Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

601 
Amter damit auszustatten. Die Kirche, die schon 
in Gallien großen Grundbesitz hatte, erwarb solchen 
besonders durch Schenkung auch in den deutschen 
Stammlanden, insbesondere vertraten die Klöster 
die Rodungen im großen Stil. Im Gegensatz zu 
den einfachen Stammeskriegen drängten die Kriege 
des großen Frankenreichs, die größeren Entfer- 
nungen, die teure Ausrüstung zu einer geänderten 
Heeresverfassung. Hatte ehemals der Heeresver- 
band alle Gemeinfreien umfaßt, so führte nunmehr 
Karl der Große Stellvertretung ein. Nach einigen 
Generationen hatte sich im Gegensatz zum ehe- 
maligen Heerbann ein Kriegerstand gebildet, der 
nach und nach mit dem aus dem fränkischen 
Amtsadel und den königlichen Gefolgschaften 
erwachsenen Adel die Loaienaristokratie bildete. 
Das Ansehen der Gefolgschaft stieg, als die 
Frankenkönige ihren Gefolgsleuten Stücke er- 
oberter Territorien zuzuweisen vermochten. Je 
mehr die Vasallen den Heerbann ersetzten, desto 
mehr stützte sich die Organisation des Franken- 
reichs auf Lehnsverhältnisse. Daneben bestand 
die Hierarchie der Bischöfe und Abte. In den 
Schut dieser geistlichen und weltlichen Aristokratie 
begaben sich viele ehemalige Gemeinfreie (Eigen- 
gabe), besonders als Geistliche und Klöster das 
Abhängigkeitsverhältnis in der mildesten Form 
handhabten; die Freiheit von der drückenden Heer- 
bannspflicht und religiöse Gesichtspunkte trugen 
dazu bei. Die Anderung der Besitzverhältnisse 
konnte auch für die Gerichtsorganisation nicht 
ohne Folgen bleiben. Die Bezirke der Grund- 
herrschaften werden von der sonstigen regelmäßigen 
Gerichtsbarkeit befreit (Immunitäten). 
So trat allmählich an die Stelle der primitiven 
Organisation, der einförmigen, monotonen Wirt- 
schaft der Gemeinfreien und der wenig leistenden 
Markgenossenschaft, die reiche, ein größeres Maß 
gesellschaftlicher Gliederung mit sich bringende 
Organisation der Grundherrschaften. Letz- 
tere erzielten mit den vorhandenen Mitteln größere 
ökonomische Ergebnisse, arbeiteten viel intensiver 
(Klöster) am Ausbau des Landes durch koloni- 
satorische Besiedlung bisher unbebauter Gebiete, 
sorgten für bessere Befriedigung der Gemeinde- 
bedürfnisse und gesteigerte Ausnutzung der vor- 
handenen Arbeitskräfte. Gerade die Ausbreitung 
bäuerlicher Lehen und der gutshörigen Hofsstellen 
hat in Deutschland einen verhältnismäßig starken 
Bauernstand erhalten, während beispielsweise in 
England das Fortbestehen der Gemeinfreiheit die 
Gemeinfreien nicht vor der Herabdrückung zum 
land= und rechtlosen Kleinpächter bewahrt hat. — 
Hatten früher Freie und Unfreie sich schroff gegen- 
übergestanden und den wichtigsten Gegensatz im 
Volk ausgemacht, so bildeten sich im 10. bis 
12. Jahrh. unter dem segensreichen Einfluß von 
Beruf und Arbeit neue, aus freien und unfreien 
Elementen sich mischende Stände. Die größeren 
Freien schmolzen mit den größeren Unfreien zum 
Ritterstand zusammen, die freien und unfreien 
  
Bauernstand. 
  
602 
kleineren Grundbesitzer infolge ihrer ähnlichen Lage 
zum Bauernstand. — Sehr viel haben christliche 
Anschauungen zur Hebung der Unfreien beige- 
tragen. Die urbarenden Klöster übten die Hörig- 
keit milde und lockten dadurch viele freie Arbeits- 
kräfte an. Die vielen kirchlichen Feiertage wirkten 
günstig für die Unfreien, und einer der wichtigsten 
Fortschritte war die sich geltend machende Ubung 
und Anschauung, daß man die Unfreien nicht 
mehr einzeln, sondern nur mit dem Dorf und 
Gut, zu dem sie gehörten, verkaufen dürfe. Ge- 
rade die Möglichkeit, persönliche Verpflichtungen 
vom Inhaber des Guts aufs Gut selbst abzu- 
wälzen, also die Radizierung der anfangs perfön- 
lichen Lasten, die Bindung der Person an die 
Scholle statt an die Willkür der Herren, ermög- 
lichte die Hebung der Unfreien. Die Einschaltung 
der Fronhofsverfassung zwischen Grundherren und 
Grundholden hob die Unfreien und verschmolz 
freie und unfreie Landarbeiter zu Bauern. — Wo 
es sich nicht um einen einheitlichen Komplex han- 
delte, wie insbesondere auf Neurodungen, sondern 
wo eine Anzahl von Hufen derselben Grundherr= 
schaft in benachbarten Dörfern zusammenlagen, 
bildete man nämlich einen besondern Verband 
dieser Hufen mit einem ehemaligen Bauernhof im 
Hauptort als Mittelpunkt. An diesen Haupthof 
(Salhof, Fronhof, sala, curtis, salica) waren 
Abgaben und Dienste zu leisten. Der grundherr- 
liche Beamte, der demselben, zunächst für ökono- 
mische Angelegenheiten, vorgesetzt war, hieß Meier, 
villicus. Der Umstand, daß der Grundherr 
Obereigentum und Vertretungsgewalt vor Gericht 
hatte, leitete die schon erwähnte) Begründung 
eines grundherrschaftlichen Gerichtswesens 
im Anschluß an den Fronhof ein. Die betreffenden 
Grundholden standen nunmehr, ob sie nun eigene 
oder hörige Leute waren, zu der Gemeinde nur in 
einem mittelbaren Verhältnis. Ihr nächster Be- 
amter war der Meier. Der Meier wurde zugleich 
Richter, die Hörigen unter sich aber Gerichts- 
genossen. Die Grundherrschaft bekam durch diese 
Anderung zu ihrem anfangs nur wirtschaftlichen 
auch einen staatlichen Charakter. Die Hofgenossen- 
schaft wurde ein Hofgericht, ihr Brauch ein Recht 
(Hofrecht), ihr Spruch eine Weisung. Die Weis- 
tümer und Dorfordnungen zeigen, daß selbst Leib- 
eigene Beschlüsse faßten und Entscheidungen trafen, 
die zwar vorwiegend nur das Herkommen bestä- 
tigten, aber doch den Anschein umfassender Auto- 
nomie hatten und durch Bewilligung und Be- 
stätigung der Gutsherrschaft Rechtskraft erlangten. 
So wenig wie die rechtliche war die finan- 
zielle Abhängigkeit im großen und ganzen eine 
erdrückende oder erniedrigende. Dies kann, na- 
mentlich im Vergleich mit der Anderung zu Be- 
ginn der Neuzeit, aus folgenden Gründen darge- 
tan werden: Die meist kleinen Eigenwirtschaften 
der Gutsherren machten keine großen Ansprüche 
auf Ackerdienste und andere Leistungen. Die 
grundherrliche Eigenwirtschaft war eine sehr
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.