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gesellschaft, trat damals in einer Kundgebung
(Vichy, 28. Juni 1880) für den Plan einer suk-
zessiven Einschränkung der Rüstungen ein und emp-
fahl, diese Angelegenheit zum Gegenstand von
Verhandlungen der Parlamente zu machen, wie
denn schon früher die französische Gesellschaft der
Friedensfreunde zur Zeit des Berliner Kongresses
1878 eine Einladung zur Bildung einer inter-
parlamentarischen Union behufs Anbahnung emer
allgemeinen Friedenspolitik versendet hatte. Großen
Eindruck machte der bekannte Briefwechsel zwischen
dem Feldmarschall Grafen v. Moltke und dem
Vizepräsidenten des Instituts für Völkerrecht, Ge-
heimrat Bluntschli, anläßlich des Erscheinens
eines Handbüchleins der Gesetze und Bräuche im
Landkrieg. Moltkes Schreiben (Berlin, 11. Dez.
1880) gipfelte in der Überzeugung, der ewige
Friede sei ein Traum, der Krieg ein Element im
göttlichen Weltplan. Die edelsten menschlichen
Tugenden entfalten sich im Krieg: Mut, Tapfer-
keit, Pflichttreue, selbstlose Hingebung für Ehre,
Ruhm und die Wohlfahrt des Vaterlandes. Ohne
Krieg würde die Welt in Stagnation übergehen
und in Materialismus versinken. Was erreicht
werden könne und solle, sei die Befestigung der
guten Kriegssitte, die Abschwächung des Gewalt-
samen und Willkürlichen im Kriegsverfahren durch
sittlich-religiöse Erziehung des Menschen, strenge
Disziplin in den Armeen wie durch humanitäre
Vervollkommnung aller Heereseinrichtungen. Dar-
über aber müsse man sich klar werden, daß Unerreich-
bares keinen Maßstab für die Bewertung des Er-
reichbaren abgeben könne. In seiner Entgegnung
erklärte Bluntschli, daß bei allem Respekt vor den
dargelegten Ansichten die Juristen dennoch nicht
die Hoffnung aufzugeben vermöchten, es werde die
im allmählichen Fortschreiten begriffene Mensch-
heit denn doch dahin gelangen, der beständigen
Steigerung der Macht= und Geldmittel zu Kriegs-
zwecken durch Ausgestaltung der Schiedsgerichts-
praxis Einhalt zu tun und einen wirklich juristischen
dauernden Organismus im Völkerrecht zu schaffen.
— Noch ein zweites Mal ergriff Graf Moltke in
dieser Sache das Wort. In einem Antwort-
schreiben (Berlin, 10. Febr. 1881) an einen an-
sehnlichen Vertreter der Sozialdemokratie, Gru-
barew, welcher dem Marschall eine Denkschrift
gegen den Krieg und für eine allgemeine Abrüstung
übersendet hatte, heißt es: „Nach Ihrer Ansicht
ist der Krieg ein Verbrechen, nach meiner das ein-
zige und richtige Mittel, die Unabhängigkeit, Ehre
und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes zu
sichern. Hoffen wir, daß dieses energische Mittel
durch die gelinderen der fortschreitenden Zivili-
sation ersetzt werde; aber sich vollständig davon
loszumachen, ist keinem Staat möglich. Zwar ist
auch der siegreiche Krieg für das betroffene Land
ein Unglück, und weder Menschenleben noch Fa-
milientrauer können mit Geld= oder Gebiets-
entschädigungen kompensiert werden; wenn es aber
nicht möglich ist, Unheil zu verhüten, welches uns
Abrüstung.
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die Notwendigkeit auferlegt, muß man dasselbe zu
ertragen wissen, im Gedanken, daß auch der Krieg
seine gute Seite hat, indem er große Männer,
schöne Charaktere, heroische Erscheinungen hervor-
treten läßt, welche sonst unbekannt geblieben
wären. Die Zeit der Kabinettskriege gehört der
Vergangenheit an; in unsern Tagen dürfte sich
schwer ein ernsthafter Mann finden, welcher die
Verantwortlichkeit auf sich nimmt, ohne Notwendig-
keit den Degen zu ziehen. Es wäre übrigens zu
wünschen, daß alle Regierungen genug Einsicht
und Tatkraft besäßen, um Leidenschaften, von
denen ihre Völker erregt werden, zu bemeistern
und auf diese Weise den Krieg hintanzuhalten."“
2. Die Gründe für die Abrüstung.
Die Befürworter der Abrüstung und Heeres-
reduktion sagen im wesentlichen: Stehende Heere
seien ein beständiger Anreiz zum Krieg. Der
Berufssoldat müsse den Krieg herbeiwünschen,
denn im Krieg, nicht bloß für den Krieg tätig zu
sein, sei seine Lebensaufgabe. Gewiß biete der
Krieg Gelegenheit zur Entfaltung geistiger und
moralischer Kräfte, aber unvergleichlich größer seien
die verheerenden Wirkungen des Kriegs. Er zehrt
am Wohlstand der Völker, selbst jener, welche nicht
unmittelbar am Krieg beteiligt sind; er raubt den
Müttern die Söhne, den Familien die Ernährer;
er hat auch die Verwilderung der Sitten, die Ent-
fesselung roher Instinkte unabwendbar zur Folge.
Epidemien und Seuchen wüten auf den Kriegs-
pfaden und kennen keine Neutralitätsgrenzen. Und
schließlich werden die Völker die Lasten nicht mehr
tragen können, welche ihnen der bewaffnete Friede
auferlegt, der es auch bewirkt, daß für umfassende
kulturelle Aufgaben die Mittel so spärlich zur Ver-
fügung sind.
3. Die Gründe gegen die Abrüstung.
Die Zweifler an der Möglichkeit der Abrüstung
oder doch der Herabminderung der Heereslasten
und des Rüstungsstillstandes sagen, eine be-
liebige Menge von Kriegsmitteln lasse sich von
vornherein gar nicht feststellen. Die entsprechend
verkleinerten Armeen würden sofort anwachsen,
wenn eine derselben in Nachteil geriete und Ver-
stärkungen heranzöge, wären es auch nur irre-
guläre Massen. Auch hänge das Ganze der zu
verwendenden personellen und sachlichen Kriegs-
mittel von dem jeweiligen Kriegszweck ab. Kleine
Heerkörper reichen aus zu bewaffneten Demonstra-
tionen und Expeditionen, zur Repressalienübung,
überhaupt zu militärischen Zwangsmaßnahmen
von geringer Tragweite. Hingegen werde die Be-
reitstellung militärischer Machtmittel sich immer
nach der Wichtigkeit und dem Wert der Interessen
richten müssen, welche allenfalls gefährdet er-
scheinen. Abgesehen hiervon verlange schon ihre
Verschiedenheit die Aufstellung und Ausgestal-
tung immer neuer Schutzmittel. Die großen Heere
der Gegenwart seien nicht etwa infolge irgend-
welcher Willkür entstanden, sondern sind eine un-
vermeidliche Konsequenz dermodernen, zum großen