645
geheim, sie erfolgt durch relative Mehrheit aller
abgegebenen gültigen Stimmen, wenn der Ge-
wählte wenigstens ein Drittel dieser Stimmen
auf sich vereinigt. Bei einem eventuell erforder-
lichen zweiten Wahlgang (Stichwahl) entscheidet
die relative Mehrheit ohne Rücksicht auf ihr Ver-
hältnis zur Zahl der abgegebenen Stimmen. Bei
Stimmengleichheit entscheidet das Los. Der Ur-
laub für den Landtag darf Staatsbeamten und
im öffentlichen Dienst stehenden Personen nicht
verweigert werden. Durch Anstellung oder Be-
förderung im Reichs= oder Staatsdienst erlischt
die Eigenschaft als Abgeordneter. Während der
Landtagsverhandlungen sowie acht Tage vorher
und nachher erhalten die Abgeordneten freie Fahrt
auf den bayrischen Staatsbahnen zwischen Wohn-
und Versammlungsort, auf andern Wegen 50
Pfennig Reiseentschädigung für das km. Die Ab-
geordneten erhalten 10 M Diäten. Doch ist (1908)
die Neureglung in Aussicht. Jeder Abgeordnete
soll für die Dauer einer ordentlichen Session eine
Aufwandsentschädigung von 3500 M erhalten,
während einer außerordentlichen Session für den
Tag seiner Anwesenheit in einer Plenarsitzung
und sofern er Mitglied eines Ausschusses ist, auf
die Zeit, welche dieser tagt, ein Tagegeld von
15 M. Das Fernbleiben von der Plenarsitzung
soll mit 12 M gebüßt werden. Die Anwesenheit
oder Abwesenheit in einer Sitzung soll durch eine
von den Abgeordneten beider Erhebung der nächsten
Entschädigungsrate abgegebenen Erklärung fest-
gestellt werden. Die Ursache der Abwesenheit soll
nach dem Entwurf außer Betracht bleiben; man
will jedoch durchsetzen, daß bei Krankheit und be-
sondern Vorkommnissen kein Abzug erfolgt. Durch
das Pauschale wird die Abkürzung der Verhand-
lungen erstrebt. — Diebeiden Kammern des Land-
tags müssen entsprechend der zweijährigen Finanz-
und Etatsperiode der Monarchie mindestens alle
2 Jahre einberufen werden. Das Recht der un-
bedingten Initiative steht ihnen zu für alle Ge-
setze, welche die Verfassung nicht berühren. Der
Landtag hat die Befugnis der Beschwerde und
Ministeranklage wegen Verletzung der Verfassung.
Über eine erhobene Ministeranklage ist die Ver-
handlung und Entscheidung einem besondern Ge-
richtshof zugewiesen. Dem König steht das Recht
der Vertagung und Auflösung des Landtags zu,
doch muß im letzteren Fall die Neuwahl der
Zweiten Kammer binnen 3 Monaten vorgenom-
men werden. Anträge auf Abänderung der Ver-
fassung können nur vom König an den Landtag
gebracht werden und erfordern zu einem gültigen
Beschluß die Gegenwart von drei Viertel der
Mitglieder in jeder Kammer und eine Mehrheit
von zwei Drittel der Stimmen, während sonst
einfache Majorität entscheidet. Die Verhandlun-
gen sind öffentlich. Der König sanktioniert und
veröffentlicht die Gesetze mit seiner Unterschrift.
Stellung Bayerns im Deutschen Reich.
Schon am 22. Aug. 1866 war zwischen Bayern
Bayern.
646
und Preußen ein Schutz= und Trutzbündnis ab-
geschlossen worden; auch kam am 8. Juli 1867
zwischen dem Norddeutschen Bund samt Luxem-
burg und den süddeutschen Staaten ein Vertrag
zustande, demzufolge Bayern dem neubegründeten
Zollverein beitratund im Zollparlament 6 Stimmen
haben sollte. Die Zollvereinsverträge wurden nach
langer Weigerung am 22. Okt. von der Zweiten
Kammer angenommen.-Nach dem auf Antrag
Bayerns zwischen dem Norddeutschen Bund und
den süddeutschen Staaten abgeschlossenen Vertrag
vom 23. Nov. 1870 (Bundesgesetzblatt vom
31. Jan. 1871) ist Bayern ein Bestandteil des
Deutschen Reichs und im Bundesrat durch 6 Stim-
men vertreten; zum deutschen Reichstag entsendet
es 48 Abgeordnete. Nach der Reichsverfassung
ist jeder, der das bayrische Indigenat besitzt
(Reichsgesetz vom 1. Juni 1870), Bundesange-
höriger und genießt als solcher das Recht der Frei-
zügigkeit (Gesetz vom 1. Nov. 1867), das Recht
des Gewerbebetriebs (Gesetz vom 21. Juni 1869),
den Anspruch auf Rechtsschutz im Reich und gegen-
über andern Staaten, das Recht der Auswanderung
und endlich das Petitions= und Beschwerderecht an
den Reichstag. Über Preßvergehen entscheiden die
Schwurgerichte (Ausführungsgesetz zum Reichs-
gerichtsverfassungsgesetz Art. 35, vom 23. Febr.
1879).— Bayern hat wichtige Sonderrechte be-
hauptet. So besitzt Bayern (ebenso wie Württem-
berg) eine eigene Post= und Telegraphenver--
waltung (Art. 48/52 der Reichsverfassung).
Doch steht dem Reich die ausschließliche Gesetz-
gebung zu über die Vorrechte der Post und Tele-
graphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider
Anstalten zum Publikum, über die Portofreiheiten
und das Posttaxwesen, jedoch mit Ausschluß der
reglementarischen und Tarifbestimmungen für den
internen Verkehr innerhalb Bayerns (bzw. Würt-
tembergs), sowie unter gleicher Beschränkung die
Feststellung der Gebühren für den telegraphischen
Verkehr. Ebenso regelt das Reich den Post= und
Telegraphenverkehr mit dem Ausland, ausgenom-
men den eigenen unmittelbaren Verkehr Bayerns
(bzw. Württembergs) mit seinen dem Reich nicht
angehörenden Nachbarstaaten. Auch hinsichtlich
des Eisenbahnwesens nimmt Bayern eine Sonder-
stellung ein; doch hat das Reich die Befugnis,
im Weg der Gesetzgebung einheitliche Prinzipien
für die Anlage und Ausrüstung solcher Eisen-
bahnlinien aufzustellen, die für die Landesvertei-
digung wichtig scheinen. — Auzgeschlossen für
Bayern ist die Kompetenz der Normaleichungs-
kommission in Berlin, ferner die Beaussichtigung
und Gesetzgebung des Reichs hinsichtlich der Hei-
mats= und Niederlassungsverhältnisse und des
Verehelichungswesens, soweit es mit jenen Ver-
hältnissen im Zusammenhang steht. Daher gilt
auch in Bayern das Gesetz über den Unterstützungs-
wohnsitz nicht. Ferner kann eine reichsgesetzliche
Reglung des Immobiliarversicherungswesens in
Bayern nur mit Zustimmung der dortigen Re-
21“