Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Die Verwaltung der Gemeinde ist Sache des 
Gemeinde= oder Stadtrats, der aus dem Bürger- 
meister und den Gemeinde= bzw. Stadträten be- 
steht; diese werden in Orten von mindestens 2000 
Einwohnern vom Bürgerausschuß, in den kleineren 
Gemeinden von der Gemeindeversammlung auf 6, 
der Bürgermeister auf 9 Jahre gewählt. Zu den 
wichtigeren Gemeindeangelegenheiten muß die 
Zustimmung des Bürgerausschusses eingeholt wer- 
den. Dessen Mitglieder (Stadtverordnete) werden 
von den wahlberechtigten Einwohnern nach der 
Höhe der von ihnen zu entrichtenden Gemeinde- 
umlagen in drei Klassen auf 6 Jahre gewählt. 
In Orten von nicht 500 Seelen tritt an Stelle 
des Bürgerausschusses die Gemeindeversammlung. 
Zur Pfflege gemeinsamer öffentlicher Inter- 
essen (Landarmenwesen, Kreisstraßen, Sparkassen, 
Kranken= und Rettungsanstalten usw.) sind in den 
11 Kreisen Kreisverbände errichtet. Ihre Ver- 
tretung ist die Kreisversammlung, das Verwal- 
tungsorgan der von dieser gewählte Kreisausschuß. 
Die Staatsaufsicht übt der Kreishauptmann (der 
Amtsvorstand am Sitzder Kreisverwaltung). Die 
Kreisversammlung wird gebildet aus den größten 
Grundbesitzern, den Mitgliedern des Kreisaus- 
schusses und aus für 6 Jahre gewählten Abgeord- 
neten. Letztere gehen hervor aus den Wahlen der 
Kreiswahlmänner, der Gemeindevertreter, der 
Gemeinderäte und großen Ausschüsse in den 
Städten. Innerhalb der Kreisverbände können 
sich Bezirksverbände mit Bezirksversamm- 
lungen bilden. 
Die Organisation der 9 Handelskammern 
beruht auf dem Gesetz vom 11. Dez. 1878 bzw. 
12. Sept. 1898. Die 4 Handwerkskammern 
haben ihren Sitz in Konstanz, Freiburg, Karlsruhe 
und Mannheim. Eine Landwirtschafts- 
kammer wurde durch Gesetz vom 28. Sept. 1906 
geschaffen, sie zählt 45 Mitglieder (28 von den 
Landwirten in direkter Wahl gewählt, 10 von den 
landwirtschaftlichen Vereinen und 4 vom Finanz- 
ministerium ernannt, 3 von der Kammer hinzu- 
gewählt). 
Die Finanzen des Landes sind in guter 
Ordnung. Das Reinvermögen des Staats wird 
auf mehr als 800 Mill. M geschätzt. Dieser 
Vermögensstand setzt sich aus folgenden Haupt- 
beträgen zusammen: Domänen und Forsten (zu 
3,5 % kapitalisiert) 140 Mill., die Salinen Dürr- 
heim und Rappenau 13 Mill., Amortisationskasse 
32 Mill., Betriebsfonds 18 Mill., Beamten- 
witwenkasse 20 Mill., zusammen 223 Mill. Ak. Die 
sämtlichen Staatsgebäude (für Verwaltung, Ge- 
richte, Schulen, Irrenanstalten, Hochschulen usw.) 
sind aus Barmitteln bestritten und völlig schulden- 
und hypothekenfrei; sie werden auf mindestens 
177 Mill. M veranschlagt. Das wären mit dem 
obigen Betrag volle 400 Mill. Ak. Mindestenseben- 
soviele Millionen stecken in den badischen Staats- 
bahnen, die jährlich 30 Mill. einbringen, was zu 
3,5 %% kapitalisiert ein Kapital von 850 Mill. M 
Baden. 
  
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darstellt. Die Eisenbahnschuld, die einzige Staats- 
schuld, beträgt zur Zeit etwa 450 Mill.; also blei- 
ben 400 Mill. M Reinkapital. Die gesamten or- 
dentlichen Staatsausgaben beliefen sich 1906/07 
(bzw. 1905/06) auf 178,16 Mill. (167,93 Mill.), 
davon 172,07 Mill. (161,32 Mill.) fortdauernde 
und 6,09 Mill. (6,61 Mill.) MI einmalige. Dazu 
kommt noch der außerordentliche Staatsbedarf mit 
24.71 Mill. (24,86 Mill.), zusammen 202,87 
Mill. (192,79 Mill.) M. Die Deckung hierfür 
ist gegeben in 187,54 Mill. (173,73 Mill.) or- 
dentlichen Einnahmen, ferner in 16,23 Mill. 
(19,89 Mill.) außerordentlichen Einnahmen, wo- 
von 0,63 Mill. (18,67 Mill.) M aus dem Erlös 
neuer Anleihen stammen. Im Voranschlag 
für 1907/08 stehen den mit 169,20 Mill. vor- 
gesehenen ordentlichen Einnahmen 176,78 Mill. 
ordentliche Ausgaben gegenüber, außerdem 26,72 
Mill. außerordentliche, so daß außer der Ent- 
nahme von 0,33 Mill. aus dem Grundstock 37,67 
Mill. M durch Anleihen aufzubringen sind. 
Das badische Militär ist mit der preußischen 
Armee aufs engste verbunden durch die Militär- 
konvention vom 25. Nov. 1870; es bildet den 
Hauptbestandteil des XIV. Armeekorps. Seitdem 
die Festung Rastatt aufgehoben (1890), besitzt das 
Land nur die 1902 geschaffenen Oberrheinischen 
Befestigungen am Isteiner Klotz und einige bei 
Kehl liegende Forts, die zu Straßburg gehören. 
4. Religion und Unterricht. Durch Ge- 
setz vom 9. Okt. 1860 betreffend die rechtliche 
Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im 
Staat ist der römisch-katholischen Kirche und den 
vereinigten evangelisch-protestantischen Kirchen das 
Recht öffentlicher Korporationen mit dem Recht 
der öffentlichen Gottesverehrung gewährleistet, 
durch Gesetz vom 15. Juni 1874 auch den Alt- 
katholiken. Die Befugnisse der übrigen Religions- 
gesellschaften aber, welche bisher aufsgenommen 
oder geduldet waren, richten sich nach den ihnen 
erteilten besondern Bewilligungen. Zu diesen 
Religionsgesellschaften gehören die Mennoniten, 
Herrnhuter, Neutäufer usw., ferner die Deutsch- 
katholiken, welche durch Ministerialerlaß vom 
26. April 1846 und 15. Mai 1848 die Befugnis 
zum öffentlichen Gottesdienst und Korporations- 
rechte erhielten, und die Altlutheraner, welchen 
durch Ministerialerlaß vom 28. Dez. 1855 und 
vom 28. Mai 1856 die freie, gemeinsame, nicht 
öffentliche Religionsübung, aber keine Korpora- 
tionsrechte zugestanden wurden. 
Die Verhältnisse der römisch-katholischen 
Kirche wurden zur Zeit der Errichtung des Groß- 
herzogtums einseitig staatlich geregelt. Die Or- 
ganisationsedikte von 1803, das erste Konsti= 
tutionsedikt von 1807 samt mehreren Nebenedikten, 
das Organisationsreskript vom 26. Nov. 1809 
und einige weitere Verordnungen der folgenden 
Jahre brachten ein sehr ausgeprägtes Staats- 
kirchentum. Hieran konnten auch die die Errich- 
tung der Oberrheinischen Kircheuprovinz und des
	        
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