Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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dann über die Wertermittlung der aufzuhebenden 
Rechte, über die Art der Entschädigung (Ab- 
findung) und über das Verfahren der Auseinander- 
setzungsbehörden. Die Abfindung bestand meisten- 
teils in Bezahlung eines dem Wert des betreffen- 
den Rechts entsprechenden Geldkapitals, entweder 
auf einmal oder in Annuitäten, oder durch Ver- 
mittlung der Regierung, indem diese dem Be- 
rechtigten das ganze Kapital für die abzulösenden 
Grundlasten auf einmal hinauszahlte und die 
Annnitäten selbst bezog bzw. noch bezieht. Bei 
Gemeinheitsteilungen bildete die Regel die Über- 
weisung von Realteilen der Allmende zu Eigen- 
tum; den Maßstab für die Verteilung bildete bald 
das Verhältnis der Teilnahme an den Nutzungen 
bald die Größe des Grundstücks bzw. des Vieh- 
stands. Ablösungsbehörden sind in einigen deut- 
schen Staaten die ordentlichen Gerichts= und Ver- 
waltungsbehörden, in andern und in Osterreich 
bestehen besondere „Auseinandersetzungsbehörden“, 
in Preußen z. B. die Generalkommissionen und 
das Oberlandeskulturgericht. 
5. Geschichtlicher Uberblick. Die 
neueren Grundablösungsgesetze haben von den 
Beschlüssen der französischen Nationalversamm- 
lung in der Nacht vom 4. Aug. 1789 ihren 
Ausgang genommen. Daselbst wurden die Adels- 
vorrechte aufgehoben, die Patrimonialgerichts- 
barkeit, die Jagd= und Fischereigerechtigkeiten, 
die persönliche Untertänigkeit der Landleute für 
erloschen, alle dinglichen Leistungen derselben 
für ablösbar erklärt. Die politischen Ereignisse 
führten diese Grundsätze auch in Italien, auf dem 
linken Rheinufer, in der Schweiz, in Spanien, in 
Westfalen und andern deutschen Gebieten ins 
Leben. In Deutschland ging insbesondere Preußen 
rasch durchgreifend und rücksichtslos an die Ver- 
wirklichung des entsprechenden Ideenkreises. In 
erster Linie ist zu erwähnen das Edikt vom 9. Okt. 
1807, betreffend den erleichterten Besitz und freien 
Gebrauch des Grundeigentums sowie die perfön- 
lichen Verhältnisse der Landbewohner. Der Ein- 
fluß Preußens entschied tatsächlich die Zustände 
in den deutschen Nachbarstaaten. Vollständig durch- 
greifende Gesetzgebungen, welche eine völlige Lösung 
der gegenseitigen Verpflichtungen herbeizuführen 
vermochten, ergingen meistens erst in den 1850er 
Jahren, und die auf ihnen beruhenden Geschäfte 
sind bis zur Gegenwart nochnicht beendet. Dieöster- 
reichische Grundentlastung datiert vom 27. März 
und 9. Mai 1848. 
Über die Wirkung der Ablösung val. d. Art. 
Grundlasten. 
Literatur. Judeich, Grundentlastung in 
Deutschl. (1863); Roscher, Nationalökonomik des 
Ackerbaues (131903); Danckelmann, A. u. Reg- 
lung d. Waldgrundgerechtigkeiten (3 Tle, 1880/88); 
Hausmann, Grundentlastung in Bayern (1892); 
Glatzel, Die preuß. Agrargesetzgeb. (1895); Grün- 
berg, Bauernbefreiung u. Auflösung des gutsherrl.= 
bäuerl. Verhältnisses in Böhmen, Mähren und 
Schlesien (2 Bde, 1893/94). [Bruder, rev. Red.) 
  
Abolition, Abolitionsrecht — Abrüstung. 
  
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Abolition, Abolitionsrecht s. Be- 
gnadigung. 
Abolitionisten, Gegner der Sklaverei, 
s. d. Art.; auch Gegner der Prostitution, s. d. Art. 
Abrechnungshaus s. Banken und Kredit- 
institute. 
Abrogation s. Gesetzgebung. 
Abrüstung. 1. Das Problem. Die 
Evolutionstheorie behauptet die unabwendbare 
Wirkung des Kampfgesetzes in der Natur. Die 
Menschen sollen von diesem Gesetz nicht nur 
keine Ausnahme machen, sondern seinem Einfluß 
noch mehr als andere Lebewesen unterworfen 
sein, weil die Selbsttätigkeit und Energie der 
Lebensfunktionen die Heftigkeit des Kampfes ums 
Dasein steigere. Am intensivsten aber müsse der 
Kampf des Stärkeren gegen den Schwächeren 
als Massenerscheinung sich gestalten, als Kampf 
der Völker und der Staaten, deren auf dasselbe 
Ziel gerichtete Interessen so häufig den Grund 
zu feindseligen Verwicklungen bilden. Nun er- 
achten manche die Zeit bereits als gekommen, den 
Krieg aus der Welt zu schaffen, die Rüstungen 
einzuschränken oder doch zum Stillstand zu bringen, 
während andere der Ansichtzuneigen, der bedeutsame 
Gedanke des internationalen Zusammenwirkens 
zwecks Vermeidung der Kriege könne heutzutage 
im Widerstreit gegen die Gefahr und die Schrecken 
des Krieges nur dadurch verwirklicht werden, daß 
man die Gefahr verringert, die Schrecken mildert. 
Die Einschränkung der Rüstungen werde gerade- 
zu spontan erfolgen, wenn die internationalen 
Rechts= und Pflichtverhältnisse sich so entwickelt 
haben, daß der Appell an das Schwert in allen 
Fällen entbehrlich erscheint. 
Es ist offensichtlich, daß die Friedensidee seit 
der Zeit, als Immanuel Kant in seiner Schrift 
„Zum ewigen Frieden“ (1795) die Thesen auf- 
stellte: „Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz 
aufhören — Es sollen keine Staatsschulden und 
Anleihen zu Kriegszwecken gemacht werden — Es 
soll kein Staat in die Verfassung und Regierung 
eines andern Staates gewaltsam sich einmischen“ 
— Propaganda gemacht hat. Bemerkenswert ist 
da ein Schriftstück, welches der für den Abrüstungs- 
gedanken begeisterte württembergische Abgeordnete 
v. Bühler 1880 über diesen Gegenstand verfaßt hat, 
während der deutsche Reichskanzler Fürst Bismarck 
in einem hierauf Bezug nehmenden Schreiben 
(vom 2. März 1880) sich dahin äußerte, weder 
er noch ein anderer deutscher Staatsmann könne 
die Verantwortlichkeit für derlei Aktionen über- 
nehmen, bevor es den Anwälten einer allgemeinen 
Abrüstung gelungen sein werde, Deutschlands 
Nachbarn für diese Idee zu gewinnen. Allein selbst 
dann noch sei zu besorgen, daß die wechselseitige 
Kontrolle der Staaten über ihren Rüstungsstand 
eine äußerst schwierige und ein Forum zu ihrer 
wirksamen Handhabung kaum zu beschaffen sein 
dürfte. Ein anderer Staatsmann, Prinz Peter 
von Oldenburg, der Stifter der russischen Friedens-
	        
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