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endete Zurückhaltung seines Wesens und Cha-
rakters hielten ihn vier volle Jahre abseits von allem
öffentlichen Wirken; die fieberhafte Aufregung,
die Spanien damals durchflutete, schien ihn nicht
zu berühren. Im Augenblick, wo er (1839) durch
die Erringung des im Madrileno catölico aus-
geschriebenen Preises für die beste Schrift über
den Priesterzölibat vor einer größeren Offentlich-
keit bekannt wurde, starb seine Mutter (29. Mai
1839) mit den Worten: „Sohn, von dir wird die
Welt viel reden!“ Sie behielt recht. Mit Don
Jayme sollte in das Geistesleben der spanischen
Katholiken ein neues Ferment kommen. Der Tod
der Mutter schenkte ihn dem öffentlichen Leben.
Am 29. Sept. 1833 war Ferdinand VII. ge-
storben, Spanien als zweifaches Erbe die Ver-
fassungs= und die Erbfolgefrage hinterlassend, die
bis zur Stunde die Rückkehr dieses Landes zu einer
nationalen Politik hindert. Ferdinand war nach
der französischen Intervention als absoluter
Monarch im Verfolg der Politik der Kongresse
von Troppau-Laibach-Verona am 13. Nov. 1823
zurückgekehrt; er hatte, nicht belehrt durch die blu-
tigen Kämpfe zwischen den revolutionären Idea-
listen der Verfassung von Cädiz (1812) und den
Anhängern des Rey neto, zugunsten der am
10. Dez. 1829 geehelichten neapolitanischen Marie
Christine, da er ohne männliche Nachkommen
war, durch die Pragmatische Sanktion vom
29. März 1830 das geltende Thronfolgerecht
aufgehoben, welches die Frauen, solange männliche
Erben da waren, vom Thron ausschloß. Er be-
stätigte damit zugunsten der am 10. Okt. 1830
geborenen Tochter Isabella zwar nur eine (bis
dahin geheim gehaltene) Pragmatische Sanktion
Karls IV.; allein er gab das mit den Bourbonen
gekommene Erbrecht, entgegen den eigensten Fami-
lieninteressen, zunächst denen seines Bruders Don
Carlos, auf. (Philipp V. hatte das Salische
Gesetz nicht vollständig aufgehoben; er hatte nur
festgesetzt, daß die Frauen bloß in Ermanglung
eines männlichen Thronerben zur Erbfolge be-
rechtigt seien.) Ferdinands Retraktation (Sept.
1832) und die Anerkennung des Don Carlos,
dann deren Widerruf und Isabellas nochmalige
Anerkennung unter Christinens Regentschaft (Ok-
tober) und der Protest Don Carlos' (29. April
1833) schürten die Erregung im Land; die Er-
hebung des gemäßigten und fortgeschrittenen Libe-
ralismus (Moderados und Exaltados) brachte die
Revolution, und das Eingreifen der englisch-
französischen Politik machte sie unheilbar. Entgegen
dem bourbonischen Hausinteresse verfolgte Louis
Philippe die Sonderinteressen der orléanistischen
Linie bei der Unterstützung der schwankenden Po-
litik der Regentin unter Zea Bermudez' „aufge-
klärtem Despotismus“ und Martinez de la Rosas
gemäßigtem Konstitutionalismus bei dem Erlaß
des sog. Estatuto real (10. April 1834), welches
die altspanischen Freiheiten der Fueros, zumal der
baskischen Provinzen, beseitigte. Die antinationale
Balmes.
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Politik der sog. Quadrupelallianz (22. April
1834) zugunsten der orléanistischen Sonderinter-
essen führte zu den entsetzlichen Bürgerkriegen
(25. Juli 1885 die blutige Erhebung Saragossas)
und, seit den Exaltados unter Mendizabal die
Regierung zugefallen, zu einer so radikalen Ver-
folgung der Kirche, zumal der religiösen Orden,
zu so brutalen Exzessen gegen die kirchlichen Per-
sonen und die Güter der Kirche, wie das katho-
lische Spanien sie noch nicht gesehen. Die Ent-
lassung dieses Ministeriums (15. Mai 1836), die
schwankende Politik des Ministeriums Isturiz und
die Preisgabe des Estatuto real (12. Aug. 1836)
riefen aufs neue die Exaltados, diesmal unter ihrem
verschlagensten General und Staatsmann, Baldo-
mero Espartero, ans Ruder. Die Beschimpfung
des Hofes in La Granja, die Madrider Emeute,
die Ermordung des Generals Quesada, die sieg-
reiche Stellung des Don Carlos in ganz Nord-
spanien, die neue Verfassung Esparteros (18. Juni
1837), das Erscheinen des Don Carlos vor
Madrid (12. Sept. 1837), die Erfolge des Ge-
nerals Espartero und die Konvention von Ver-
gara (31. Aug. 1839), sowie die Gefangensetzung
des nach Frankreich übergetretenen Don Carlos
führten zwar den siebenjährigen Krieg zu Ende,
aber zugleich unter der Regentschaft des zum
Siegesherzog erhobenen Espartero zu einer so
schamlosen Erniedrigung des Königtums und so
rachsüchtigen Niedertretung der Kirche und des
spanischen Volkes, daß Gregor XVI. im tiefsten
Schmerz über das namenlose Elend der Kirche
und des Volkes öffentliche Gebete (in Form eines
Jubiläums) für das unglückliche Spanien ver-
langte. Die furchtbare Insurrektion, die in Bar-
celona und in Katalonien abermals ausbrach,
wurde auch jetzt wie 1842 unterdrückt, erzielte in-
des (Juli 1843) den Sturz des Siegesherzogs.
Narvaez als Führer der Moderados übernahm
die Regierung, die 13jährige Isabella wurde
mündig erklärt, Marie Christine und Martinez
de la Rosa kehrten zurück.
Was vom Erlaß des Estatuto real, welchen
Balmes noch in Cervera feierte, bis zum vollen-
deten Sieg der Exaltados über Monarchie und
Kirche in der Einsamkeit von Vich, wo die bis
unter seine Mauern tobende Kriegsfurie ihn nur
vorübergehend von seinen Studien abbringen
konnte, in seinem Geist vor sich ging, wissen wir
nicht; wir hören nur gelegentlich von seiner ein-
gehendsten Beschäftigung mit Geschichte, Juris-
prudenz und besonders mit der Poesie der spani-
schen Mystiker. Daß das unermeßliche Unglück
seines Vaterlands, die schrankenlose Herrschaft der
Revolution über den katholischen und monarchi-
schen Geist seines Volkes, die Ergründung des hier
zur Erscheinung kommenden Elends die ganze
Kraft seines geistigen Arbeitens gefangen hielt,
wußte kaum seine nächste Umgebung. Tiefer Ernst
und eine ihm angeborene Zurückhaltung hatten
sich so scharf bei ihm ausgeprägt, daß sein Freund