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führerischen Lehren der Sozialdemokratie niemals
ein so williges Ohr leihen, wie der heimat- und
besitzlose Arbeiter, wenn er auch einen weit höheren
Lohn bezieht. — Grundteilungen wirken demnach
dort überwiegend vorteilhaft, wosie zur Ver-
besserung der Wirtschaft vorgenommen werden,
sei es daß die größere Intensität der Bewirtschaf-
tung eine Verminderung der Bodenfläche der Be-
triebseinheit voraussetzt, sei es daß infolge zuneh-
mender Industrie und Kleingewerbebetriebs Ar-
beiter auf dem Land Grundstücke zu erwerben
suchen. Grundteilungen wirken aber dort über-
wiegend kulturschädlich, wo sie der verschuldete
Bauer als letztes, zumeist vergebliches Mittel er-
greist, um sich vor der drohenden Exekution zu
retten.
Man ist gewohnt, dem deutschen Recht die Ge-
schlossenheit der Bauerngüter, dem römischen. Recht
die Behandlung des Grundeigentums nach Ana-
logie des beweglichen Vermögens zuzuschreiben.
Es ist dies auch in der Tat zutreffend, nur ver-
fällt man dabei leicht in den Fehler, sich die lange
Dauer bäuerlichen Besitztums zu sehr auf Zwangs-
gesetzen beruhend zu denken. Solche Gesetze brachte
erst das 17. und 18. Jahrh. zum Zweck der im
Interesse von Staat und Grundherrschaft ge-
legenen Erhaltung steuerfähiger Bauern mit sich.
In der früheren Zeit bäuerlicher Autonomie, im
14. und 15. Jahrh., herrschte — wenn nur die
Abgaben nicht litten, die einer übernahm (Vor-
trägersystem) — große Freiheit, die eben dank
verschiedener Umstände weniger mißbraucht wurde
und mißbraucht werden konnte. Auch war in
jener Zeit so zahlreichen Korporations- und Ge-
meinschaftsbesitzes notorisch die moralische Kraft,
in Gemeinbesitzverhältnissen zu stehen, eine all-
gemeinere und größere. Es war also schon des-
halb weniger Teilungsbedürfnis. Es gab eine
Reihe von Arten Miteigentum und Besitz zu
gesamter Hand, beim Adel die Ganerbschaften
u. dgl. Lebendiger Familiensinn, mächtige Sitten,
Abwesenheit von Spekulation und Geldwirt-
schaft taten das Ihrige. Gesetzlich, beim Adel
hausgesetzlich (Fideikommisse) wurden die Meist-
begünstigungen erst dann ausgesprochen, formu-
liert und fixiert, als das römische Recht mit seiner
Zwangsteilung im Intestatsfall die bisherigen
Gewohnheiten und die darauf beruhenden Ein-
richtungen, bäuerliche Behäbigkeit und adligen
splendor familiae zu erschüttern drohte.
Die Maßregeln, die neuerdings gegen kultur-
schädliche Grundteilungen vorgeschlagen werden,
haben den ausgesprochenen Zweck, Gewährschaft
zu bieten, daß das Gehöft der Familie und so
einem eng mit dem Besitz verwachsenen Geschlecht
möglichst lang verbleibe und seinem Inhaber
unverändert als zulängliche Nahrungsquelle diene,
also zu verhindern, daß kleines Grundeigentum
zum Spekulationsobjekt werde, durch Zusammen-
kauf sich verringere und hiermit eine nachteilige
Güterverteilung eintrete. — Die Maßregeln fassen
Bauernstand.
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sowohl den Immobiliarverkehr unter Lebenden
wie jenen auf den Todesfall ins Auge. Zu den
erstgenannten Maßregeln gehört die Beaufsichti-
gung jener Individuen oder Konsortien, welche
aus dem Ankauf von Landgütern ein Gewerbe
machen, indem sie daraus kleine Höfe oder Par-
zellen bilden und auf die dabei eintretende Preis-
erhöhung spekulieren (Gofmetzgerei). Eine
indirekte Erschwerung kann darin bestehen, daß
der Käufer eines Guts nicht vor Ablauf einer
bestimmten Frist zum parzellierenden Wieder-
verkauf schreiten darf. Gegen ein Stückmini-
mum wird eingewendet, daß die zu einer Zeit
möglicherweise ganz zweckentsprechende Größe im
Lauf weniger Dezennien eine unzweckmäßige sein
kann, während es doch im Interesse des Staates
liege, daß durch intensive Wirtschaft, die ein durch-
schnittlich kleineres Areal bedinge, der Rohertrag
seines Territoriums mehr und mehr gesteigert
werde. Allein bei der sonstigen großen Frucht-
barkeit unserer Gesetzgebung dürfte die Revision
und Reduktion eines zu groß gewordenen Stück-
oder Besitzminimums, das ohne obrigkeitliche Er-
laubnis nicht unterschritten werden darf, nicht
allzu schwer fallen. — Was den Immobiliar-
verkehr auf den Todesfall betrifft, so handelt es
sich um ein der Landwirtschaft angepaßtes beson-
deres Erbrecht (s. d. Art. Anerbenrecht).
Nicht bloß durch unpassende Teilung, auch
durch unangemessene Verschuldung kann die
Selbständigkeit bäuerlichen Besitztums bedroht sein.
Verschuldung ist verschleierter partieller Verkauf.
Überschreitet sie ein gewisses Maß, so sind die
Pfandbriefinhaber, Sparkassen, Stiftungen, Hypo-
thekenbanken und anderweitige Gläubiger, wenn
auch nicht die juristischen, wohl aber die faktischen
Herren von Grund und Boden. Die irrtümliche
Verallgemeinerung der freihändlerischen Agrar-
politik, als sei jede zunehmende Verschuldung ein
Glück, weil sie eine „Befruchtung“ des Grund-
besitzes mit Kapital und einen Fortschritt zu inten-
siver Landwirtschaft darstelle, wird in neuerer Zeit
von Tag zu Tag mehr aufgegeben. Allerdings
verfloß geraume Zeit, seit 1868 und 1869 Rod-
bertus der Welt die Augen darüber öffnete, daß
vier Fünftel aller Grundschulden rückständige
Kaufgelder und eingetragene Erbportionen seien.
Wie bei den Grundteilungen zwischen kulturell
vorteilhaften und wirtschaftlich schädlichen unter-
schieden werden muß, so muß dies auch bei der
relativen, d. h. stärker als der Reinertrag wach-
senden Verschuldungszunahme geschehen. Die
Schulden können unbedenklich sein, wenn durch
Verbesserung der Gebäude und ihrer inneren Ein-
richtung, Vermehrung des Betriebskapitals, be-
sonders des Viehstands, eine intensive Bewirt-
schaftung des Bodens und demgemäß Erhöhung
des Ertrags und Verkehrswerts eintritt, die Melio-
ration sich also durch erhöhte Erträge bezahlt
macht. Die Zunahme der Hypothekarverschuldung
kann indifferent sein, wenn sie eine Umände-