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nahm an, hat seinen Sitz aber nie eingenommen.
Der Schmerz ganz Spaniens über seinen frühen
Tod war ein gerechter: Balmes war ein priester-
licher Charakter in der ganzen Größe des Wortes;
ein Mann der Wissenschaft, der Frömmigkeit, des
Opfers, vor dessen makelloser Hoheit auch die
Gegner sich beugten, dessen Einfluß es in erster
Linie mit zuzuschreiben ist, daß Spanien nicht
mehr die Wege des Entsetzens zu wandeln hatte,
von welchen er es in der verzehrenden Glut seiner
Liebe zur Kirche und zu seinem Volke abzulenken
bestrebt war.
Überblickt man sein Lebenswerk auf allen Ge-
bieten der praktischen wie der theoretischen Politikund
Philosophie, so wird man bei tieferem Nachforschen
unschwer die eine große Idee erkennen, welche
dasselbe beherrscht: den Kampf gegen die rationa-
listische und die Verteidigung der christlichen Ge-
sellschaftsauffassung. Erstere trat ihm
im Guizotschen Doktrinarismus entgegen, in der
allgemeinen Skepsis gegenüber den Grundwahr-
heiten der Religion, in den Verirrungen des philo-
sophischen Denkens, letztere in der katholischen
Tradition, in dem übernatürlichen Glauben, in
der zeitgemäßen Wiederbelebung der scholastischen
Philosophie. Alle Wahrheit strömte für ihn aus
einer Quelle, aus Gottes zwiefacher Schöpfung
im Reich der Natur und der Gnade, aus ihrer
harmonischen Einheit im Glauben, Lehren, Leben
der Kirche: alle Erkenntnis hatte für ihn eine
Norm, die Glaubensregel und die große Tradition
der katholischen Philosophie; alles Wirken stand
bei ihm in strenger Abhängigkeit von einem
Ziel, Spanien seiner katholischen Vergangenheit
und damit einer glorreichen Zukunft wiederzugeben.
Hätte er die erste vatikanische Konstitution Dei
Filius Pius'IX., hätte er die Enzyklika Leos XIII.
Aeterni Patris (4. Aug. 1879) über die Re-
stauration der katholischen Philosophie gelesen, die
Freude hätte ihn überwältigt. Im Lichte dieser
autoritativen Kundgebungen muß Balmes un-
zweifelhaft als einer der größten, gottbegnadetsten
Geister des neueren Katholizismus angesehen wer-
den. Im Doktrinarismus und seiner Politik er-
kannte er eine neue Phase des protestantischen
Geistes, eine Weiterbildung des „Glaubensbekennt-
nisses des savoyardischen Vikars“, des Contrat
social, d. h. der Proklamation der Souveränität
der Vernunft und der Volkssouveränität sowie der
Umgestaltung aller gesellschaftlichen Ordnung nach
ihren Forderungen. Diesem letzten Versuch der
Fortsetzung der revolutionären Emanzipation des
Menschengeistes des 16. Jahrh. galt seine nie
ruhende Zurückweisung in den Soziallehren und
in den politischen Doktrinen, zunächst des eigenen
Volkes. Wenn ihm trotzdem zu gewissen Zeiten
und unter gewissen Umständen von seinen Freunden
eine zu große Nachgiebigkeit gegen die Einrich-
tungen des modern-politischen Lebens zum Vor-
wurf gemacht wurde, wie von seinen Gegnern die
Hinneigung zu reaktionärem Pessimismus, so mag
Balmes.
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dies mit Bezug auf einzelne Außerungen eine
gewisse Berechtigung haben, nicht so mit Bezug
auf die Grundlinien seiner Gesamtanschauung.
Für Spanien forderte er die Herrschaft des katho-
lischen und des monarchischen Prinzips, da das
erstere gegenüber den sozialen Umgestaltungen des
Volkslebens allein eine Macht der Aussöhnung,
der Ordnung, der Friedigung besitze, das letztere
allein einer Gesellschaft die Stabilität ihrer Ein-
richtungen sichern könne.
Die Weltpolitik der modernen Zeiten hat mit
den dreifachen, von ihr angenommenen Axiomen
der Regierungskunst: dem Interessen- und
Parteikult, der Zentralisation, der den Körper
schwächenden, den Geist erniedrigenden Erziehungs-
methode, nur die Herrschaft der universalen Knech-
tung proklamiert. Der Katholizismus ist allein
noch die retiende Macht, da er den Dingen dieser
Zeit das rechte Maß in der übernatürlichen Be-
stimmung alles sozialen Lebens geben kann, weil
er allein die durch die universale Revolution in der
Volksseele geschaffene Leere auszufüllen vermag.
Was Balmes in dieser Hinsicht über die Grund-
elemente alles sozialen Lebens, die Individualität,
Arbeit, Eigentum, Ehe, Jungfräulichkeit, Liebe,
geschrieben, scheint uns mit das Vollendetste zu
sein, was hohe Vernunft und seltene Zartheit des
Herzens eingegeben. Das gleiche gilt bezüglich der
Institutionen und ethischen Grundanschauungen
des Katholizismus, z. B. der religiösen Orden.
„Wenn der Gesellschaft Auflösung droht, dann
helfen nicht Werke, Pläne, Gesetze, sondern starke
Institutionen, die den Leidenschaften, der Un-
beständigkeit des Menschen, den zermalmenden
Schlägen der Ereignisse widerstehen. Institutionen
tun not, um die Intelligenz zu bilden, das Herz
zu beruhigen und zu veredeln, um eine Bewegung
des Widerstands und der Reaktion inmitten einer
Gesellschaft herbeizuführen, deren verderbliche Ele-
mente letztere dem Tod überantworten.“
Angesichts der modern-revolutionären Erschüt-
terung der Gesellschaft hat jede wahrhaft konser-
vative Politik auf die Befestigung und Erhaltung
jener beiden Sozialmächte hinzuarbeiten, welche
in den modernen Nationen allein noch die Volks-
einheit und Volkseinigkeit retten können: Katholi-
zismus und Monarchie. Dies gilt insbesondere
für Spanien; die Revolution ist für dasselbe
eine „Überraschung“ gewesen; die größte Wider-
standskraft ist und bleibt noch der Katholizismus,
zumal das zwischen einer starken monarchischen
Gewalt und dem Volk vermittelnde Glied einer
fest organisierten Aristokratie fehlt, welche die
Demokratie vor Ausschreitungen bewahrt. Die
Kritik der gegenwärtigen spanischen Verfassung
führt Balmes zu der Forderung: Befestigung und
Stärkung der Erbmonarchie um der Ordnung,
der Stabilität und einer Anwendung der politischen
Gewalt willen, welche mit Wohlwollen die Aus-
einandersetzung von Aristokratie und Demokratie
auf Grund der spanischen Verfassung vor Karl III.