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Literatur. Mitteilungen der internat. krimi-
nalist. Vereinigung, 1. Jahrg. (1899); Verhand-
lungen des 21. Deutschen Juristentags 1 (1890);
die jährlich vom belgischen Justizministerium er-
statteten Rapports sur l’exscution de la loi in-
stituant la condamnation conditionnelle et la
libération conditionnelle bzw. die Berichte in der
Statistique judiciaire de Belgique; die im Journal
offciel de la République Française veröffentl.
Berichte über die Ausführung der loi relative à
T’atténuation et à Iaggravation des peines; die
Gutachten der Präsidenten der Oberlandesgerichte
u. der Oberstaatsanwälte Preußens über die be-
dingte Verurteilung (Justizministerialblatt für die
preuß. Gesetzgebung u. Rechtspflege vom 13. Juni
1890, 52. Jahrg., Nr 24); A. Simonson, Für die
bedingte Verurteilung (1890); Wach, Reform der
Freiheitsstrafe, Beitrag zur Kritik der bedingten u.
der unbestimmten Verurteilung (Zeitschr. für die
ges. Strafrechtswissenschaft X, 1890); J. Bachem,
Die bedingte Verurteilung (21895); Zusammen-
stellung betr. die Ergebnisse bei der Anwendung der
in den Bundesstaaten für die bedingte B. geltenden
Vorschriften (bis Ende 1907) in den Drucksachen des
Reichstags. (Jul. Bachem.)
Begräbniswesen. Der mit dem Tod
beginnende Auflösungsprozeß des Körpers ist ein
chemisch-biologischer Vorgang, welcher unter wesent-
licher Mitwirkung von Mikroorganismen (Fäulnis-
und Schimmelpilzen) sich vollzieht und auf die
Umwandlung der leiblichen Gebilde, zunächst der
organischen, unter Bildung einer Reihe von orga-
nischen Basen, Fettsäuren und andern Spaltungs-
produkten zu löslichen Stoffen gerichtet ist. Letztere
sind größtenteils dem tierischen Leben feindlich,
selbst noch in ihren Endgliedern (Kohlensäure,
Kohlenwasserstoffe, Schwefelwasserstoff, Ammo-
niak); hauptsächlich dem animalen Leben feindlich
sind jedoch die früheren Stadien der Fäulnis,
welche durch massenhafte Vermehrung der Spalt-
pilze und durch Bildung von stinkenden und andern
irrespirabeln Gasen und von Leichengiften (Leichen-
alkaloiden oder Ptomainen) sich auszeichnen.
Durch Vermittlung der Luft oder des Grund-
wassers können die genannten schädlichen Stoffe
auf Lebende übertragen werden; ausnahmsweise
werden wohl auch von Leichen solcher, die an an-
steckenden Krankheiten gestorben sind, besondere
pathogene Spaltpilze oder anderweitige spezifische
Krankheitserreger an die Außenwelt abgegeben.
Die ekelerregende und verderbliche Wirkung der
in fauliger Gärung begriffenen organischen Sub-
stanz auf den Menschen hat diesen von jeher ge-
zwungen, die Leichen aus seiner Nähe zu entfernen.
Schon in prähistorischer Zeit machte sich das Be-
dürfnis geltend, diese Beseitigung der Leiche mit
gewissen Feierlichkeiten zu umgeben, wie die Gräber-
sunde aus der Steinzeit beweisen. Hieraus ergibt
sich eine doppelte Bedeutung des Begriffes Be-
gräbnis: I. die auf Entfernung und Zer-
störung der Leiche gerichteten Maßnahmen,
II. die bei dieser Gelegenheit beobachteten Zere-
monien. Alles, was sich auf diese beiden Punkte
Begräbniswesen.
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bezieht, faßt der Ausdruck „Begräbniswesen“
zusammen. Wenn auch die Kirche einen hervor-
ragenden, selbst wesentlichen Anteil an demselben
nimmt, so ist doch der Staat zur Überwachung
und Reglung des Begräbniswesens im Interesse
der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen
Gesundheitspflege verpflichtet.
I. Die gesundheitsunschädliche Vernichtung
einer Leiche kann auf verschiedene Weise vor-
genommen werden. Man kann sie ihrer natür-
lichen Auflösung in freier Luft, in Wasser oder
unter der Erde (in gemauerten Grüften, Stein-
kammern oder Erdgräbern) der gewöhnlich er-
folgenden langsamen Oxydation überlassen, oder
man orxydiert sie schnell durch Anwendung von
Feuer, allenfalls auch von Chemikalien. Eine dritte
Art, welche scheinbar die Erhaltung der Leiche
bezweckt, die Einbalsamierung und Austrocknung
(Mumifikation), ist streng genommen nur die am
langsamsten zum Ziel führende Methode der Zer-
störung des Körpers, da schließlich doch der Zerfall
eintritt, wenn auch nach Jahrhunderten oder selbst,
wie die ägyptischen Mumien beweisen, nach Jahr-
tausenden. Was die chemischen Veränderungen
betrifft, welche bei dem natürlichen Zerfall der
Leiche eintreten, so unterscheidet man verschiedene
Stadien oder auch Arten der Umwandlung orga-
nischer Stoffe, welche hintereinander oder wohl
meist nebeneinander, zuweilen auch bald die eine
bald die andere überwiegend, erfolgen. Man nennt
sie Hydratationen (Aufnahme von Wassermolekeln),
Reduktionen (bei denen besonders der Wasserstoff
in statu nascendi eine Rolle spielt) und Ory-
dationen (Verbrennungen durch Sauerstoff), welch
letztere bei ungehindertem Zutritt der atmosphä-
rischen Luft überwiegen. Alle diese Vorgänge
werden durch Spaltpilze und deren massenhafte
Vermehrung eingeleitet, sei es nun direkt durch
die Lebensprozesse dieser Mikroorganismen, sei es
indirekt durch Fermente, welche die Pilze aus-
scheiden. Erfolgt der Zerfall der Leiche überwiegend
durch chemische Vorgänge, so spricht man von
Vermoderung; erfolgt er überwiegend durch Pilze,
so tritt, je nach der Art, welche sich vorherrschend
entwickelt, bald mehr Fäulnis (verbunden mit ein-
fachen Gärungsvorgängen) bald mehr die Ver-
wesung auf. Gewöhnlich erfolgt anfangs die
erstere und später unter Einfluß von Schimmel-
pilzen die Verwesung. Die jeweilige Beschaffen-
heit der organischen Substanz (die Qualität des
Nährbodens), die äußere Temperatur, Feuchtigkeit,
Durchlüftung des Bodens bewirken bald das Über-
wiegen der Fäulnis, bald der Verwesung oder
Vermoderung. Ebenso sind die Stadien dieser
Prozesse zeitlich außerordentlich verschieden. Beie
Zersetzung der in Särgen von Tannenholz unter
geeigneter Erde beigesetzten Leichen ist der Fäulnis-
gestank (Leichengeruch) gewöhnlich schon nach
einigen Monaten geschwunden, und die Weichteile
sind bei Kindern meist schon in 4, bei Erwachsenen
in 7 Jahren vollständig aufgelöst. Die Verwesung,