Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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geheim, sie erfolgt durch relative Mehrheit aller 
abgegebenen gültigen Stimmen, wenn der Ge- 
wählte wenigstens ein Drittel dieser Stimmen 
auf sich vereinigt. Bei einem eventuell erforder- 
lichen zweiten Wahlgang (Stichwahl) entscheidet 
die relative Mehrheit ohne Rücksicht auf ihr Ver- 
hältnis zur Zahl der abgegebenen Stimmen. Bei 
Stimmengleichheit entscheidet das Los. Der Ur- 
laub für den Landtag darf Staatsbeamten und 
im öffentlichen Dienst stehenden Personen nicht 
verweigert werden. Durch Anstellung oder Be- 
förderung im Reichs= oder Staatsdienst erlischt 
die Eigenschaft als Abgeordneter. Während der 
Landtagsverhandlungen sowie acht Tage vorher 
und nachher erhalten die Abgeordneten freie Fahrt 
auf den bayrischen Staatsbahnen zwischen Wohn- 
und Versammlungsort, auf andern Wegen 50 
Pfennig Reiseentschädigung für das km. Die Ab- 
geordneten erhalten 10 M Diäten. Doch ist (1908) 
die Neureglung in Aussicht. Jeder Abgeordnete 
soll für die Dauer einer ordentlichen Session eine 
Aufwandsentschädigung von 3500 M erhalten, 
während einer außerordentlichen Session für den 
Tag seiner Anwesenheit in einer Plenarsitzung 
und sofern er Mitglied eines Ausschusses ist, auf 
die Zeit, welche dieser tagt, ein Tagegeld von 
15 M. Das Fernbleiben von der Plenarsitzung 
soll mit 12 M gebüßt werden. Die Anwesenheit 
oder Abwesenheit in einer Sitzung soll durch eine 
von den Abgeordneten beider Erhebung der nächsten 
Entschädigungsrate abgegebenen Erklärung fest- 
gestellt werden. Die Ursache der Abwesenheit soll 
nach dem Entwurf außer Betracht bleiben; man 
will jedoch durchsetzen, daß bei Krankheit und be- 
sondern Vorkommnissen kein Abzug erfolgt. Durch 
das Pauschale wird die Abkürzung der Verhand- 
lungen erstrebt. — Diebeiden Kammern des Land- 
tags müssen entsprechend der zweijährigen Finanz- 
und Etatsperiode der Monarchie mindestens alle 
2 Jahre einberufen werden. Das Recht der un- 
bedingten Initiative steht ihnen zu für alle Ge- 
setze, welche die Verfassung nicht berühren. Der 
Landtag hat die Befugnis der Beschwerde und 
Ministeranklage wegen Verletzung der Verfassung. 
Über eine erhobene Ministeranklage ist die Ver- 
handlung und Entscheidung einem besondern Ge- 
richtshof zugewiesen. Dem König steht das Recht 
der Vertagung und Auflösung des Landtags zu, 
doch muß im letzteren Fall die Neuwahl der 
Zweiten Kammer binnen 3 Monaten vorgenom- 
men werden. Anträge auf Abänderung der Ver- 
fassung können nur vom König an den Landtag 
gebracht werden und erfordern zu einem gültigen 
Beschluß die Gegenwart von drei Viertel der 
Mitglieder in jeder Kammer und eine Mehrheit 
von zwei Drittel der Stimmen, während sonst 
einfache Majorität entscheidet. Die Verhandlun- 
gen sind öffentlich. Der König sanktioniert und 
veröffentlicht die Gesetze mit seiner Unterschrift. 
Stellung Bayerns im Deutschen Reich. 
Schon am 22. Aug. 1866 war zwischen Bayern 
Bayern. 
  
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und Preußen ein Schutz= und Trutzbündnis ab- 
geschlossen worden; auch kam am 8. Juli 1867 
zwischen dem Norddeutschen Bund samt Luxem- 
burg und den süddeutschen Staaten ein Vertrag 
zustande, demzufolge Bayern dem neubegründeten 
Zollverein beitratund im Zollparlament 6 Stimmen 
haben sollte. Die Zollvereinsverträge wurden nach 
langer Weigerung am 22. Okt. von der Zweiten 
Kammer angenommen.-Nach dem auf Antrag 
Bayerns zwischen dem Norddeutschen Bund und 
den süddeutschen Staaten abgeschlossenen Vertrag 
vom 23. Nov. 1870 (Bundesgesetzblatt vom 
31. Jan. 1871) ist Bayern ein Bestandteil des 
Deutschen Reichs und im Bundesrat durch 6 Stim- 
men vertreten; zum deutschen Reichstag entsendet 
es 48 Abgeordnete. Nach der Reichsverfassung 
ist jeder, der das bayrische Indigenat besitzt 
(Reichsgesetz vom 1. Juni 1870), Bundesange- 
höriger und genießt als solcher das Recht der Frei- 
zügigkeit (Gesetz vom 1. Nov. 1867), das Recht 
des Gewerbebetriebs (Gesetz vom 21. Juni 1869), 
den Anspruch auf Rechtsschutz im Reich und gegen- 
über andern Staaten, das Recht der Auswanderung 
und endlich das Petitions= und Beschwerderecht an 
den Reichstag. Über Preßvergehen entscheiden die 
Schwurgerichte (Ausführungsgesetz zum Reichs- 
gerichtsverfassungsgesetz Art. 35, vom 23. Febr. 
1879).— Bayern hat wichtige Sonderrechte be- 
hauptet. So besitzt Bayern (ebenso wie Württem- 
berg) eine eigene Post= und Telegraphenver-- 
waltung (Art. 48/52 der Reichsverfassung). 
Doch steht dem Reich die ausschließliche Gesetz- 
gebung zu über die Vorrechte der Post und Tele- 
graphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider 
Anstalten zum Publikum, über die Portofreiheiten 
und das Posttaxwesen, jedoch mit Ausschluß der 
reglementarischen und Tarifbestimmungen für den 
internen Verkehr innerhalb Bayerns (bzw. Würt- 
tembergs), sowie unter gleicher Beschränkung die 
Feststellung der Gebühren für den telegraphischen 
Verkehr. Ebenso regelt das Reich den Post= und 
Telegraphenverkehr mit dem Ausland, ausgenom- 
men den eigenen unmittelbaren Verkehr Bayerns 
(bzw. Württembergs) mit seinen dem Reich nicht 
angehörenden Nachbarstaaten. Auch hinsichtlich 
des Eisenbahnwesens nimmt Bayern eine Sonder- 
stellung ein; doch hat das Reich die Befugnis, 
im Weg der Gesetzgebung einheitliche Prinzipien 
für die Anlage und Ausrüstung solcher Eisen- 
bahnlinien aufzustellen, die für die Landesvertei- 
digung wichtig scheinen. — Auzgeschlossen für 
Bayern ist die Kompetenz der Normaleichungs- 
kommission in Berlin, ferner die Beaussichtigung 
und Gesetzgebung des Reichs hinsichtlich der Hei- 
mats= und Niederlassungsverhältnisse und des 
Verehelichungswesens, soweit es mit jenen Ver- 
hältnissen im Zusammenhang steht. Daher gilt 
auch in Bayern das Gesetz über den Unterstützungs- 
wohnsitz nicht. Ferner kann eine reichsgesetzliche 
Reglung des Immobiliarversicherungswesens in 
Bayern nur mit Zustimmung der dortigen Re- 
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