Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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hilfe geschaffene Genossenschaft, um gemeinsam 
auf gemeinsame Rechnung unter solidarischer Haf- 
tung aller einzelnen Genossenschafter Kapital auf- 
zunehmen. Ahnliche Gründungen, Landschaften 
oder Ritterschaftliche Kreditvereine ge- 
nannt, entstanden dann auch in andern preußischen 
Provinzen. Alle diese Kreditinstitute fußen auf 
ständischer oder genossenschaftlicher Grundlage 
und haben den Charakter einer öffentlich-recht- 
lichen Korporation. Der Beitritt zu der Genossen- 
schaft ist heute für die Besitzer der betreffenden 
Güter in denjenigen Bezirken, auf welche der 
Verein sich erstreckt, fakultativ. Sämtliche Mit- 
glieder verpfänden bei ihrem Eintritt in die Ge- 
nossenschaft ihre Güter an die Gepnossenschaft. 
Ursprünglich hafteten, und so ist es auch noch bei 
den älteren Vereinen, alle Güter, welche der Ge- 
nossenschaft verpfändet waren, solidarisch, einerlei, 
ob die Genossenschaft dieselben beliehen oder nicht. 
Einige neuere Kreditvereine haben das Prin- 
zip der Solidarhaft nicht angenommen. Nach 
dem Eintritt in die Genossenschaft werden die 
Güter nach bestimmten Regeln abgeschätzt, und 
nach dieser Abschätzung wird die Höhe des zu nor- 
mierenden Kredits festgesetzt. Der Verein selbst 
beschafft sich das für den Hypothekarkredit seiner 
Mitglieder notwendige Geld, indem er bis zu der 
festgesetzten Beleihungsgrenze der einzelnen Güter 
hypothekarisch auf die einzelnen Güter eingetragene 
Inhaberpapiere (Pfandbriefe) mit dem Rang der 
ersten Hypothek ausfertigt und diese entweder 
selbst verkauft oder dem kreditsuchenden Guts- 
besitzer zum Verkauf aushändigt. Für die Sicher- 
heit dieser Pfandbriefe haftet in erster Linie der 
Verein mit dem gesamten ihm verpfändeten Im- 
mobiliarvermögen. Die Vereinsmitglieder, welche 
Darlehen aufgenommen haben, zahlen ihre Dar- 
lehnszinsen, welche höher sein müssen als die 
Pfandbriefzinsen, und eine Quote zur Kapitals- 
tilgung an die Vereinskasse, welche ihrerseits die 
ausgegebenen Pfandbriefe verzinst und sukzessive 
aus den eingegangenen Kapitalsabtragungen auf 
dem Weg der Verlosung heimzahlt. Ursprüng- 
lich waren die Pfandbriefe seitens der Inhaber 
sowohl als des Kreditvereins kündbar. Seit 1838 
werder sie durchweg seitens der Inhaber unkündbar 
gestellt. Aus dem Überschuß des Darlehnszinses 
über den Pfandbriefzins werden die Verwaltungs-= 
kosten bestritten und Reservefonds gebildet. Die 
älteren Institute haben ihren Mitgliedern gegen- 
über weitgehende Privilegien. Im Fall der Säu- 
migkeit der Hypothekenschuldner steht ihnen ohne 
richterliche Hilfe nach Ablauf eines gewissen Ter- 
mins die Sequestration des Gutes zuz sie sind in 
der Lage, Geldstrafen zu verhängen usw. Sollte 
der Verein selbst dem Pfandbriefgläubiger gegen- 
über seine Schuldigkeit nicht tun, so hat dieser 
einen direkten Zugriff auf das ihm in seinem 
Pfandbrief verpfändete Gut. Die solidarische Haft 
ganzer Landschaften und Bezirke und daneben die 
Spezialität der Pfandbriefe machte diese, zumal 
  
Banken und Kreditinstitute. 
  
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die meisten Vereine die Hälfte des Schätzungs- 
werts als Beleihungsgrenze festsetzten (erst neuere 
gehen bis zu / des Taxwerts — des wirklichen 
Werts), bald zu einem gesuchten Anlagepapier, da 
es ja mit der beliebten Sicherheit hypothekarischer 
Anlage alle die Annehmlichkeiten des Inhaber- 
papiers verbindet. Auf die Höhe des Kurses wirkt 
neben der Zuverlässigkeit der betreffenden Verwal- 
tung die Zuverlässigkeit der Abschätzungen nach 
dem Erträgniswert, die Überwachung der Be- 
wirtschaftung der einzelnen Güter durch die Or- 
gane des Vereins usw. Den Pfandbriefen der 
Landschaften (etwa 2 Milliarden I# ist durch das 
preußische Einführungsgesetz zum B.G.B. das 
Privileg der Mündelsicherheit zuerkannt. In 
Preußen bestehen heute in jeder Provinz außer 
der Rheinprovinz uud Hessen-Nassau ein oder 
mehrere Landschaften bzw. Ritterschaftliche Kre- 
ditvereine oder Ritterschaftliche Kreditinstitute; 
sie dehnen im Gegensatz zu früher ihre Tätig- 
keit auch auf bäuerliche Besitzungen aus, aller- 
dings nur wenn diese einen bestimmten Rein- 
ertrag haben (in Westfalen 150 M, in Sachsen 
90 M, in Schlesien 30 M). Einzelne dieser Land- 
schaften zerfallen in Departements (Fürstentums- 
landschaften) mit besondern Direktionen und Re- 
präsentantenkollegien, die teils, wie in Schlesien 
und Pommern, eine korporative Verfassung mit 
eigenem Vermögen, teils, wie in Westpreußen und 
der Mark, bloße Verwaltungseinteilungen bilden. 
Ahrliche Zwecke wie die preußischen Institute ver- 
folgen der „Erbländische ritterschaftliche Kredit- 
verein im Königreich Sachsen“ (gegründet 1844), 
der „Ritterschaftliche Kreditverein für das Herzog- 
tum Braunschweig“ (1862), der „Kreditverein 
der Mecklenburgischen Ritterschaft beider Groß- 
herzogtümer“ (1814) und andere. Um durch Aus- 
gabe von Zentralpfandbriefen den Kredit der 
Grundbesitzer zu fördern, schlossen sich 1873 meh- 
rere preußische Landschaften zu einer „Zentral- 
landschaft für die preußischen Staaten“ zusammen. 
Heute gehören dieser Vereinigung acht Landschaften 
als Mitglieder an. 
3. Die Hypothekenbanken. Diese unter- 
scheiden sich von den Kreditvereinen wesentlich da- 
durch, daß sie nicht auf genossenschaftlicher Grund- 
lage zum Zweck gegenseitiger Unterstützung und 
Förderung geschaffene Einrichtungen sind, son- 
dern Vereinigungen von Kapitalisten mit dem 
Zweck, die hypothekarische Beleihung von Grund- 
stücken zum Gegenstand des Erwerbs zu machen. 
Die meisten Hypothekenbanken ziehen heute vor- 
wiegend den städtischen Immobiliarbesitz in den 
Bereich ihrer Geschäftstätigkeit. Die ausgegebenen 
Pfandbriefe haben nicht den Charakter von Spe- 
zialhypotheken, sondern der gesamte Hypotheken- 
stand des Instituts haftet für die ausgegebenen 
Pfandbriefe. Die Pfandbriefinhaber haben im 
Konkurs Vorzugsrecht vor allen übrigen Gläubi- 
gern der Gesellschaft. Bis 1. Jan. 1900 galten 
bei den deutschen Hypothekenbanken in Bezug auf
	        
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