon (1879), hervorzuheben. Spe-
ziell über B.s Sozietätsphilosophie handeln Fr.
Hoffmann („Grundzüge"’ 1837,71865) u. H. Reichel
(1901). (lAlois v. Schmid, rev. Ettlinger.)
Bacon von Verulam. Franz Bacon,
Sohn des Nikolaus Bacon, Großsiegelbewahrers
der Königin Elisabeth von England, wurde am
9. April 1561 zu London geboren. Seine ersten
Studien machte er zu Cambridge und zeichnete sich
früh durch den Umfang seiner Kenntnisse und
reises Urteil aus. Vorzüglich beschäftigte er sich
mit klassischer Literatur und aristotelisch-scho-
lastischer Philosophie, die ihn aber nicht befrie-
digte, so daß er schon in seinem 16. Lebensjahr
öffentlich dagegen auftrat. Die Verhältnisse gaben
aber seiner Strebsamkeit bald eine andere Rich-
tung. Nachdem er bereits mit 17 Jahren bei der
englischen Gesandtschaft in Paris verwendet wor-
den, wurde er durch den Tod seines Vaters, der
ihm nur ein geringes Vermögen hinterließ, ge-
nötigt, zur Sicherung seiner Existenz einen andern
Beruf zu ergreifen. Er studierte Rechtswissen-
schaft und wählte den Stand eines Anwalts, in
welchem er bald großen Ruf sich erwarb. Im
Jahr 1593 wurde er in das Haus der Gemeinen
gewählt. Nun suchte er bei Hof Einfluß zu ge-
winnen; aber Cecil, der als Günstling der Königin
die Angelegenheiten des Landes leitete, war ihm
nicht geneigt und wußte ihn vom Hof fernzu-
halten. Dagegen erwarb er sich die Gunst des
Grafen Essex, der seine Bestrebungen förderte.
Als aber dieser bei der Königin in Ungnade fiel,
trat Bacon als Gegner, ja sogar als Ankläger
desselben auf, um sich bei Hof zu insinuieren.
Auf seine Anklage hin wurde sein Wohltäter Essex
hingerichtet. Und doch erreichte er durch diese
schmachvolle Tat die Gunst des Hofes nicht; ja
es traf ihn die öffentliche Verachtung in solchem
Grad, daß er mit dem Gedanken umging, sein
Vaterland zu verlassen. Mit der Thronbesteigung
Jakobs I. aber änderte sich seine Lage. Bacon
kam bei Hof wieder zu Gunst und Ehren; er
ward zum Ritter ernannt und stieg schnell von
Stufe zu Stufe bis zur Würde eines Lord-Groß-
kanzlers (1619). Zum Peer des Reichs ernannt,
erhielt er den Titel eines Barons von Verulam
und dann den eines Grafen von St Alban. Mit
kriechender Schmeichelei schloß er sich an den
Herzog von Buckingham, den Günstling des
Königs, an, wodurch er in der öffentlichen Mei-
nung immer mehr sank. Er hielt sich daher auch
nicht lange im Genuß seiner hohen Würden.
Bald wurde er von dem Haus der Gemeinen
der Bestechlichkeit und Käuflichkeit angeklagt und
vom Oberhaus zu einer Geldbuße von 40 000
Pfund Sterling und zu gefänglicher Haft, deren
Dauer zu bestimmen dem König anheimgegeben
war, verurteilt. Zugleich sollte er von jeder Stelle
im Staat ausgeschlossen sein. Der König aber,
in dessen Gunst Bacon noch immer stand, gab
ihm die Freiheit wieder, ließ ihm die Geldstrafe