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Betrieb den Besitzer als Mitarbeiter oder lediglich
als Leiter in Anspruch nimmt, für die landläufige
Bezeichnung als Bauer oder Gutsbesitzer maß-
gebend sein.
Die Eigenschaft des Besitzes und das Maß des-
selben unterscheidet den Bauern einerseits vom
Großgrundbesitzer, anderseits von landwirtschaft-
lichen Dienstboten und Taglöhnern. Das land-
wirtschaftliche Taglöhnertum, der freie ländliche
Arbeiterstand, ist erst seit Lösung des gutsherrlichen
Verhältnisses, in welchem Klein= und Großgrund-
besitz ehedem zueinander standen, zu einer größeren
Bedeutung gekommen. Es ist im nördlichen und
nordöstlichen Deutschland zahlreich, während im
mittleren und südlichen Deutschland das Gesinde
vorwiegt. Die Mitte zwischen den Besitzern von
Bauerngütern und den besitzlosen Landarbeitern
halten die Besitzer kleiner Anwesen, welche in ein-
zelnen Gegenden verschiedene Bezeichnungen, wie
Heuer, Kötner, Kätner, Kossaten, Dreschgärtner,
führen. Den Bauernstand, dessen Bedeutung im
Art. Agrargesetzgebung kurz gewürdigt ist, zahlen-
mäßig zu fassen, ist sehr schwierig wegen der oben
angedeuteten Schwierigkeit der Begriffsbestim-
mung. Deutschland hat 43,2 Mill. ha landwirt-
schaftlich benutzte Fläche, die von 5,5 Mill. Be-
trieben bewirtschaftet wird. Mit der gewöhnlichen
Einteilung der Betriebe in die Größengruppen
1—20 ha (Kleinbetrieb), 20—100 ha (Mittel-
betrieb) und mehr als 100 ha (Großbetrieb) cha-
rakterisiert man den Bauernstand nicht so gut, als
wenn man folgende Einteilung wählt: a) unter
5 ha Kleinbetrieb, b) 5—50 ha Mittelbetrieb
c) über 50 ha Großbetrieb. Die Gruppen a und
b haben von den 5,5 Mill. Betrieben über 5,4,
während der Großbetrieb noch keine hundert-
tausend (67 185) Betriebe umfaßt. Für gewöhn-
lich rechnet man den Kleinbetrieb unter 2 ha nicht
als eigentlich bäuerlichen, so daß für den sog.
deutschen Bauernstand rund 2,2 Mill. Betriebe
übrigbleiben.
II. Geschichkliches. Für die Kenntnis der
Entstehung des deutschen Bauernstands ist
von Wichtigkeit einerseits Einblick in die Art der
Ansiedlung, Hufeneinteilung und Flurverfassung,
anderseits in die später hinzukommenden Treue-
verhältnisse, des Lehens, der Leihe= und Eigen-
gabe. — Je nach der Gedrängtheit oder Zer-
streutheit der Besiedlung unterscheidet man Dörfer,
Weiler, Einzelhöfe und verschiedene Mischformen.
Die Hochgebirgsformation, die Schattenseite der
Berge, der Betrieb der Alpenwirtschaft wiesen auf
das Hofsystem hin. Nicht bloß die Alpenländer
oder Norwegen, auch das spanische Galicien,
Asturien, Biscaya, dann Island, Finland
kennen vorwiegend Einzelhöfe. Fruchtbare Täler,
weite Ebenen dagegen luden zu Dorfansiedlungen
ein. — In romanischen Alpengebieten drängte
die Fruchtbarkeit, der Wein- und Olivenbau zur
Kleinkultur und Dorfansiedlung. In slawischen
Gegenden bestimmte die Institution der Haus-
Bauernstand.
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gemeinschaft auch in ihrer grundherrlichen Form
zur Dorfansiedlung. Gebirge, Hügel mit schwerem
Lehmboden ließen die Slawen zunächst unan-
gebaut. Die Gehöfte der slawischen Dorfberinge
sind entweder fächerförmig oder auf beiden Seiten
einer breiten Dorfstraße nebeneinander gereiht, in
Summa einem länglichen Rechteck ähnlich. Beson-
ders große Dörfer gibt es in Südrußland, Böhmen,
Livland, der Lausitz, Ungurn. — Auch in Deutsch-
land empfiehlt es sich, Strecken mit rein deutscher
Ansiedlung und Gebiete mit deutscher Ansiedlung
auf römischer und flawischer Grundlage ausein-
anderzuhalten. In Gebieten rein deutscher An-
siedlung, also im Herzen des alten Deutschland,
etwa zwischen Weser, Rothaargebirge und Elbe,
Saale, dann in Thüringen, überwiegt die Ge-
wannverfassung (s. u.). Dagegen gibt es westlich
vom Rothaargebirge und Teutoburger Wald, also
in Westfalen, Hannover, Friesland, sehr viele
Einzelhöfe (Einöden), welche ohne jeden geschlosse-
nen Hofverband vereinzelt innerhalb des Gemeinde-
bezirks zerstreut liegen. Das Gehöft liegt wo-
möglich in der Mitte der ihm zugehörigen Fluren,
die Grundstücke bilden nicht Streifen, sondern
ziemlich abgerundete Blöcke, sog. Kämpe von
Acker-, Gras= oder Holzland. Zwischen den Höfen
sind ausgedehnte Heiden oder Holzungen, der
Markgenossenschaft oder einem gewissen Kreis
benachbarter Höfe gemeinschaftlich gehörig. Ob
hier vorhergehende (keltische) Besiedlung (der Me-
napier) nachgewirkt hat, ist ungewiß. Eher lassen
sich dort, wo römische Güterverhältnisse bestanden
haben, also am linken Rheinufer und im Süden
Deutschlands, Spuren solcher Nachwirkung nach-
weisen. Zwischen und über dem keltischen Anbau
hatte der Römer Latifundien und Villen mit
Sklaven oder germanischen Kolonen; außerdem
gab es Kolonien von Veteranen. Ihnen waren
gegen Kriegsdienst Güter überlassen, von denen
sie wieder Teile an Kolonen abgaben. Andere
Güter waren reine Pachtungen mit Geldzins an
den Kaiser. Bald überschritten Alamannen, Her-
munduren, Markomannen, später auch nördliche
Stämme die Grenze, suchten römische Dienste und
beanspruchten Einquartierung in die Tertia des
Hauses. Vom Standpunkt des römischen Pro-
binzialen aus stellte sich die Landteilung als eine
durch Abtretung vollzogene Abschichtung eines mit
Weib und Kind auf die Dauer in Quartier ge-
legten Germanen dar, die abgetretenen Quoten
hießen sortes, die Besitzer des erst später real ge-
teilten Grundstücks consortes. Im übrigen scheint
die deutsche Besitznahme des linken Rheinufers
und Süddeutschlands auf den zuerst besetzten Ge-
bieten ganz nach dem Muster der im Herzen
Deutschlands bestehenden Gewannverfassung, bei
späterer Ausbreitung aber mehr weilerartig er-
folgt zu sein. »
Die gemeinsame Besitznahme gewisser, etwa
einer Dorfflur entsprechender Gebietsabschnitte und
eine gewisse gemeinsame Bewirtschaftung, welche