Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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gedrückt wird, das Gefühl der Selbständigkeit ver- 
liert, sklavisch und feige und damit zum Kriegs- 
dienst völlig untauglich wird. Mit Erteilung 
des Bürgerrechts an Auswärtige soll man nicht 
sparsam sein; denn ein kleines Häuflein von Bür- 
gern ist nicht imstande, weite und umfangreiche 
Länder zu beherrschen und unter seiner Macht zu 
erhalten. Gut wäre es, wenn die mechanischen 
Künste — die Handwerke — wie im Altertum den 
Sklaven überlassen blieben; da es aber jetzt keine 
Sklaven mehr gibt, so ist es gut, wenn man jene 
Arbeiten Ausländern, die man in das Land zieht, 
überläßt, während die eigentlichen Bürger davon 
abgezogen bleiben. Dann soll der Staat solche 
Gesetze und Gewohnheiten pflegen, welche ge- 
eigenschaftet sind, ihm Ursachen oder wenigstens 
Vorwände zum Krieg zu jeder Zeit zu bieten, 
damit er stets in der Lage sei, zur Erweiterung 
seines Gebiets kriegerisch vorzugehen. — In der 
Tat sehr sonderbare Vorschläge! 
In dem Tractatus de itstitia universali 
bietet Bacon einige juristische Aphorismen, die 
aber kaum als etwas Ganzes betrachtet werden 
können. Er unterscheidet zwischen Privat= und 
öffentlichem Recht. Ersteres steht unter dem 
Schutz des letzteren. Jedoch hat das öffentliche 
Recht nicht bloß den Zweck, zum Schutz des Pri- 
vatrechts zu dienen, sondern es erstreckt sich auch 
auf die Religion, auf die Waffengewalt, die Er- 
ziehung, auf die äußeren Güter, überhaupt auf 
alles, was zum Wohl der bürgerlichen Gesell- 
schaft gehört und beiträgt. Der Zweck aller staat- 
lichen Gesetze ist das Wohlergehen der Bürger (ut 
eives feliciter degant). Dieses Wohlergehen 
ist aber dann gegeben, wenn die Bürger, in Pie- 
tät und Religion wohl unterrichtet, ein sittliches 
Leben führen, wenn sie durch genügende Waffen- 
gewalt vor äußeren Feinden und durch gute Ein- 
richtungen gegen innere Umwälzungen und Pri- 
vatinjurien geschützt sind, wenn sie der Obrigkeit 
gehorsam und an äußeren Gütern reich sind. Und 
der eigentliche Nerv aller dieser Dinge, d. h. das- 
jenige, wodurch alle diese Erfordernisse zum Wohl- 
ergehen der Bürger in letzter Instanz bedingt 
sind, sind die Gesetze. Es kommt also alles darauf 
an, daß in einem Staat gute Gesetze vorhanden 
sind. Ein gutes Gesetz aber ist nur jenes, dessen 
Existenz gewiß, das ein gerechtes Gebot enthält, 
leicht auszuführen, mit der politischen Form des 
Staates übereinstimmend ist und in den Unter- 
tanen die Tugend erzeugt (Lex bona censeri 
potest, quae est intimatione certa, prae- 
cepto iusta, exsecutione commoda, cum 
forma Politiae congrua et generans virtu- 
tem in subditis). 
Die Eigenschaften eines guten Gesetzes will 
Bacon im einzelnen näher betrachten; er ist aber 
über die erste Eigenschaft, daß nämlich das Gesetz 
gewiß sein müsse, nicht hinausgekommen. Er 
führt hier weitläufig die Grundsätze aus, welche 
zu befolgen seien, wenn in einem Fall kein allweg 
Bacon von Verulam. 
  
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bestimmtes und sicheres Gesetz vorliege, unter 
welches der Fall subsumiert werden könnte. Das 
Detail dieser Ausführung bietet kein allgemein 
wissenschaftliches Interesse. 
Wir sehen, es ist wenig, was uns die Bacon- 
schen Werke an Ausbeute für Rechts= und Staats- 
wissenschaft darbieten. Auf diesem Gebiet hat sich 
Bacon seine Lorbeeren nicht gepflückt; noch we- 
niger kann man ihn in biesem Gebiet als epoche- 
machend betrachten. Wenn in der Geschichte der 
allgemeinen Rechts= und Staatswissenschaft seiner 
doch Erwähnung zu geschehen hat, so kann dies 
bloß aus dem Grund stattfinden, weil er durch 
seine empiristisch induktive Methode den An- 
stoß dazu gab, daß nach ihm diese Methode von 
andern, die sich hier an ihn anschlossen, auch auf 
die Rechts= und Staatswissenschaft angewendet 
und demgemäß Recht und Staat in empiristisch 
induktiver Weise konstruiert wurden. Der erste, 
welcher die Rechts- und Staatslehre in diese Rich- 
tung hineinführte, ist Thomas Hobbes, der mit 
Bacon in engem geistigem Verkehr stand und 
von ihm lernte. Ihm erscheinen Recht und Staat 
nicht mehr als Institutionen, welche in letzter In-= 
stanz aus einem höheren transzendenten Prinzip 
sich ableiten; er konstruiert den Staat und das 
Recht im Staat empiristisch aus einem voraus- 
gesetzten Naturstand heraus, in welchem recht- 
liche und gesellschaftliche Verhältnisse noch nicht 
vorhanden waren. Dies entspricht vollkommen der 
Baconschen neuen Induktionsmethode, und in- 
sofern ist Bacon in dieser Richtung allerdings der 
geistige Vater des Hobbes und der von diesem in 
der Rechts= und Staatslehre eingeschlagenen Rich- 
tung, die sich dann im Lauf der Zeit immer weiter 
ausbildete. 
Literatur. De Vauzelles, Hist. de la vie et 
des ouvrages de Fr. B. (Par. 1833); Jos. de 
Maistre, Examen de la philos. de B. (2 Bde, ebd. 
1836, 71873); Charles de Rémusat, B., sa vie, son 
temps, sa philosophie et son influence jusqu’'a 
nos jours (ebd. 21868); John Campbell, The Lives 
of the Lord Chancellors of Engl. II, chap. 51; 
(Lond. 1845); Kuno Fischer, Fr. B. v. . die 
Realphilosophie u. ihr Zeitalter (21875); C. L. 
Crack, Lord B., his Writings and bis Philosophy 
(neue Ausgabe, Lond. 1860); Justus v. Liebig, 
Über Fr. B. v. V. u. die Methode der Naturforschung 
(1863); Heinr. Böhmer, über B. u. die Verbin- 
dung der Philosophie mit der Naturwissenschaft 
(1864); James Spedding, The Letters and Life 
of Lord B. (7 Bde, Lond. 1862/74); Ed. Chaigne u. 
Ch. Sedail, Influence des travaux de B. d. V. et 
de Descartes sur la marche de T’esprit humain 
(Bordeaux 1865); Angelo Valdarnini, Principio, 
intendimento e storia della classificazione delle 
umane conoscenze secondo Fr. B. (Flor. 21880); 
Thom. Fowler, B. (Lond. 1881); Abbott, Fr. B., 
an account of bis life and works (ebd. 1885); 
John Nichol, Fr. B., his life and philosoph) 
(2 Bde, ebd. 1888/89); Heußler, Fr. B. u. seine 
geschichtl. Stellung (1889); Pamer, B. v. V. 
(1889); Barthelemy Saint-Hilaire, Etude sur 
Fr. B. (Par. 1890); Natge, Über Fr. B.s Formen-
	        
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